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    Wir sind alle Astronauten
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Wir sind alle Astronauten
    Von Michael Meyns

    Anfangs glaubt man noch, man bekäme es mit schroffem Sozialrealismus zu tun, einem dieser bedrückenden Filme aus den Banlieues, geprägt von verfallenen Mietkasernen und Menschen, die am Rand der Gesellschaft leben. Doch dann entpuppt sich Samuel Benchetrits in Cannes als Sondervorführung gezeigter „Wir sind alle Astronauten“ schnell als absurdes Theater. Der Regisseur adaptiert hier drei seiner eigenen Kurzgeschichten, weshalb der Film nun in drei Episoden von drei unterschiedlichen Paarkonstellationen handelt: Da gibt es den im Rollstuhl sitzenden Querulanten (Gustave Kervern), der sich als Fotograf ausgibt, um eine Krankenschwester (Valeria Bruni Tedeschi) zu beeindrucken; einen aus dem All gefallenen Astronauten (Michael Pitt), der für einige Tage bei einer arabischen Frau (Tassadit Mandi) unterkommt, deren Sohn im Gefängnis sitzt; und schließlich eine Schauspielerin (Isabelle Huppert), die durch die Begegnung mit einem Jugendlichen (Jules Benchetrit) endlich wieder Lust an ihrem Beruf verspürt. Aus diesen Geschichten formt Benchetrit ein Abbild der Absurdität des Alltäglichen.

    Die Episoden sind nur lose durch ihren gemeinsamen Schauplatz miteinander verbunden: einem zehnstöckigen Hochhausblock in einer namenlosen Stadt. Im klassischen, heutzutage nicht mehr gebräuchlichen fast quadratischen 1,33:1-Bildformat inszeniert Benchetrit die engen Gänge und winzigen Wohnungen mit großer formaler Strenge. Ein wenig erinnern diese meist starren Tableaus an die Filme von Roy Andersson („Eine Taube sitzt auf einem Zweig und denkt über das Leben nach“), mit dem Benchetrit zudem die Lust am Absurden teilt. Mit knappen, präzisen Dialogen, in denen nie mehr Worte verloren werden, als unbedingt nötig, skizziert er Figuren und Situationen, deutet Bedürfnisse nur an statt sie auszuformulieren. Dank des durch die Bank perfekt besetzten Darsteller-Sextetts endet die formalistische Inszenierung zudem nie in emotionaler Kälte, ganz im Gegenteil: „Wir sind alle Astronauten“ erinnert so sogar an die Filme des Finnen Aki Kaurismäki („Der Mann ohne Vergangenheit“), der dem Absurden auf ganz ähnliche Weise mit trockener Lakonie begegnet - und dabei vor allem seinen grundsätzlichen Humanismus nie verliert.

    Fazit: Der französische Autor und Regisseur Samuel Benchetrit legt in drei Episoden mit viel Witz, Ironie und Menschlichkeit die Absurdität des Alltags offen.

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