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    Die traurigen Mädchen aus den Bergen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die traurigen Mädchen aus den Bergen

    Porno-Pathos für die PKK (und den feministischen Diskurs)

    Von Christoph Petersen

    Der Name Meow Meow steht schon seit einigen Jahren für alternative, experimentelle Pornos aus der deutschen Hauptstadt. Jetzt haben mit Candy Flip und Theo Meow zwei der treibenden Köpfe des Berliner Anarcho-Porno-Kollektivs ihren ersten Langfilm vorgelegt: Nach der Auszeichnung als Bester Spielfilm auf dem Pornfilmfestival Berlin und einem kleinen Kinostart erscheint „Die traurigen Mädchen aus den Bergen“ nun fürs Heimkino – und zwar ungeschnitten auf Blu-ray und DVD mit einem FSK-18-Siegel auf der Hülle*. (Laut Auskunft des Verleihs gegenüber uns ist die Version auf Video on Demand hingegen eine genauso lange, aber von den Machern selbst entschärfte FSK-16-Fassung mit vereinzelt anderen, weniger freizügigen Bildern, weil einige Portale den Film sonst gar nicht erst ins Programm genommen hätten.)

    In der Küche der titelgebenden Sad Girls hängt ein gerahmtes Bild der feministischen Instagram-Künstlerin Audrey Wollen – und nicht weit daneben das Internet-Meme einer panischen Katze: „Lesbians Eat What?!“ Auch wenn in „Die traurigen Mädchen aus den Bergen“ vordergründig das populäre Format auf jugendlich getrimmter Investigativ-Reportagen (VICE Magazine lässt grüßen) auf den Arm genommen wird, setzt sich die Porno-Mockumentary zugleich auch auf brachial-ironische Weise mit dem Stand des feministischen Diskurses auseinander – eine Mischung, die sich erstaunlicherweise als höchst vergnüglich erweist.

    Die Sad Girls...

    Vom südlichsten Scientology-Stützpunkt in der Antarktis bis zu einer psychedelischen, von Sufi-Priestern betriebenen Karaokebar in der Sahara: Der Investigativ-Journalist Hendrik Adams geht für seine GONZO-Reportagen konsequent ans Limit, wobei Nachrichtenwert und narzisstische Selbstdarstellungen in seinen Videoblogs schnell verschwimmen. Sein nächster Auftrag führt ihn in die Berge, wo sich vier Sad Girls an einem geheimen Ort aufhalten, von dem aus sie Porno-Clips mit traurigen Mädchen im Internet vertreiben.

    Interpol ermittelt bereits seit Monaten erfolglos gegen die Sad Girls, weil eine von ihnen erst 17 Jahre alt ist und die anderen deshalb der Verschleppung einer Minderjährigen beschuldigt werden. Zudem spenden die Mädchen die Hälfte ihrer Einnahmen kurdischen Freiheitskämpferinnen, obwohl die PKK auf der EU-Liste der terroristischen Organisationen steht. Hendrik wittert den ganz großen Scoop – und sieht sich selbst bereits als Werner Herzog des Schulmädchenreports. Aber statt bei den Sad Girls zu landen, wird der Neuankömmling von ihnen erst mal auf seine Stube (Einrichtung: „Kinderzimmer trifft Kaderschmiede“) geschickt…

    Depressive Porno-Chicks

    Selbst wer vorab noch nie von dem Film oder dem Projekt gehört hat, wird dieses „Blair Witch Project der Internet-Pornos“ schon in den ersten Sekunden als fake entlarven: „Die traurigen Mädchen aus den Bergen“ ist nun mal die Parodie einer Vice-Reportage – und dazu gehört eben zuallererst die bewusste Übertreibung und nicht das Streben nach Authentizität. (Wobei aber zumindest die nachgestellten Online-Artikeln über die Sad Girls alle tatsächlich so erscheinen könnten – aber sich heutzutage noch unvorstellbare Überschriften auszudenken, ist in der aktuellen Medienlandschaft wahrscheinlich eh ein Ding der Unmöglichkeit.)

