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    Sieben
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Sieben
    Von Stefan Ludwig

    Ist die heutige Gesellschaft schlecht? Was ist mit unserer Welt passiert, in der so viele schreckliche und unfassbare Dinge geschehen? Die sieben Todsünden sind nahezu alltäglich geworden, kein Mensch schert sich um den anderen, alles erscheint irgendwie verkommen. Muss das alles nicht gesühnt werden? Um diese Fragen dreht sich der Thriller „Sieben“ von David Fincher. „Sieben“ ist inzwischen zum Vorbild für zahlreiche Filme des Genres avanciert – und das völlig zurecht. Ein intelligentes Drehbuch, beeindruckende Schauspielleistungen, ein gekonnter Score und eine herrlich anzuschauende Regiearbeit machen dieses Meisterwerk zu einem sehenswerten Klassiker. Außerdem hat „Sieben“ eines der packendsten und genialsten Enden der Filmgeschichte zu bieten.

    Detective Summerset (Morgan Freeman) will sich in einer Woche in den wohlverdienten Ruhestand begeben. Sein Nachfolger soll der junge Detective Mills (Brad Pitt) werden. Der ist gerade erst mit seiner Frau Trace (Gwyneth Paltrow) in die Stadt gezogen und wird gleich am ersten Tag mit einem außergewöhnlichen Fall konfrontiert: Ein fetter 400-Pfund-Mann wird in seiner Wohnung gefunden, sein Gesicht im Essen vergraben. Es stellt sich heraus, dass er gezwungen wurde zu essen, bis er an inneren Blutungen starb. Doch schon bald wird klar, dass dieser Mord erst der Beginn einer Serie war...

    Denn seine Morde scheinen einem ganz bestimmten Muster zu folgen. Bei jedem Opfer findet sich eine der sieben Todsünden irgendwo geschrieben. Die da wären: Habsucht, Hochmut, Neid, Zorn, Wollust, Trägheit, Maßlosigkeit. Wer kann sich davon freisprechen, nicht mal ungeheuer wütend auf jemanden gewesen zu sein? Wer ist nicht gerne mal faul? Oder neidisch auf jemanden, der ständig mehr Geld hat, als er ausgeben kann? Und wie viele Reiche schwelgen in ihrem Überfluss und kennen kein Limit mehr? Letztlich sind diese „Sünden“ wirklich im Alltag voll und ganz integriert, wenn auch nicht immer in übermäßig heftiger Form so dennoch stets im Kleinen.

    David Fincher machte sich in seinen frühen Jahren als Macher von Werbe- und Musikclips einen Namen. Mit „Alien 3“ drehte er 1992 seinen ersten kompletten Spielfilm, der allerdings in Sachen Publikums- und Kritikerreaktion nicht ganz an die ersten beiden Teile anknüpfen konnte. Mit einem eigenwilligen Stil und letztlich nur einem Alien bot dieser eine ganz andere Spannung als die vorangegangenen Episoden. Dennoch feierte Fincher bereits hiermit seinen ersten großen Kinoerfolg. Erst drei Jahre später wagte er sich an ein neues Machwerk, „Sieben“. Spätestens jetzt war er in der Lage, sich weitere Projekte selbst aussuchen zu können. Mit dem spannend-verwirrenden und fesselnden „The Game“ drehte er danach einen weiteren Thriller. „Fight Club“ und zuletzt 2002 „Panic Room“ sollten folgen und sich in Sachen Qualität nicht allzu sehr von dem von Fincher schon vertrauten hohen Maßstab unterscheiden. Mit seinem bisherigen Werk lässt sich er sich guten Gewissens zu den begabtesten und interessantesten Regisseuren der Gegenwart zählen und damit in eine Reihe etwa mit Quentin Tarantino stellen.

    Extra erwähnt werden – jedoch natürlich nicht verraten – soll an dieser Stelle das spektakuläre Ende. Hier wurden keine Kompromisse gemacht, für Hollywood bekanntermaßen untypisch. Es entfaltet bei jedem Ansehen erneut eine enorme Faszination und ist derart gut geraten, dass der Zuschauer auch beim dritten Mal noch mitfiebern kann. Selten ist ein in solcher Form beeindruckender Schluss wie hier geglückt. Emotional beeindruckend, ein gut gewählter Schauplatz und eine geniale Idee tragen dazu bei, dass es eine wahre Freude ist, den prächtig aufgelegten Schauspielern zuzuschauen.

