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    Spider-Man 2
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Spider-Man 2
    Von Jürgen Armbruster

    Auf kaum einen Film wartet die globale Filmgemeinde derzeit sehnsüchtiger als auf „Spider-Man 2“. Ein Umstand, der vor allem auf zweierlei Gründe zurückzuführen ist: Die bis heute ungebrochene Beliebtheit des wohl populärsten aller Marvel-Comic-Helden und der durchschlagende Erfolg des etwas mehr als zwei Jahre alten Vorgängers. „Spider-Man“ entwickelte sich 2002 zu einem weltweiten Box-Office-Phänomen und spielte über 820 Millionen Dollar ein, was ihn zum derzeit zehnterfolgreichsten Film aller Zeiten macht. Die Erwartungen an „Spider-Man 2“ waren entsprechend hoch. Würde es Sam Raimi gelingen, ein würdiges, an die Qualität des ersten Abenteuers heranreichendes Sequel auf die Beine zu stellen? Die überraschende Antwort: „Spider-Man 2“ ist nicht nur so gut wie sein Vorgänger, er ist besser!

    Sam Raimi verschwendet keine Zeit in einen die Geschehnisse des Vorgängers betrachtenden Prolog. Er setzt einfach frecher Weise die Kenntnis von „Spider-Man“ voraus. Dies kann er auch ruhigen Gewissens. Wer den ersten Teil bis heute nicht gesehen hat, gehört wohl kaum zur anvisierten Zielgruppe für den zweiten Auftritt des Wandkrabblers. Anstelle des Vorgeplänkels legt Raimi gleich los. Schließlich hat er in den folgenden 127 Minuten noch einiges vor. Zu Beginn werden Peter Parkers (Tobey Maguire) weltliche Probleme der aller simpelsten Art thematisiert. Es mangelt ihm schlicht und einfach am lieben Geld. Sein Leben als heimlicher Superheld Spider-Man ermöglicht ihm einfach kein geregeltes Einkommen. Schließlich genießt die Rettung eines Menschenlebens Priorität im Vergleich zum pünktlichen Zustellen einer Pizza. Auch sein Studium leidet unter dem enormen Zeitaufwand, den seine geheime Identität als Wohltäter einer ganzen Stadt mit sich bringt. Sein Dozent Dr. Curt Conners (Dylan Baker) macht ihm unmissverständlich klar, dass es so nicht weitergehen kann.

    Doch auch im zwischenmenschlichen Bereich sieht sich Peter allerlei Konflikten ausgesetzt. Die Wohngemeinschaft mit seinem besten Freund Harry Osborn (James Franco) hat Peter schon seit langem aufgegeben. Zu kompliziert wurde deren Verhältnis zueinander seit den Vorkommnissen des ersten Teils. Harry will Rache an Spider-Man, den er fälschlicher Weise für den Mörder seines Vaters hält. Er wirft Peter vor, dass er Spider-Man trotz seiner feigen Tat in Schutz nehmen würde. Doch Harry ahnt nicht, dass Peter selbst in Wahrheit Spider-Man ist und er seinen Vater Norman (Willem Dafoe) nur deswegen töten musste, weil sich hinter ihm der eben so berüchtigte wie gefährliche Grüne Kobold verbarg.

    Noch weitaus komplizierter als Peters Beziehung zu Harry, ist die zu seiner Jungendliebe Mary Jane (Kirsten Dunst). Er wünscht sich nichts sehnlicher, als ihr endlich seine wahren Gefühle für sie gestehen zu können, doch er kann nicht. Er würde sie dadurch einem zu großen Risiko aussetzen, denn für alle Feinde Spider-Mans wäre sie dadurch – sofern seine Häscher das Geheimnis seiner wahren Identität lüften würden – das ideale Druckmittel gegen ihn. Zwar liebt auch Mary Jane ihn, Peter, über alles, doch sie ist es leid, auf ihn zu warten. Für sie ist Peter ein einziges, unergründliches Mysterium. Als der Astronaut John Jameson (Daniel Gillies) um die Hand der mittlerweile erfolgreichen Theater-Schauspielerin anhält, willigt M. J. ein.

