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    Paranza - Der Clan der Kinder
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Paranza - Der Clan der Kinder

    Brutale Kinder-Mafiosi auf Mopeds

    Von Carsten Baumgardt

    Blutiger Sommer“ tauften die Medien die brütend heiße Jahreszeit in Neapel 2015. So viele Morde versetzten die Stadt in Angst und Schrecken, dass Gennaro Buonerba, einer der führenden Mafiosi Neapels, davon sprach, dass seine Heimat mittlerweile gefährlicher sei als Bagdad. Einer der vielen Toten war der 20-jährige Emanuele Sibillo, ein Clan-Anführer, der von einer verfeindeten Gang auf offener Straße brutal erschlagen wurde. Dieser junge Mann dient Bestsellerautor Roberto Saviano als Vorbild für seine Hauptfigur in seinem Mafia-Roman „La Paranza Dei Bambini“, der zwar von fiktiven Charakteren handelt, aber von wahren Schicksalen und Begebenheiten inspiriert ist. Regisseur Claudio Giovannesi („Fiore“) verfilmt die Geschichte über eine Gang von Halbstarken, die die Macht in einem neapolitanischen Viertel an sich reißt als authentisch wirkendes Drama: „La Paranza Dei Bambini“ illustriert dabei den Weg der Kinder zu Mini-Mafiosi lebensnah und will auf eine gewisse Weise Verständnis für die Taten der Nachwuchskriminellen schaffen – das gelingt jedoch nicht durchgehend.

    Das Leben auf Neapels Straßen hat sich verändert, die großen Bosse der Camorra sind entweder tot oder im Knast. Ein paar Reste der Organisation versuchen, die Stadt im Griff zu behalten, doch nicht einmal das gelingt. In dieses Vakuum will der ambitionierte Nicola (Francesco Di Napoli) mit seiner Gang vorstoßen. Sie sind alle um die 15 Jahre alt, haben kaum Perspektive und wollen mit Dealen Geld für Markenklamotten, neue Mopeds und den teuren Discobesuch. Sie besorgen sich schwere Waffen, um die Kontrolle über das Problemviertel Sanitá an sich zu reißen und die verbliebenen Camorra-Gangs zu vertreiben. Was mit jugendlichem Eifer und viel Überschwang beginnt, führt bald zum ersten Mord. In diesem Klima der Gewalt und Bedrohung fällt es Nicola schwer, seine Freundin Letizia (Viviana Aprea) zu beschützen. Es entbrennt ein Kampf verschiedener krimineller Organisationen, die alle um das Gebiet Sanitá streiten und sich von den bestens bewaffneten Jugendlichen nicht die Butter vom Brot nehmen lassen wollen.

    Kein 15-jähriger, der kriminell wird, ist allein schuld daran.“ Das sagt Romanautor Roberto Saviano über die Situation der Jugendgangs in seiner Heimat Neapel. Der Wirtschaftsjournalist und Bestsellerautor muss seit seinem spektakulär-toxischen Enthüllungsbuch „Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra“ (2006) mit seiner Familie versteckt leben, weil er den geballten Hass der Mafia-Bosse auf sich zog. Er kennt das Milieu, über das er schreibt, nur zu gut. Das ist das größte Plus von „La Paranza Dei Bambini“, zu dem er auch mit Regisseur Claudio Giovannesi und Maurizio Braucci („Gomorrha“) am Drehbuch mitgeschrieben hat. Hier wirkt nichts gekünstelt oder gestellt, sondern das Drama entwickelt sich aus kleinen Episoden und Ereignissen, ohne dass Giovannesi mit drastischen Szenen nachhilft. Die Handkamera von Daniele Cipri („Vincere“) ist immer nah am Geschehen und verstärkt das Gefühl von Authentizität in einem überwiegend tristen Neapel. Immer wieder kurven die Gangmitglieder mit ihren Mopeds durch die Stadt, weil sie zum Autofahren noch zu jung sind. Sie haben Spaß, verkaufen Drogen, schießen auf Konkurrenten oder werden selbst gejagt. In diesen Momenten ist „La Paranza Dei Bambini“ am dynamischsten.

