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    Francofonia
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Francofonia
    Von Michael Meyns

    Alexander Sokurov („Russian Ark“, „Faust“) ist ein Autorenfilmer im klassischen Sinn des Wortes: Sein Werk ist geprägt von einem unverwechselbaren Stil, seine Herangehensweise an ganz verschiedene Sujets ist zutiefst persönlich, sehr ambitioniert und oft auch ein wenig enigmatisch. Zudem kann und will der Regisseur seine Herkunft nicht verleugnen: Er ist durch und durch Russe und er beschäftigt sich mit den essentiellen Fragen der menschlichen Existenz, eine Kombination, die seinen Filmen etwas Schwermütiges verleiht. Leben, Krieg, Tod, Vergänglichkeit, Kunst - all das wird in auch Sokurovs neuem Essayfilm „Francofonia“ zum Thema, in dessen Zentrum mit dem Louvre eines der bedeutendsten Museen der Welt steht. Hier finden sich nicht nur atemberaubende Kunstschätze, für Sokurov ist der Louvre auch ein Symbol der Geschichte Frankreichs und Europas. Der Regisseur, der auch persönlich als Kommentator auftritt, widmet sich unter anderem der Besatzung der französischen Hauptstadt durch die Nazis, der Bedeutung der Kunst für die Menschheit und der Rolle Russlands im Weltgefüge. Immer wieder kommt Sokurov dabei auf die Frage zurück, warum die deutschen Truppen auf ihren Eroberungsfeldzügen zwar Paris und seine Kunstreichtümer verschonten, in Russland und ganz besonders in Leningrad mit seiner Eremitage aber eine Spur der Verwüstung hinterließen.

    Der Filmemacher wirft zahlreiche Fragen auf, aber eindeutige Antworten darf man dabei nicht erwarten. Statt Lesarten vorzugeben lässt Alexander Sokurov in enorm verdichteten 88 Minuten ein Geflecht aus Assoziationen entstehen, die gelegentlich wohl nur für ihn selbst Sinn ergeben, manchmal aber auch ganz deutlich sind: Wenn da etwa ein Schauspieler als Napoleon durch den Louvre streift, Bilder seiner selbst betrachtet und nebenbei mit Marianne, der Versinnbildlichung Frankreichs, plaudert, die fortwährend die Worte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ wiederholt, ist der Bezug zu Hitler deutlich, der 150 Jahre nach Bonaparte ebenfalls Europa eroberte und dann an Moskau scheiterte. Der Betrachter wird zu Gedankenspielen eingeladen, aber wohin ihn diese führen, bleibt ihm selbst überlassen. Denn das ist das Schöne an Sokurovs Filmen: Es wird keine Ideologie verbreitet und keine Haltung vorgegeben, vielmehr regen die Werke mit ihrem enormen gedanklichen und ästhetischen Reichtum (besonders eindrucksvoll ist in „Francofonia“ wie durch die fließenden Bewegungen der Kamera die Gemälde gleichsam lebendig zu werden scheinen) zur ganz subjektiven, individuellen Reflektion an.

    Fazit: Auch in diesem essayistischen Film über den Louvre bleibt sich der russische Regisseur Alexander Sokurov treu und entfaltet ein enorm vielschichtiges, gedankenreiches Geflecht aus Bezügen und Assoziationen.

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