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    Rosie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Rosie
    Von Petra Wille

    „Rosie“, der neue Spielfilm von Marcel Gisler („Fögi ist ein Sauhund“, „Die blaue Stunde“), spielt ausschließlich in dem beschaulichen Örtchen Altstätten, wo die titelgebende Rosie immer schon lebt. Ihr schwuler Sohn ist ein typischer Wahlberliner – zurück in die Schweiz fährt er nur, um seine Mutter zu besuchen. Dort entdeckt er plötzlich ganz neue Geschichten über seine Eltern, die jede Menge mit seinem eigenen Leben zu tun haben. Ausgehend davon erzählt Gisler, der auch am Drehbuch mitschrieb, seinen feinfühligen, vielfältigen und daher unbedingt sehenswerten Film.

    Rosie (Sibylle Brunner) hatte einen Schlaganfall. Die erwachsenen Kinder Lorenz (Fabian Krüger) und Sophie (Judith Hofmann) überlegen, was zu tun ist. Rosie ist jedoch kein Pflegefall und einfach macht sie es ihnen auch nicht: Sie ist stur, lehnt Hilfe ab und besteht auf ihrem Wein – viel zu viel, wie die Kinder finden. Sophie lebt in Rosies Nähe und ist von der Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie bereits ausreichend gestresst. Ihrer Mutter wirft sie fortwährend deren Affären von früher vor. Lorenz lebt schon lange in Berlin. Er kommt nur sporadisch in die Ostschweiz, weil er mit seinem neuen Roman ziemlich beschäftigt ist. Mit der Zeit findet er heraus, welcher Schatten auf der Ehe seiner Eltern lag, während er eine Affäre mit einem jungen Mann aus dem Dorf beginnt.

    Sibylle Brunner („Kursverlust“) ist das Herz des Films, stellt sie doch Rosie in ihrer Vielschichtigkeit ganz wunderbar dar – sie ist nicht nur grantig, übermütig, verwirrt und gewitzt, sondern hat noch viele weitere Facetten. Gisler scheut sich nicht, auch noch die Alkoholkrankheit der alten Dame zu thematisieren, wobei er trotz einer Verbindung zur unterdrückten Homosexualität des verstorbenen Ehemannes eine zu plumpe Kausalität vermeidet, auch wenn die Suchtkrankheit – vor allem gegen Ende - ein bisschen leicht genommen wird. Auch wenn es dem Titel nach um Rosie geht und diese auch im Zentrum des Films steht, nimmt sich Gisler auch viel Zeit für die Geschichte ihres Sohnes Lorenz, die nämlich nicht von der seiner Mutter zu trennen ist. Trotz dieser mehreren Handlungsfäden behält der Regisseur immer klar den Überblick und verheddert sich nicht.

    Regisseur und Autor Gisler schafft in Rosies altem Haus voller Erinnerungen und auch alters- und alkoholbedingter Unordnung eine eigene Welt, in die Sohn Lorenz jedes Mal wieder eintaucht. Lorenz' Lebenswelt im fernen Berlin wird nur über Berichte in der Presse gespiegelt, die ihn als homosexuellen Schriftsteller porträtieren. Seine Mutter in Altstätten scheint er nicht oft zu besuchen, auch wenn er sich rührend kümmert, sobald er bei ihr ist. Mit seiner Schwester kommt es schnell zum Streit, sie lebt in Rosies Nähe und hat das Gefühl, eh schon genug für sie zu tun: „Du bist dran“ sagt sie dann auch zu ihm.

    Was anfänglich wie ein realistisches Drama über das Älterwerden anmutet, wird bald zur Aufdeckung einer Lebenslüge. Während Lorenz im Heimatort eine unverbindliche Affäre beginnt, nehmen die Erinnerungen an den Vater immer mehr Raum ein. Wie war er? Ein Versager oder ein ehrgeiziger Sportler? Warum hatte Rosie ständig Affären? Sie lässt nichts auf ihn kommen, doch die auffällige und schroffe Distanz zu einem alten Freund der Familie bringt Lorenz schließlich auf die Idee, dass sein Vater sich für Männer interessierte. Der Moment, in dem Rosie dies ihren Kindern bestätigt, ist stark und bewegend. Gisler erzählt sehr unspektakulär und dadurch ungemein nahegehend. Das früher Unaussprechliche ist nun gesagt und Rosie kann es mit den Kindern teilen, auch wenn der Kummer über die unerwiderte Liebe immer präsent sein wird.

    Ein wenig Pathos zeigt sich nur in der Musik: Chöre aus Verdi-Opern und Klaviersonaten liegen über beschaulichen Wiesen und Bergpanoramen. Die Schauspieler überzeugen durch alltagsnahes Spiel und komödiantische Einschübe. Schließlich ist Rosie alles andere als langweilig. Ständig widersetzt sie sich den besorgten Kindern oder auch demütigenden Vertreterinnen der Fürsorge. Egal, ob dies nun ihrer Persönlichkeit oder dem Alkohol geschuldet sind – fast schon nebenbei erzählt Gisler so auch eine Geschichte der Selbstbestimmung im Alter. Auch Körperlichkeit wird nicht ausgespart, ob beim schwulen Sex oder wenn Lorenz seine Mutter wäscht – ganz unverklemmt wird gezeigt, was eben zu sehen ist.

    Fazit: „Rosie“ überzeugt mit emotionalen Momenten in einer komplexen Geschichte um aktuelle und frühere Beziehungen – die unterdrückt oder verheimlicht wurden. Die alltagsnahen Szenen werden wunderbar kontrastiert mit gefühlsbetonter klassischer Musik.

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