    All dies ist zu viel für Peter. Schließlich verbirgt sich hinter der harten Schale des mit übernatürlichen Kräften ausgestatteten Superhelden lediglich der weiche Kern eines Studenten an der Schwelle zum Mannsein - mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen. Er beschließt kurzerhand, sein geheimes Leben als Spider-Man aufzugeben, entsorgt sein Kostüm im Müllereimer an der nächsten Straßenecke und beginnt, um M. J. zu kämpfen. Dies alles geschieht zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt, denn eine neue Bedrohung ungekannten Ausmaßen zieht heran. Der eben so geniale wie sympathische Wissenschaftler Dr. Otto Octavius (Alfred Molina) arbeitet für Oscorp, das mittlerweile von Harry geführt wird, an der Entwicklung einer neuen, revolutionären, niemals versiegenden Energiequelle. Ein nobles Ziel. Als jedoch eines seiner Experimente vollkommen misslingt, verliert er durch die tragischen Begleitumstände und einen technischen Defekt an einer seiner Apparaturen vollkommen den Verstand. Doc Ock ist geboren. Ein gefährlicher Gegner, dem - wenn überhaupt - nur Spider-Man gewachsen ist. Doch dieser ist momentan mit ganz anderen Dingen beschäftigt…

    Am Konzept hinter „Spider-Man“ hat sich in den vergangenen Jahren selbstverständlich nichts Weltbewegendes geändert. Was in Bezug auf den ersten Teil von Bedeutung war, gilt auch heute noch. Stan Lees „freundliche Spinne aus der Nachbarschaft“ erfreut sich weniger aufgrund ihrer Superkräfte, sondern viel mehr wegen ihrer menschlichen Note seit dem ersten Auftritt in der „Amazing Fantasy“-Ausgabe Nr. 15 von 1962 dieser ungebrochen großen Beliebtheit. Peter Parker ist vom dunklen Rächer à la Batman oder Daredevil in etwa so weit entfernt, wie vom über jeden Zweifel erhabenen, edlen, die eigenen Interessen zurück schraubenden Beschützer der Menschheit, wie es Superman einer ist. Auch wurde Peter nicht so geboren, bzw. ist nicht mit seinen Kräften ausgestattet auf unserem Planeten gelandet. Bis zu seinem Unfall war er eigentlich das krasse Gegenteil von dem, was nun die Person Spider-Man verkörpert: Ein etwas schussliger, aber hochintelligenter und liebenswürdiger Teenager mit ganz alltäglichen Problemen, wie sie wohl jeder von uns kennt.

    Allen Unkenrufen zum Trotz gelang Sam Raimi 2002 mit „Spider-Man“ eine würdige Verfilmung des Kult-Comics. Viele zweifelten daran, dass der ausgewiesene Splatter-Spezialist (u. a. verantwortliche für die „Evil Dead“-und „Maniac Cop“-Reihen) der Richtige für diesen Job sei. Doch im Nachhinein mussten alle Zweifler Abbitte leisten. Bis heute ist „Spider-Man“ der wohl gelungensten Beitrag zur nicht enden wollenden Flut an Comicverfilmungen. Wohl bemerkt bis heute, denn endlich einmal hält eine Fortsetzung, was die parallel anlaufende Marketing-Kampagne verspricht. „Spider-Man 2“ ist noch pompöser, noch actiongeladener, noch amüsanter und vor allem noch packender als sein Vorgänger.

