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    Spiders - Ihr Biss ist der Tod
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Spiders - Ihr Biss ist der Tod

    Der würdige Nachfolger von "Arachnophobia"

    Von Janick Nolting

    Wer bislang keine Angst vor Spinnen hatte, wird sie nach diesem Film vielleicht zum ersten Mal verspüren. Sébastien Vaniček legt mit „Spiders - Ihr Biss ist der Tod” ein ganz hervorragendes Langfilmdebüt vor – auch weil er weiß, wie er sein Publikum in höchste Anspannung versetzen kann. Lange ist kein so effektiver, gewitzter und kompetent erdachter Tierhorrorfilm mehr erschienen! Gerade das jahrzehntealte Subgenre des Spinnen-Horrors, das für viele bereits 1990 mit „Arachnophobia” seinen Höhepunkt erfuhr, ist mit diesem Film um ein neues Highlight reicher.

    Schon in den ersten Minuten zieht Vaniček alle Register des Schreckens, den man mit den Achtbeinern heraufbeschwören kann. Man wühlt in irgendwelchen unheilvollen Erdlöchern unter Steinen. Natürlich ist das keine gute Idee! Etwas kribbelt und krabbelt dort drin und wartet nur darauf, seine wehrlosen Opfer anzuspringen. „Spiders - Ihr Biss ist der Tod” beginnt in der Wüste, wo eine Gruppe Männer auf Spinnenjagd geht, um sie in Plastikbehältern einzufangen und ins Ausland auf den Schwarzmarkt zu bringen. Ein fataler Fehler, wie sich bald herausstellen wird.

    PLAION PICTURES
    Wer vorher keine Angst vor Spinnen hatte, könnte sie jetzt bekommen!

    In der Pariser Banlieue lebt der junge Kaleb (Théo Christine) gemeinsam mit seiner Schwester (Lisa Nyarko) in einem Hochhaus. Nach dem Tod ihrer Mutter herrscht frostige Stimmung zwischen beiden. Sie streiten viel, die Geldnot wächst. Man kämpft darum, die Wohnung behalten zu können. Während Kaleb nun als Geschäftsmann durchstarten will und seine exotische Tiersammlung um eine neue Spinne erweitert, kommt es zur Katastrophe.

    Die Spinne namens Rihanna entkommt und vermehrt sich. Schnell wimmelt es im ganzen Haus vor den Krabbeltieren und die Behörden stellen das Gebäude unter Quarantäne. Fortan sitzen die Bewohner*innen in einer Todesfalle fest…

    Horror in der verarmten Pariser Vorstadt

    Der Survival-Horror, der sich in „Spiders” nun über etwa anderthalb Stunden erstreckt, besitzt einen erstaunlich ernsten Hintergrund: Sébastien Vaniček hat kein belangloses Geisterbahnkino gedreht, wie man es in den vergangenen Jahren zuhauf erleben konnte. Der Regisseur hat durchaus etwas zu sagen und er wirft einen drastischen Blick auf die prekäre Lebenssituation in Frankreichs Armenvierteln. Wo keine Perspektive auf Wohlstand existiert, erliegt man fraglichen Plänen.

    Kaleb träumt davon, das große Geld mit dem Weiterverkauf von Schuhen zu erwirtschaften. Man trägt die glänzenden Dinger als Statussymbol spazieren. Na klar, die Mittel sind begrenzt, um noch irgendwie in der Welt auf sich aufmerksam zu machen, wenn einen die Mehrheitsgesellschaft vergessen und verdrängen will! Der wirtschaftliche Zwang, welcher Menschen als Einzelkämpfer*innen aufeinanderhetzt und ihrem Schicksal überlässt, krabbelt nun als furchterregendes Ungeziefer aus allen Ritzen, befällt seine Opfer. Nirgends ist man vor ihm sicher; es findet immer einen Weg.

