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    Wildling
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Wildling
    Von Christoph Petersen

    Alle anderen Kinder wurden vom Wildling gefressen und Hamster wachsen an Sträuchern! Anna (Bel Powley) lebt seit ihrer frühesten Kindheit in einem mit Gitterstäben und Elektrotürknauf gesicherten Zimmer unter dem Dach. Über die Welt vor ihrem Fenster, wo sie lediglich die Jahreszeiten vorüberziehen sieht, weiß sie nur, was ihr Daddy („Chucky“-Stimme Brad Dourif) ihr erzählt. Aber das ist eben überwiegend ziemlicher Bullshit. Zudem muss sich die Teenagerin, seitdem sie ihre Tage bekommt, jeden Tag eine Spritze in den Bauch verpassen lassen. Die Prämisse von „Wilding“ klingt nach einem spannenden Rätsel. Aber gerade das ist nicht die Stärke des in den USA gedrehten Spielfilmdebüts des deutschen Regisseurs Fritz Böhm. Vielmehr ist dem Zuschauer schon nach den ersten Einstellungen klar, dass Anna hier nicht etwa als Geisel gehalten wird. Stattdessen geht es bei den Sicherheitsvorkehrungen wohl eher darum, andere Menschen vor dem so harmlos aussehenden Mädchen zu schützen. Es muss ja einen Grund geben, warum sie ihren Brokkoli schon seit einiger Zeit nicht mehr anrührt…

    Spätestens wenn Anna nach ihrer „Rettung“ bei der Polizistin Ellen Cooper („Herr der Ringe“-Elfe Liv Tyler) unterkommt und in ihren ersten saftigen Hamburger beißt, bleiben eigentlich nur noch Detailfragen offen. Hier wird wohl kaum jemand auf den Fingernägeln kauend der Auflösung entgegenharren. Aber dafür hat „Wildling“ andere Qualitäten. Zum Beispiel einige amüsante Fisch-aus-dem-Wasser-Szenen. So weigert sich Anna etwa, frisch gepflückte Beeren zu essen. Immerhin hat sie von Daddy gelernt, dass an den Sträuchern kleine Hamsterbabys wachsen. Wenn Ellens kleiner Bruder Ray (Collin Kelly-Sordelet) ihr daraufhin zur Aufklärung einen Internetporno vorspielt, würden wir ja nur zu gerne wissen, was in diesem Moment wohl in Annas Kopf vorgeht. Trotz einiger betont blutiger Einschübe ist Spannung und Grusel bei „Wildling“ nur auf Sparflamme angesagt. Dafür beweist der in München geborene Autor, Produzent und Regisseur Böhm wiederholt sein feines Gespür für schön bösen, dabei aber immer auch sympathischen Humor.

    „Wilding“ folgt dem dramaturgischen Muster einer klassischen Coming-of-Age-Geschichte. Aber Anne durchlebt ihre Pubertät nach dem plötzlichen Absetzen der Medikamente aus den Spritzen im Superschnelldurchlauf. Zudem gibt es bei ihr eben auch noch einige – zum Teil sehr haarige – Nebenwirkungen. Dass das alles so sehr berührt, wie es nun der Fall ist, liegt vor allem an Bel Powley, die seit ihrer Durchbruchsrolle in „The Diary Of A Teenage Girl“ vollkommen zu Recht als neuer Shootingstar gefeiert wird. Die im wahren Leben bereits 26-Jährige würzt die süßliche Unschuld ihrer Figur mit einer gar nicht bösartigen Gefährlichkeit, die Anna eine unheimliche Faszination verleiht. Das in einzelnen Momenten clevere, aber insgesamt wenig überraschende Skript kann mit seiner ambivalenten Heldin einfach nicht mehr Schritt halten. Stattdessen endet der Film auf einem nicht nur megaoffensichtlich vorbereiteten, sondern auch noch geradeheraus kitschigen Schlussakkord.

    Anna ist nicht nur die zentrale Figur des Films, sie ist auch die einzige, der Böhm mehr als die rudimentärste Charakterzeichnung zugesteht. Ellen ist der fürsorgliche Mutterersatz, was die diesmal enttäuschende Liv Tyler in ihrem erst zweiten Horrorfilm nach „The Strangers“ mit einem einzigen Gesichtsausdruck runterreißt. Ray ist der superverständnisvolle Boyfriend, der nicht einmal nach einer potentiellen Gewalttat für eine einzige Sekunde ins Zögern gerät. Und der Schul-Bully Lawrence (Mike Faist) versucht bei der ersten sich bietenden Gelegenheit sofort, über Anna herzufallen und sie zu vergewaltigen. Eine Kleinstadt bevölkert von Klischees. Böhm empfindet spürbar eine große Menge Liebe für seine Protagonistin – und er hätte gut daran getan, diese ruhig ein wenig großzügiger auch auf die übrigen Figuren zu verteilen.

    Fazit: „Wildling“ ist ein eher berührendes als furchteinflößendes oder überraschendes Creature Feature mit einer Reihe schwarzhumoriger Momente („You Smell Like A Hamburger!“) und einer herausragenden Hauptdarstellerin.

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