    Als Zuschauer betrachtet man das Treiben der Kinder und Jugendlichen, die auf der Weg sind, erwachsen zu werden, zwar interessiert, aber mit Distanz, weil Giovannesi mit seinem dokumentarisch angehauchten Stil kaum Identifikationspunkte anbietet. Die Verlockungen durch Geld, Macht und Anerkennung sind nachvollziehbar, aber einen echten Zwiespalt bietet die Erzählung nur bedingt. Träumen kann man von vielem, aber tatsächlich ohne moralischen inneren Widerstand die gesellschaftlichen Mauern einzureißen, ist etwas anderes. Doch genau das machen die Jungs, ohne dabei zu reflektieren. Warum ist das einfache, ehrliche Leben ihrer Eltern keine Alternative? Die mühen sich zwar über die Runden, müssen aber immerhin nicht in ständiger Gefahr leben, umgebracht zu werden. Diese Gleichgültigkeit, mit der schließlich Gewalt ausgeübt und irgendwann sogar gemordet wird, stößt ab. Selbst als es erste Opfer gibt, hinterfragt keine der Figuren ihr Handeln. Sie agieren einerseits brutal und rücksichtslos, sind aber auf der anderen Seite völlig naiv, weil Nicola zum Beispiel davon träumt, als großer, gerechter Mafiosi die Bevölkerung mit Güte zu behandeln – ohne dass sein Umfeld diese Fantasie zulässt.

    Hier macht Giovannesi deutlich, dass die Jugendgangs in ihrer hoffnungslosen Selbstüberschätzung und Unerfahrenheit überhaupt nicht begreifen, dass ihre Handlungen Konsequenzen haben. Das ist etwas Tragisches, selbst wenn es missverstanden werden kann, wie bei der Pressevorstellung anlässlich der Weltpremiere auf der Berlinale deutlich wurde. Ein Teil des Publikums lachte an vielen Stellen, in denen sich die Kinder und Jugendlichen zu Beginn etwas tapsig bei der Bedienung ihrer Mordwerkzeuge anstellen oder erst mal bei YouTube nachschauen müssen, wie man eine AK-47 korrekt abfeuert. Dieses Lachen verstummt dann aber schnell, wenn die Kugeln ihr Ziel finden. Denn „La Paranza Dei Bambini“ ist ein bitterer Film, der eine Generation zeigt, die sich von falschen Vorbildern leiten und von der modernen Konsumgesellschaft verführen lässt.

    Die jungen Hauptfiguren werden durchgehend von Laiendarstellern aus der Gegend um Neapel verkörpert. Von diesen Newcomern überzeugt vor allem Hauptdarsteller Francesco Di Napoli als Jung-Mafioso mit hohen Ansprüchen und vermeintlich hehrer Moral, die er wahrscheinlich aus Filmen und Serien gelernt hat. Wenn die Wirklichkeit einschlägt, wird dieses idealisierte Bild des Verbrecherlebens zerstört. Das zeigt Regisseur Giovannesi als organischen Prozess und nicht als Shakespeare'sche Tragödie, die es eigentlich ist. So bleibt immer das Gefühl, dass die Jungs zwar am Anfang wild und ungezügelt sind, aber keineswegs geborene Mörder. An einer Stelle brüllt ihnen ein altgedienter Mafioso entgegen: „Ihr seid noch halb in den Windeln. Ihr werdet übel enden.“ Diese tragische Fallhöhe wird im Film allerdings nur teilweise spürbar.

    Fazit: Der sorgsam recherchierter Mafia-Film „La Paranza Dei Bambini“ über eine neue Generationen von Möchte-Gern-Gangstern ist mehr solide Milieustudie als packend-mitreißendes Drama.

    Wir haben „La Paranza Dei Bambini“ im Rahmen der Berlinale 2019 gesehen, wo er im offiziellen Wettbewerb gezeigt wurde.

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