    Aber wo der Schein des Realen im Film selbst nicht lange hält, haben die „Meow Meow“-Macher das Sad-Girl-Cover in der realen Welt lange radikal und multimedial durchgezogen – auf der Internetpräsenz SadGirls.de, wo sich tatsächlich Clips von „depressiven Porno-Chicks“ erwerben lassen, ist etwa erst einen Monat vor der Weltpremiere des Films das Update erschienen, dass Interpol den geheimen Unterschlupf in den Bergen nun doch noch gefunden habe – inklusive einem Soli-Aufruf für die inzwischen in U-Haft sitzende Gruppen-Gründerin Tess (Regisseurin Candy Flip selbst). Außerdem distanzieren sich die Sad Girls ganz klar von dem „Schundfilm“, den irgendein „dummer Mackertyp“ über sie gedreht hat.

    Mit dem Mackertypen wollen die Sad Girls nichts mehr zu tun haben...

    Der „dumme Mackertyp“ Hendrik ist aber zum Glück kein Klischee-Macho, sondern ein selbsternannter Feminist, der seine Sexualpartnerinnen auch immer schön brav leckt. „Die traurigen Mädchen aus den Bergen“ steckt dann doch ein ganzes Stück tiefer im feministischen Diskurs, als dass er sich die ganz offensichtlichen und leichten Ziele aussuchen würde. Zugleich braucht man als nicht akademisch vorgebildeter Zuschauer aber auch nicht zwingend ein Fremdwörterbuch, um da noch mitzukommen – selbst wenn Hendrik auf der Fahrt in die Berge noch genau das befürchtet, nachdem er sich das doch eher verkopfte Manifest der Sad Girls zur Recherche durchgelesen hat.

    Sicherlich wird da auch mal über das lange Zeit die Feuilletons bestimmende Traktat „Grundbausteine einer Theorie des Jungen-Mädchens“ und das französische Autorenkollektiv Tiqqun abgelästert. Aber die Sad Girls und Hipster-Gast Hendrik steigen in keinen der Diskurse so tief hinab, dass man sich in ihm verlieren könnte – und das muss ja auch gar nicht sein: Im besten Fall macht die Mockumentary LUST auf (akademische) Theorie – und das ist doch auch schon mal was, selbst wenn sich dann hier die altbekannte Lebensweisheit „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ umkehren würde: Denn „Die traurigen Mädchen aus den Bergen“ ist auf jeden Fall ein – sich von allen verhandelten Standpunkten derb-ironisch distanzierender – Spaß.

    Doch echt?

    Die – teilweise tatsächlich pornographischen – Clips bleiben dem experimentell-provokanten, nicht-normativen Gestus früherer Meow-Meow-Filme weitestgehend treu: wenn Hochglanz, dann gebrochen – etwa mit blutigen Rasierklingen auf dem Rand der Badewanne, in dem das nackte Sad Girl liegt. Wobei die pathetische Todessehnsucht in den Videos aber visuell derart überhöht wird, dass sie (hoffentlich) niemand mehr ernstnehmen kann. Zudem gibt es ätzend-satirische Tutorial-Parodien, die an die von zahlreichen YouTube-Kanälen bekannten Top-Listen angelehnt sind: Darunter etwa die besten Tricks, um mit einem traurigen Mädchen Sex zu haben (K.O.-Tropfen scheinen für beide Seiten der Königsweg zu sein).

    Am allerstärksten ist „Die traurigen Mädchen aus den Bergen“ aber dennoch in jenen Momenten, in denen Fake-Doku und (möglicherweise) authentische Geschichten ineinander verschwimmen – zum Beispiel, wenn Sad Girl Lara von ihrer Bulimie-Vergangenheit berichtet oder Selma ihren geheimen narzisstischen Fetisch beichtet: Sie schaut gerne Männern dabei zu, wie diese sich ihre Pornos ansehen (und dabei auf das iPad zwischen ihren Beinen ejakulieren). Da bricht die ironische Distanz dann doch immer wieder mal kurz in sich zusammen – und der Film erreicht eine Offenheit, die tief berührt.

    Fazit: Ein ganz und gar nicht trockener Diskursfilm! Ganz im Gegenteil: Für einen Film über traurige Mädchen macht die verspielt-provokante Porno-Mockumentary sogar erstaunlich viel Spaß – und zwar selbst jenen, die den offenbar gar nichts so seltenen Fetisch für vor der Kamera heulende Sad Girls nicht teilen.

    PS: Zwischendurch war ich auf den Film echt sauer, als eines der Sad Girls eine Anlock-Pfeife für Waschbären vorgeführt hat, aber dann gar keine Waschbären angetappelt kamen. Doch die Sorge war verfrüht, ein wenig später schauten zwei der possierlichen Tierchen dann doch noch kurz vorbei.

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