    Jeden Tag muss man in der Welt, die „Spiders” porträtiert, um den letzten Rest bangen, den man seine Existenz nennt. Jederzeit droht die Obdachlosigkeit. Ganze Bevölkerungsschichten werden an die Ränder der Städte, die Ränder der Gesellschaft gedrängt. Auch dafür ist die Spinnen-Invasion ein kluges Bild! Stück für Stück raubt sie den Figuren den Wohnraum, treibt sie rastlos umher, drängt sie immer weiter in die Ecke, zieht die Schlinge fester. Bis sie panisch im Dunkeln sitzen und nur noch darauf warten, ihrer tristen Situation endgültig zum Fraß vorgeworfen zu werden. „Spiders” nimmt das wörtlich, denn so viel steht fest: Wir sprechen hier nicht von kleinen Haushaltsspinnen! Sie wachsen und wachsen und wachsen…

    Herausragendes Unterhaltungskino

    Die erdrückende Situation, marginalisiert, ausgegrenzt und sozial abgeschottet zu werden, prangert „Spiders” dabei nicht nur als Scheitern einer Sozialpolitik an. Er speist seinen Horror zugleich aus dem Auftreten der sogenannten Ordnungshüter**innen, die mit Gewalt den Lauf der Dinge durchsetzen sollen. Irgendwann bleibt es nicht mehr bei der bloßen Abriegelung: Die jugendlichen Protagonist*innen liefern sich heftige Auseinandersetzungen mit den Beamt*innen, die das Gebäude umstellen und den Eingesperrten in höchster Not die Hilfe verwehren. Insofern ist „Spiders” kein beliebiges Creature Feature. Er fügt sich vielmehr energisch in jüngere Filme über die Konflikte zwischen den sozial Benachteiligten und den Behörden ein, wie sie etwa „Die Wütenden - Les Misérables” oder auch „Athena” zuletzt unternommen haben.

    Zugegeben, seine Kritik birgt keine sonderlich ausgefeilte Argumentation. Er schichtet lieber verschiedene Bedeutungsebenen übereinander, aus denen sich dann jede*r nach Vorliebe bedienen kann, anstatt ausgewählte Punkte tiefergehend zu verhandeln. „Spiders“ ist ein Film, der gesellschaftliche Probleme herunterbricht, überzeichnet und in die grellen, lauten Mechanismen eines Genrefilms übersetzt. Warum auch nicht? Sébastien Vaniček hat ein enormes Gespür für sein Erzähltempo, prescht mitreißend voran und meistert den Spagat zwischen Angst und schwarzem Humor. Das ist Horror-Unterhaltung auf hohem Niveau! Vor allem verliert er nie den Kontakt zu seinen charismatischen Figuren. Trotz aller Action und Schocks geht es immer um das Drama der beiden Geschwister: Sind die Spinnen nicht zugleich auch ein düsteres Bild für ihre Trauer?

    Die Hölle für alle Arachnophobiker

    Schlussendlich geht es darum, den größtmöglichen Schrecken aus den Tieren zu gewinnen. Hier kann man „Spiders” wenig vorwerfen! Sein Horror resultiert aus der geschickten Kombination von praktischen und digitalen Effekten, aus dem plötzlichen Umherkrabbeln der Tiere, aber auch den körperlichen Veränderungen ihrer Opfer. So unternimmt „Spiders” gleich mehrere Abstecher in Richtung Body Horror! Laute Jump Scares und leises Grauen in den Bildhintergründen gehen Hand in Hand. Gedreht wurde dabei teilweise mit echten Spinnen. Und wenn dann mal ihre CGI-Verwandten und Attrappen einspringen müssen, wird klug mit Dunkelheit und Unschärfen gearbeitet, um dem Grauen nicht seine Illusion zu rauben.

    Ohnehin spielt das Licht eine höchst intensive Rolle in Vaničeks Inszenierung. Licht an: Die Spinne bleibt brav dort, wo sie gerade ist. Licht aus: Nun denn... Der Horror zündet perfekt! Bei der Weltpremiere bei den Filmfestspielen von Venedig waren jedenfalls immer wieder lautstarke Reaktionen zu vernehmen, wenn Figuren die gefräßigen Tiere zu beseitigen versuchen oder durch dunkle, vor Spinnen wimmelnde Gänge streifen. In bester „Arachnophobia”-Manier werden sie sogar in der Dusche von den Krabblern heimgesucht. Das nächste TV-Dschungelcamp wird einiges auffahren müssen, um die ekelerregenden Schauwerte von „Spiders” zu überbieten!

    Fazit: Endlich wieder ein richtig starker Spinnen-Horrorfilm! „Spiders” spickt seinen Schrecken mit amüsanten Pointen und verwebt ihn mit einem kritischen Kommentar zur Lebensrealität in verarmten französischen Vorstädten.

    Wir haben „Spiders” beim Filmfestival in Venedig gesehen, wo er in der Sektion Critic’s Week als Abschlussfilm gezeigt wurde.

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