    Während sich Raimi beim ersten Teil noch mit dem knappen Budget von „lediglich“ 139 Millionen Dollar begnügen musste, standen ihm nun schlappe 200 Millionen zur Verwirklichung seiner Visionen zur Verfügung. Ein Umstand, der dem Film aus technischer Sicht durchaus anzusehen ist. Beim ersten Abenteuer war die Figur des Spider-Man beispielsweise hin und wieder all zu deutlich als Computeranimation zu entlarven und auch die rasanten Kamerafahrten durch die Hochhausschluchten wirkten bei genauerem Hinsehen sehr künstlich. Zwar verfügt auch „Spider-Man 2“ aus technischer Sicht durchaus über Verbesserungspotenzial, doch den Vorgänger lässt der Film mitunter alt aussehen. Die Computeranimationen sind durch die Bank besser mit den realen Außenaufnahmen verknüpft worden.

    Auch die Figur des Doc Ock ist dem für die Spezial-Effekte zuständigem Team um Alt-Veteran John Frazier blendend gelungen. Die vier am Rücken der Figur angebrachten „Tentakel“ sind je nach Kameraeinstellung eine Kombination aus Computeranimation und einer eigens entworfenen Greifarmattrappe, die vollkommen miteinander harmonieren. Für Doc-Ock-Darsteller Alfred Molina dürften die Dreharbeiten mit den zahllosen Drehtagen im Blue-Box-Verfahren die reinste Tortur gewesen sein, doch der Aufwand hat sich gelohnt. Der Kampf zwischen ihm und Spider-Man auf dem Dach einer mit Höchstgeschwindigkeit fahrenden Straßenbahn gehört zum Besten, was das Action-Genre seit langem zustande brachte. Selbst in der heutigen, in diesem Punkt recht verwöhnten Zeit, ist die ein oder andere herabfallende Kinnlade garantiert.

    Ein Film kann jedoch selbst trotz der besten Spezial-Effekte nur dann überzeugen, wenn die erzählte Geschichte einer kritischen Betrachtung standhält. In diesem Punkt ist „Spider-Man 2“ die konsequente Weiterentwicklung des bekannten Stoffes. In Peters Hin- und Her-Gerissenheit zwischen Pflichterfüllung (legendär: „With great power, comes great responsibility!“) und der Verwirklichung eigener Interessen wird viel Zeit investiert, so dass der Zuschauer die Beweggründe für Peters Abkehr von seiner geheimen Identität, seiner wahren Bestimmung, absolut nachvollziehen kann. Die aus dem ersten Teil resultierenden Konfliktfelder werden konsequent aufgegriffen und weiter verarbeitet. Peters und Harrys Entfremdung sowie die tragische Liebe zu M. J. rücken dabei zwar handlungsbedingt in den Vordergrund, sind aber bei weitem nicht alles.

    Viel Zeit verwendet Sam Raimi für die Einführung von Dr. Otto Octavius. Er ist ebenso wenig wie sein Pendant Norman Osborn aus dem Vorgänger alles andere als der von Grund auf böse Kontrahent von Spider-Man. Raimi stellt dem Zuschauer Octavius als einen seine Ehefrau Rosalie (Donna Murphy) verehrenden Mann mit edlen Motiven vor. Wie Norman Osborn wurde auch er erst durch eine Verkettung unglücklicher Umstände zur eigentlich tragischen Figur des Films. Aus dem im höchsten Maße sympathischen Wissenschaftler wird das gebrochene, krankhaft ehrgeizige, über Leichen gehende Monstrum. Der Zuschauer ist fast geneigt, Octavius gegenüber Mitleid zu empfinden.

