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    Die Abenteuer von Wolfsblut
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Abenteuer von Wolfsblut
    Von Alexander Friedrich

    Jack Londons „Wolfsblut“ war schon in seinem Veröffentlichungsjahr 1906 ein Verkaufsschlager. Kein Wunder also, dass der Roman über einen wilden Wolfshund, der sich an die menschliche Zivilisation anpassen muss, anschließend bereits mehrere Male verfilmt wurde. Die bekannteste Adaption ist der Disney-Realfilm „Wolfsblut“ mit Ethan Hawke, die 1991 mehr als eine Million Zuschauer in die deutschen Kinos lockte und in der vor allem die Freundschaft zwischen Mensch und Tier im Mittelpunkt steht. In dem in Frankreich und Luxemburg entstandenen Animationsfilms „Die Abenteuer von Wolfsblut” geht der für seinen Kurzfilm „Mr Hublot“ oscarprämierte Regisseur Alexandre Espigares nun aber einen anderen Weg: Nicht nur sticht der ebenso ungewöhnliche wie wunderschöne Zeichenstil heraus, auch der Fokus der Geschichte ist diesmal ein anderer. „Die Abenteuer von Wolfsblut” ist kein süßlicher Film über die innige Freundschaft zwischen Vierbeiner und Zweibeiner, sondern eine Parabel über ein stolzes Lebewesen, das sich immer mehr von seiner gewohnten Umgebung entfremdet und in einer neuen Welt seinen Platz finden muss.

    Bevor Wolfsblut seinen Namen erhält, wächst der Welpe in der kanadischen Wildnis auf. In Begleitung seiner Mutter erkundet er mit wachsender Neugier seine Umwelt und probiert sich an der Jagd. Aber eines Tages ändert sich das Leben des jungen Wolfes schlagartig, als er und seine Mutter einer Gruppe von Ureinwohnern über den Weg laufen. Diese Indios nehmen die Tiere bei sich auf und setzen sie als Schlittenhunde ein. Als seine Mutter an einen fremden Wanderer verkauft wird, muss Wolfsblut fortan auf eigene Faust sein Leben bewältigen und sich an die Spitze des Schlitten-Rudels hocharbeiten. Der Stammesführer erkennt sein Potential und nimmt Wolfsblut schließlich als Begleitung mit, als er in ein Dorf der Amerikaner reist, um dort Pelze zu verkaufen. Sein Stamm braucht nämlich dringend 500 Dollar, um sich das Land zu kaufen, dass die Amerikaner ihnen wegnehmen wollen. Und weil die Pelze allein nicht genug einbringen, muss er schließlich auch Wolfsblut verkaufen, dem in der neuen Heimat längst nicht alle Menschen freundlich gesinnt sind…

    „Die Abenteuer von Wolfsblut“ beginnt mit einer Szene, in der wir das titelgebende Tier als blutrünstigen Killer kennenlernen, der seinen Kontrahenten in einem Hundekampf in einer Arena übelst angeht. Der fiese Aufseher wird in der US-Fassung übrigens von Paul Giamatti gesprochen, wobei man sich an die menschlichen Stimmen nicht zu sehr gewöhnen sollte, denn nach einem Zeitsprung geht es zurück in die Kindheit von Wolfsblut. In der stärksten halben Stunde des Films wird kein Wort gesprochen, denn die Tiere bleiben stumm. Aber es bedarf in diesem sehr glaubwürdigen Setting eben auch überhaupt keiner Dialoge, um die Emotionen des kleinen Wolfsjungen und die Herausforderungen seines Erwachsenwerdens greifbar werden zu lassen.

    Das hat auch viel mit dem außergewöhnlichen Look zu tun: Obwohl es sich bei „Die Abenteuer von Wolfsblut” technisch um einen computeranimierten Film handelt, wirken die Bilder wie bei einem Zeichentrickfilm. Cel-Shading nennt sich dieser spezielle Stil, den viele wohl vor allem aus Videospielen wie „Brothers - Tales Of Two Sons” oder den Adventure-Titeln des Entwicklers Telltale Games kennen dürften. Die Faszination ist bei „Die Abenteuer von Wolfsblut” dieselbe: Die Kombination aus farbenfroh gezeichneter Kulisse und räumlicher Tiefe ist schlichtweg wunderschön anzusehen und passt auch wunderbar zur Geschichte. Nur die Animationen selbst sind teilweise etwas hölzern, was sich gerade bei den menschlichen Charakteren negativ bemerkbar macht. Während die Natur und ihre tierischen Bewohner mit einer immensen Detailverliebtheit begeistern, wirken die urbanen Kulissen mit den kantigen Menschen etwas trist und einfach.

    Allerdings spiegelt sich dieses animationstechnische Gefälle auch in der Geschichte wider: Denn in der Wildnis fühlt sich Wolfsblut nun mal am wohlsten, während die unvertraute und raue Menschenwelt bei ihm für Unsicherheit sorgt. Überhaupt steckt der Film voller subtil eingeflochtener Botschaften: Dass etwa Wolfsbluts erste Begegnung mit den Amerikanern bei Nacht stattfindet, während er den Ureinwohnern bei Tageslicht das erste Mal über den Weg läuft, ist zum Beispiel bestimmt kein Zufall. Aber auch der Stammeshäuptling bietet ihm letztlich nicht die Sicherheit und Verlässlichkeit, die Wolfsblut bei ihm zunächst gespürt hat. In „Die Abenteuer von Wolfsblut“ wird nichts beschönigt – auch die Guten sind meist nicht die, die sie zu sein scheinen und die Hauptfigur muss das immer wieder am eigenen Leib erfahren.

    Während gerade im Animationsgenre meist auf zweckmäßige und übersichtliche Perspektiven gesetzt wird, greift Alexandre Espigares immer wieder auf eher unkonventionelle Mittel zurück. Immer wieder zeigt er das Geschehen etwa aus der subjektiven Sicht von Wolfsblut, die im Vergleich zu einer gewöhnlichen menschlichen Perspektive sehr untersichtig ausfällt. In diesen Momenten werden auch wir zu Betrachtern einer auf einmal viel größer wirkenden Welt, in der wir gemeinsam mit Wolfsblut plötzlich körperlich unterlegen sind. Häufig wird auch mit Ransprüngen gearbeitet, vor allem wenn Wolfsblut gerade nervös oder aufgebracht ist. Espigares erzählt mit seiner Bildgestaltung mehr als mit seinen (eh spärlichen) Dialogen.

    Wolfsbluts Mission ist es, über sich hinauszuwachsen und in jeder neuen Welt trotz aller Schwierigkeiten zurechtzukommen. Das Erzähltempo passt dabei aber leider nicht immer, denn als der Wolf etwa eine wichtige Freundschaft mit dem Ranger Scott (Nick Offerman) aufbaut, ist der Film bereits fast schon wieder vorbei. Die Erzählung wirkt so in einigen eigentlich entscheidenden Momenten etwas gehetzt, während sich dazwischen auch einige Längen ergeben. Die Entwicklung von Wolfsblut kommt zwischenzeitlich zum Stehen und wirkt dann im Schlussspurt einfach nicht mehr so eindringlich wie noch in der so starken ersten halben Stunde.

    Fazit: Ein erstaunlich düsterer, ehrlicher und wunderschön anzusehender Animationsfilm mit einer herausstechenden Optik. Trotz einiger Tempoprobleme sicherlich einer der interessantesten und intelligentesten Familienfilmen des Jahres.

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