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    What Is Left?
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    What Is Left?
    Von Katharina Granzin

    In schöner Zweideutigkeit fragen die italienischen Filmemacher Gustav Hofer und Luca Ragazzi schon im Titel ihres Dokumentarfilms „What is Left?“ nach den Überbleibseln der linken politischen Kultur in ihrem Land und in Europa. Zeitlich und thematisch ist der sehr persönlich gehaltene Film aufgehängt an den Parlamentswahlen 2013 in Italien, die damit endeten, dass eine fast alle politischen Lager umfassende Links-Mitte-Rechts-Regierung unter Führung des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), der ehemaligen kommunistischen Partei, gebildet wurde. Was bedeutet die Bildung einer solchen Regierung für die politischen Positionen der Parteien und ihrer Mitglieder? Kann man heutzutage überhaupt noch definieren, was links ist? Mit ihrem sehenswert-spielerischen Dokumentarfilm liefern die Regisseure ganz bewusst darauf keine Antworten.

    Was die Filmemacher ganz sicher nicht wollen, ist, die Zuschauer durch eine allzu trockene Aufbereitung ihrer inhaltlichen Diskussion zu verprellen. „What is left?“ ist bei aller Ernsthaftigkeit des Anliegens spielerisch in der Anmutung. Eine offensichtlich Monty-Python-inspirierte, wiederkehrende Animationssequenz gliedert den Film in Abschnitte, die markiert werden durch Teile einer fiktiven Fernseh-Quizshow. Sie trägt, wie kann es anders sein, den Titel „What is Left?“, und ihre beiden Kandidaten, die Filmemacher selbst, müssen abwechselnd der blonden Moderatorin auf Fragen wie „Ist es in Ordnung, für Haushaltshilfen keine Sozialabgaben zu zahlen?“ oder „Linke Arbeitgeber behandeln ihre Mitarbeiter besser als Rechte. Richtig oder falsch?“ einfache Antworten geben, geraten dabei aber regelmäßig in „ja, aber“-Diskussionen. Am Ende wird der eine bescheinigt bekommen, „rechts von Marx und links von Gandhi“ zu stehen, der andere findet sich „links von Obama und rechts von Mao Tse-Tung“ eingeordnet.

    Man könnte „What is Left?“ auch als einen Gesprächsfilm bezeichnen, denn gesprochen wird nahezu unablässig. Wenn die Filmemacher nicht unterwegs sind, um in Kneipen und Bars, auf Wahlkampfveranstaltungen oder Parteitagen Politiker, Aktivisten, Intellektuelle oder ganz normale Wähler zu ihrer politischen Haltung zu befragen, sieht man sie oft in ihrer gemeinsamen Wohnung in alltäglichen Situationen. Luca Ragazzi auf dem Sofa liegend, Carla Bruni hörend, der er auch durch ihre Sarkozy-Zeit hindurch treu geblieben sei, wie er erklärt. Beide vor einem Laptop sitzend, sich gegenseitig aus einem linken Wahlprogramm vorlesend (Mit einem „Oh mein Gott, das ist so langweilig!“ fällt Luca bald gähnend vom Stuhl). Gustav Hofer, der auf dem Sofa vor einer Wandtapete sitzt, die ein Bergmassiv in seinem heimatlichen Südtirol zeigt, und erzählt, wie seine politischen Ansichten im Jugendalter durch den Südtiroler linken Politiker Alexander Langer, der ein Mitbegründer der italienischen Grünen war, geprägt wurden. „Für mich als Südtiroler ist Europa im Wesentlichen eine linke Idee“, wird Hofer zum Schluss des Films fast ein wenig resümierend feststellen.

    Auf ein weitergehendes Resümee wird man aber vergeblich warten. Die fast verzweifelte Frage danach, wie es dazu kommen konnte, dass Italien zwanzig Jahre lang von Silvio Berlusconi regiert wurde, bleibt bis zum Schluss recht unbeantwortet im Raum stehen. Dass auf das Phänomen Berlusconi nunmehr das Phänomen des politisch sagenhaft erfolgreichen Komikers Beppe Grillo folgt, verschärft noch die Unlösbarkeit der Frage. „Ich verstehe nicht, warum sie einem Komiker vertrauen. Warum sind die Italiener so unreif?“ fragt Luca wiederholt. Und so klug und eloquent all ihre Gesprächspartner auch sein mögen, sowohl die Antwort darauf als auch das wahre Wesen des linken Geistes scheint sich immer zu entziehen. Bis sich am Schluss die weibliche Erzählerstimme, die den gesamten Film kommentiert hat, als „die Linke“ outet und verspricht, bald wiederzukommen. Das sei keine Drohung, sondern ein Versprechen.

    Fazit: Spielerisch gemachter, geistreicher Dokumentarfilm über die unklare politische Orientierung der italienischen Linken. Inspirierend, gerade weil hier keine Fragen beantwortet, sondern Fragen gestellt werden.

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