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    Miss Sixty
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Miss Sixty
    Von Andreas Staben

    „Das ist nicht natürlich!“ Mit Empörung und Unverständnis reagiert der männliche Protagonist in einer Schlüsselszene von „Miss Sixty“ auf den Kinderwunsch der 60-jährigen Titelheldin. Das Streitgespräch, das sich daraufhin entfaltet, ist typisch für die unverblümte und ungezwungene Art, in der hier mit dem Thema Schwangerschaft im hohen Alter umgegangen wird – wer glaubt, so ernste Fragen wären ein unpassender Stoff für eine romantische Komödie, der wird über weite Strecken eines Besseren belehrt. Die existenziellen Entscheidungen, all die Pros und Contras, bekommen erstaunlich viel Raum und lange gelingt es der Regiedebütantin Sigrid Hoerner gemeinsam mit ihrer Drehbuchautorin Jane Ainscough („Der fast perfekte Mann“) sehr gut, sie unaufdringlich in eine amüsante Erzählung über Frauen und Männer, Alter und Jugend einzubinden. Im letzten Filmdrittel geht die Balance zwischen flotter Unterhaltung und thematischem Anspruch allerdings zunehmend verloren und es werden recht schematisch Komödien-Konventionen bedient, wobei vor allem Edgar Selges zentrale Männer-Figur Federn lässt. Dennoch ist „Miss Sixty“ insgesamt ein kurzweiliger und gut inszenierter Film mit viel Dialogwitz sowie einer denkwürdigen, von Iris Berben furios gespielten weiblichen Hauptfigur.

    Die Molekularbiologin Luise Jansen (Iris Berben) ist eine Koryphäe auf ihrem Gebiet, zugleich hat sie aber auch Probleme im Umgang mit den Kollegen. Als ein Streit am Arbeitsplatz eskaliert, versetzt sie ihr Chef und ehemaliger Geliebter Bernhard Minsk (Götz Schubert) an ihrem 60. Geburtstag in den vorzeitigen Ruhestand. Sie blickt einem wenig verlockenden Leben mit Quizshows und gelegentlichen Kreuzfahrten an der Seite ihrer Mutter Doris (Carmen-Maja Antoni) entgegen, doch Luise hat andere Pläne: Sie will ein Kind! Bereits vor 20 Jahren hat sie eigene Eizellen eingefroren – es fehlt nur noch ein Samenspender. Die Single-Frau sucht sich unter den Kandidaten einer Samenbank den jungen Journalisten Max Winther (Björn von der Wellen) aus, möchte aber gerne etwas mehr über ihn erfahren und beobachtet ihn deshalb heimlich. Dabei kommt es zur bereits zweiten ungewöhnlichen Begegnung mit dem Galeristen Frans (Edgar Selge), der sich als Max‘ Vater entpuppt und Luise durch seine unmögliche Art irritiert. Er ist an gleichaltrigen Frauen nicht interessiert und reibt sich in einem Verhältnis mit seiner jungen Assistentin Romy (Jördis Richter) auf – dennoch kommen sich Frans und Luise allmählich näher…  

    Kino-Hauptrollen für Frauen jenseits der 40 sind immer noch eine Seltenheit, daher hätten die Beteiligten an „Miss Sixty“ durchaus Grund, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Aber sie tun angenehmerweise genau das Gegenteil und erzählen einfach ihre Geschichte. Gleich zu Beginn sagt Iris Berben („Die Buddenbrooks“) beim Blick in den Spiegel sinngemäß zu sich selbst, dass man (und frau) im Inneren irgendwie immer 18 bleibt - und im Anschluss schimmert das Fünkchen Wahrheit, das in dieser Aussage steckt, regelmäßig durch, ohne dass aus Luises tatsächlichem Alter jemals ein Hehl gemacht wird. So sehen wir eine selbstbewusste, erfahrene, gebildete, schlagfertige und eigensinnige Frau, die (männlichen) Vorurteilen trotzt und dennoch auch einmal fast mädchenhaft aufbrausend sein darf. Wenn sie die dauerkreischende Babypuppe, die sie auf das Muttersein vorbereiten soll, genervt mit dem Auto überfährt oder dem Ex-Liebhaber ordnungswidrig die Meinung geigt, dann wirkt das in Berbens souveräner und uneitler Darstellung niemals aufgesetzt. Ganz bei sich ist Luise aber vor allem im virtuosen Wortgefecht mit den Männern: Ganz egal, ob es um Prostatakrebs geht oder um den Vietnamfilm „Die durch die Hölle gehen“ – diese Frau weiß sich durchzusetzen. Bei all dem wird sie nicht etwa zur „Super-Seniorin“ stilisiert, sie darf nicht nur großherzig sein (als sie Frans die Lüge erzählt, die er hören will, ist das einer der schönsten Momente des Films), sondern auch verletzlich und unsicher.     

    Die charismatische Protagonistin ist neben den geschliffenen Dialogen (köstlich sind auch die Männergespräche zwischen Frans und seinem von Michael Gwisdek gespielten Kumpel Dieter) die größte Stärke des Films, in dem sich überdies auch Platz für eine flotte Segway-Verfolgungsjagd im Park und für ein absurd-liebevolles Intermezzo mit einem geborgten Kind und einem störrischen Esel findet. Luises Gegenpart vom vermeintlich starken Geschlecht erweist sich dagegen als problematisch. Das liegt weniger an Darsteller Edgar Selge („Rossini“) oder daran, dass Frans sich in seinem Jugendwahn zuweilen nahe am Rand der Lächerlichkeit bewegt (vom absurden Haarteil bis zum im Suff zugelegten Zungenpiercing sind seine Versuche, die äußeren Zeichen des Alterns zu vertuschen durchaus amüsant). Vielmehr wirkt der Galerist durch seine chauvinistische Selbstgewissheit schnell so unsympathisch, dass man sich schon fragen kann, was Luise überhaupt an diesem Egoisten findet. Seine Läuterung ist natürlich trotzdem unausweichlich, aber kaum glaubwürdig umgesetzt - die Momente der ironischen Selbsterkenntnis (etwa wenn der vom Leiter-Sex mit der jungen Geliebten Geplagte sich über Zärtlichkeiten im gemütlichen Bett freut) sind allzu selten. Die finalen Wendungen und Komplikationen um Eier und Spermien wirken entsprechend gezwungen und die vorher so beherzt gestellte Frage nach der Schwangerschaft mit 60 wird mit einer halbgaren Antwort bedacht.

    Fazit: Trotz erzählerischer Defizite vor allem im letzten Drittel ist Sigrid Hoerners Romantikkomödie dank scharfzüngiger Dialoge, eines ungewöhnlichen Themas und einer toll gespielten Hauptfigur einen Blick wert.

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