    In „Spider-Man 2“ kommt es zu einem Wiedersehen mit vielen alten Bekannten. Tobey Maguire schlüpft erneut ins hautenge Kostüm des Netzschwingers. Anno 2002 sorgte die Besetzung der Rolle des Peter Parker mit einem der fähigsten Charakter-Mimen der jungen Garde Hollywoods („The Wonder Boys“, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“, „Seabiscuit“) für viele fragende Gesichter, doch nun ist es schwer, sich einen andern Darsteller in diesem Part vorzustellen. Maguire bringt sowohl die körperlichen Vorraussetzungen als auch die schauspielerischen Qualitäten mit sich, um Peter Parker situationsabhängig entweder die notwendige Leinwandpräsenz oder Glaubwürdigkeit zu verleihen. Kirsten Dunst („Vergiss mein nicht“, „Mona Lisas Lächeln“) besticht als Mary Jane Watson nicht nur einmal mehr mit ihren optischen Vorzügen, sondern auch als leider gemeinhin etwas unterschätze Schauspielerin. Der Part von James Franco als Harry Osborn fällt etwas kürzer, dafür aber emotionaler als im Vorgänger aus. Über Franco, der abgesehen von „Spider-Man“ hauptsächlich in kleineren Produktionen wie „City By The Sea“ oder „The Company“ auftritt, ist es wohl das größte Kompliment, dass man reumütig eingesteht, dass er aus der hervorragenden Besetzungsliste nicht weiter abfällt.

    Einer der großen Vorzüge von „Spider-Man 2“ ist jedoch Alfred Molina als Dr. Octavius. Molina bewies schon in der Vergangenheit mit Auftritten in Filmen wie „Chocolat“, „Frida“, „Identität“ oder „Luther“, dass er eigentlich zu Höherem berufen sein könnte. Einzig der große Durchbruch wollte ihm bisher nicht gelingen. Mit „Spider-Man 2“ könnte sich dies ändern. Zwar konnte auch Willem Dafoe als Erz-Widersacher zu Spider-Man durchaus überzeugen, doch Molinas Vorteil ist es, dass er sich nicht die Hälfte seiner Leinwandzeit in einem grünen Ganzkörperkostüm verstecken muss. Molina sieht als Doc Ock mit den vier Greifarmen auf dem Rücken, lässiger Sonnebrille und „Matrix“-kompatiblen Trenchcoat nicht nur unheimlich cool aus, sondern kann mit seinem unwiderstehlich fiesen Auftritt eben dort glänzen, wo sich Dafoe hinter der Maske des Grünen Kobolds verstecken musste.

    Eine größere Leinwandzeit wird obendrein noch J. K. Simmons eingeräumt, der als Peters Chefredakteur erneut die aus Teil eins bekannte, brüllend komische Gordon-Gekko-Parodie abspulen darf. Rosemary Harris etabliert sich als ursympathische Aunt May erneut als Peters moralische Stütze und Anlaufstation bei Problemen aller Art. Des Weiteren kommen in Rückblenden noch die im Vorgänger eigentlich verstorbenen Willem Dafoe und Cliff Robertson zum Zug und Dylan Baker „Thirteen Days“)wird als Dr. Curt Conners eingeführt. Kenner des Comics wissen genau, was bei Peters einarmigen Dozent im bereits jetzt schon auf den Sommer 2007 angekündigten „Spider-Man 3“ auf sie zukommen wird. Alle anderen sollten sich überraschen lassen.

    Sam Raimi ist es tatsächlich gelungen, den an sich schon starken Vorgänger in allen Belangen zu toppen. Die Spezial-Effekte sind ausgereifter und die Darsteller können in der erwachseneren und im Grundton kompromisslos-düsteren Geschichte noch mal eine Schippe auf das bereits im Vorgänger gezeigte draufpacken. Schwachstellen? Vielleicht ließe sich bemängeln, dass die Schlusswendung nicht wirklich überraschend daher kommt und das grobe Story-Grundgerüst im Prinzip 1:1 vom Vorgänger übernommen wurde, doch trotzdem ist „Spider-Man 2“ definitiv eine der besten Comic-Adaption aller Zeiten und wird auch Freunde reinrassiger Actioner zu überzeugen wissen. Für Fans des ersten Abenteuers führt ohnehin kein Weg an dieser Fortsetzung vorbei. „Spider-Man 2“ ist großes, aber auch anspruchsvolles Popcorn-Kino in Reinkultur. Schade nur, dass wir noch drei Jahre auf „Spider-Man 3“ warten müssen…

    Link-Tipp: CD-Kritik „Soundtrack: Spider-Man 2“

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