    „Sieben“ zeigte bereits sein ungeheures Potenzial. Die Atmosphäre ist fast schon klischeehaft düster, in der namenlosen Großstadt scheint nie die Sonne und es wird auch nie wirklich Nacht – stattdessen regnet es so gut wie immer. Die Regie ist an vielen Stellen ausgesprochen beeindruckend, die Perspektiven und deren Wechsel sind stets passend und wirken genau im richtigen Maße innovativ. Das zeigt sich schon in scheinbar unbedeutenden Szenen, etwa wenn Summerset wegen Schlaflosigkeit anfängt, in der Nacht sein Messer immer und immer wieder auf die Dartscheibe zu werfen oder seinen Taktgeber zertrümmert. Aber auch bei der Action, bei der teilweise die wacklige Handkamera herhalten muss, gibt es nichts zu bemängeln. „Sieben“ ist geradezu eine Definition für spannend, was gegen Ende hin immer deutlicher wird. Die Wendungen in der Story, der Wechsel zwischen Ermittlungsarbeit und persönlichem Gesprächen wird an keiner Stelle langweilig und macht den Film letztlich so vorbildlich.

    Die Wahl der Schauspieler ist absolut perfekt. Morgan Freeman („Im Netz der Spinne" , „Der Anschlag") ist in seiner Paraderolle wie immer gut anzusehen und stellt seinen Charakter komplett glaubwürdig da. In „Sieben“ zeigt er die Rolle des überdurchschnittlich intelligenten, sehr zynischen, langsam alt gewordenen Mannes, der mit der Welt nicht in wirklichem Einklang leben kann in Perfektion. An seiner Leistung gibt es rein gar nichts zu bemängeln. Ähnlich sieht es beim zweiten Hauptcharakter aus, der von Brad Pitt („Fight Club" , „Troja") verkörpert wird. Seine Rolle ist in gewissem Maße die eines Gegenparts, er spielt den jüngeren Cop, der die Welt noch wesentlich optimistischer betrachtet. Mit Teilen von beiden kann sich der Zuschauer identifizieren und so bilden sie ein ideales Ermittlerduo. Kevin Spaceys („K-Pax" , „American Beauty") Rolle ist relativ klein und doch wieder ganz groß: Er hat nicht viel Spielzeit, holt aus dieser jedoch das Maximale heraus. Mit einer grandiosen Performance in Sachen Mimik und Bewegung, die seinen außergewöhnlichen Charakter glaubwürdig und faszinierend machen, zeigt er, dass er zu den ganz großen Schauspielern zu zählen ist.

    Gwyneth Paltrow („Der talentierte Mr. Ripley“ , „Die Royal Tenenbaums") verhalf „Sieben“ zum Durchbruch in ihrer Karriere. Ihre Rolle als Filmfrau von Brad Pitt blieb nicht ohne Folgen: Im realen Leben verlobten sich die beiden – zwei Jahre glückte die Beziehung von Hollywoods zeitweisen Traumpaar. So kam sie außerdem an etwas mehr Rampenlicht, als es für die Nebenrolle vielleicht üblich gewesen wäre. Doch ihre Leistung in „Sieben“ ist mehr als akzeptabel, sie spielt mit großem Ehrgeiz und zeigt sich von ihrer besten Seite – und zeigt damit, dass sie wesentlich mehr kann, als gut aussehen.

    Was bei dem ganzen herauskommt, ist schlicht ein Meisterwerk. Ein Film, den jeder, der sich für das Thriller-Genre interessiert, kennen sollte – nicht zuletzt, um gewissermaßen eine Messlatte in Sachen Qualität zu haben. Denn „Sieben“ ist ein Original, das nur schwierig zu erreichen ist. Am Ende gelingt es dem Drehbuch, den ganz großen „Aha-Effekt“ zu zaubern und nur wenige werden danach einfach aufstehen und sich den Abspann sparen. Was der Zuschauer hier geboten bekommt ist alles vom Feinsten: Schauspieler, die völlig zurecht Rang und Namen genießen, Regiearbeit, die zeigt, was machbar ist und dazu auch noch ein umwerfendes Drehbuch, das seine Geschichte nicht besser erzählen könnte. Für die hervorragende Musik zeigt sich übrigens Howard Shore verantwortlich, der inzwischen an der Musik für alle drei Teile der Herr-der-Ringe-Saga mitgearbeitet hat und zuletzt den Score für "Spider" komponierte.

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