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    Die Wunde
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die Wunde
    Von Michael Meyns

    In weiten Teilen Afrika ist Homosexualität noch deutlich weniger akzeptiert als in der westlichen Welt, allein dies wäre also schon ein brisantes Thema. Doch dabei lässt es der südafrikanische Regisseur John Trengove in seinem Debütfilm „Die Wunde“, der das Panorama der Berlinale 2017 eindrucksvoll eröffnete, nicht bewenden: Er verknüpft seine Geschichte von unterdrückter Homosexualität, die in einem zentralen Beziehungsdreieck fast schon meldodramatisch ausgespielt wird, mit einer enorm authentischen, fast schon ethnologisch wirkenden Darstellung traditioneller Initiationsriten, mit denen junge Männer vom Stamm der Xhosa zur Männlichkeit geführt werden.

    Xolani (Nakhane Touré) arbeitet im südafrikanischen Queenstown in einer Fabrik, doch einmal im Jahr kehrt er in seine ländliche Heimat in den Bergen zurück: Er ist ein sogenannter Caregiver, der junge Männer, Initiierte genannt, beim traditionellen Männlichkeitsritual der Xhosa begleitet. Die etwa 16-jährigen Teenager, darunter der Außenseiter Kwanda (Niza Jay Ncoyini) aus der Großstadt, werden zunächst beschnitten und verbringen anschließend acht Tage im Busch, mit weißer Farbe bemalt, bevor sie in den Stand des Mannes übergehen. Xolani ist von Kwandas Vater beauftragt worden, den verweichlichten Sohn zum Mann zu machen, doch es kommt bald zu unterschwelligen Spannungen zwischen dem Jüngling und seinem heimlich schwulen Mentor. Zusätzlich verkompliziert wird die Lage durch Xolanis komplizierte Beziehung zu seinem Kindheitsfreund Vija (Bongile Mantsai), einen anderen, ebenfalls homosexuellen Caregiver.

    Faszinierende Bilder haben John Trengove und sein Kameramann Paul Özgür eingefangen, fast dokumentarisch wirken die Aufnahmen der jungen Männer, die von ihren Vätern und Großvätern (bis auf die Hauptfiguren sind alle Beteiligten lokale Laiendarsteller) in den Busch geschickt werden, um die Traditionen des Stammes fortzusetzen. Archaisch mutet dieses Ritual an, brutal auch, wenn die kaum Erwachsenen gleich zu Beginn beschnitten werden und ihnen eine Wunde zugefügt wird. Das Ritual ist von aggressivem Machismo geprägt, die werdenden Männern vergleichen bald ihre beschnittenen Glieder und prahlen damit, wie sie die Frauen damit beeindrucken werden.

    In dieser Welt homosexuell zu sein, ist extrem schwierig, dementsprechend verloren wirkt das schwule Protagonisten-Trio, das John Trengove in den Mittelpunkt seiner Geschichte stellt. Der Regissur betrachtet die schwarze Stammeswelt als weißer Südafrikaner mit den Augen eines Fremden, während seine beiden Co-Drehbuchautoren Thando Mgqolozana und Malusi Bengu sie aus persönlicher Erfahrung kennen. Diese Verschränkung von Innen- und Außenperspektive gibt dem sehr authentisch wirkenden Film eine besondere Spannung, auf der Handlungsebene wird diese gespiegelt durch den Konflikt zwischen den beiden „Städtern" Kwanda und Xolani, die sich mehr oder weniger stark von den Traditionen der älteren Generationen gelöst haben, und den anderen in der Bergwelt und ihren archaischen Regeln verharrenden Männern.

    Die beim Blick auf Südafrika meist im Vordergrund stehenden ethnischen Spannungen (Weiße kommen hier genauso wenig vor wie Frauen) spielen in „Die Wunde“ keine große Rolle. Die entscheidenden Gegensätze sind jene zwischen Stadt und Land, zwischen Tradition und Moderne, wobei Trengove die beiden Seiten nicht etwa gegeneinander ausspielt (etwa als fortschrittlich und rückständig), sondern sie einfach nur nebeneinanderstellt. Das ist die größte Stärke des Films: So faszinierend das Männlichkeitsritual wirkt, so archaisch mutet es gleichzeitig auch an. So ästhetisch man gerade als Außenstehender die traditionellen Tänze und Kostüme empfindet, so offensichtlich stehen sie einer freien Entfaltung individueller sexueller Orientierung im Wege. Die Widersprüche entfalten sich unterschwellig, umso nachdrücklicher wird dabei letztlich klar, wie schwer es ist, sich von den traditionellen Regeln und Konventionen freizumachen.

    Fazit: In seinem ethnologisch angehauchten Männer-Drama „Die Wunde“ verschafft uns John Trengove einen faszinierenden Einblick in die Stammesriten der Xhosa in Südafrika und erzählt von den Spannungen zwischen Tradition und Moderne.

    Wir haben den Film im Rahmen der Berlinale 2017 gesehen, wo „Die Wunde“ die Sektion Panorama eröffnet hat.

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