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    Das Erbe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Das Erbe
    Von Claudia Holz

    Die Festtage sind vorbei und die meisten von uns haben sie wahrscheinlich mit der Familie verbracht und dabei mal wieder festgestellt, dass die lieben Verwandten zwar schön, aber zuweilen auch tierisch anstrengend sein können. Um Zwänge, Regeln und Verpflichtungen in der eigenen Familie geht es in Per Flys „Das Erbe“ und erbringt damit den Beweis, dass Blut in jedem Fall dicker als Wasser ist. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der sich nach dem Tod seines Vaters um die Fabrik kümmern muss und dabei so sehr durch geschäftliche Machenschaften korrumpiert wird, dass er nicht nur seine eigene Familie in Stücke reißt, sondern auch seine Ehefrau soweit vernachlässigt, dass kein harmonisches Zusammenleben mehr möglich scheint. Kälter als ein sibirischer Winter kommt der Film daher und legt das hässliche Gesicht des wohlhabenden Bürgertums frei. Im Kern erinnert der Film an „Der Pate“ von Francis Ford Coppola, doch die Geschichte ist so simpel wie eine Seifenoper. Ohne Waffen und Blut geht es zu und die gewohnte Authentizität des dänischen Kinos erzeugt einen beängstigenden Realitätsbezug, der durchaus packend ist.

    Christoffer (Ulrich Thomsen) hat vor einigen Jahren die Entscheidung getroffen, die Übernahme der großen Stahlfabrik seines Vaters abzulehnen, sollte dieser irgendwann nicht mehr sein. Er zieht daraufhin nach Schweden und führt dort mit seiner Ehefrau Maria (Lisa Werlinder), die am Nationalen Theater Schauspielerin ist, ein bescheidenes Leben. Er hat einen Job, der ihn ausfüllt, ohne an seinem Privatleben zu kratzen und viele Pläne für die Zukunft. Doch dann kommt die Nachricht, die alles vollkommen aus den Angeln heben wird. Sein Vater hat sich erhängt und erneut wird Christoffer in die Pflicht genommen, die Fabrik zu übernehmen. Obwohl Maria ihm das Versprechen abringt, sich nicht darauf einzulassen, befindet sich Christoffer in einer moralischen Zwickmühle, als er auf die mehr als 1.000 Mitarbeiter trifft, deren Existenz von seiner Entscheidung abhängt. Auf das Drängen seiner Mutter (Ghita Nørby) hin, die eine strenge Matriarchin ist, entschließt sich Christoffer dazu, dem Willen der Familie nachzugeben. Doch damit beginnen erst die Probleme.

    Nicht nur hat Christoffer nun seine Frau bitter enttäuscht, auch seinen Schwager stößt er vor den Kopf, der sich erhofft hatte, als jahrelang treuer Mitarbeiter des Vaters, selbst die Fabrik weiterzuführen. Außerdem gibt es finanzielle Probleme, die nur mit einer Fusion gelöst werden können, dabei aber auch die Jobs einiger Angestellten aufs Spiel setzen würde. Somit gibt es genug Stoff für diverse Konflikte im privaten und professionellen Bereich, die sich alle an Christoffers Adresse richten und die oftmals keine einfache Lösung von ihm fordern. Der Schwager beginnt, Gerüchte über Christoffer zu verbreiten, die im Endeffekt die Firma gefährden und die Mutter manipuliert den Sohn und intrigiert gegen die Schwiegertochter, die sich wiederum ihrer Ehe mit Christoffer, ein Ultimatum von zwei Jahren gesetzt hat. Skrupellosigkeit bestimmen nun Christoffers Alltag und führen dazu, dass er sich menschlich immer mehr verändert, bis er vor den Trümmern seiner emotionalen Existenz steht. Irgendwann schleicht sich das Gefühl ein, dass der Selbstmord des Vaters aufgrund des unmenschlichen Drucks, keine Überreaktion gewesen sein kann.

    Per Fly taucht seinen Film in das tristeste Blau seit der Erfindung des Farbfilms. Die Figuren strahlen eine Kälte aus, als seien sie mit Stickstoff überzogen worden und packen den Zuschauer direkt an der Gurgel. Doch genau diese Kälte ist auch der Grund, weshalb „Das Erbe“ distanziert und wenig betroffen macht. Obwohl die Leistungen der Schauspieler durchweg makellos sind und in der Tradition des authentischen Kinos stehen - angefangen bei der glaubwürdigen Metamorphose von Ulrich Thomsen („Das Fest“) und endend bei Ghita Nørbys Familienoberhaupt aus der Hölle - hat es der Zuschauer schwer, gewisse Entscheidungen nachzuvollziehen. Vielmehr wird er gezwungen, sich das Spektakel aus einer Distanz zu betrachten. Dennoch gibt es emotionale Szenen, wie zum Beispiel die Konfrontation mit Christoffer und seiner Schwester, als sie erfährt, dass ihr Ehemann die Firma verlassen muss, oder auch eine Vergewaltigungsszene in einem Anwesen in Südfrankreich. Oftmals wäre es trotzdem besser gewesen, wenn sich diese Szenen nicht ständig bis zum größtmöglichen Höhepunkt aufladen würden. Die Ausbrüche der Figuren gehen jedes Mal an die Grenzen, wiederholen sich aber auch und deshalb fällt es schwer, eine Entwicklung in ihnen zu spüren und ihre Beweggründe nachzuempfinden. Schlimmer noch: Da die Geschichte fast direkt mit dem Tod des Vaters beginnt, ist nicht klar, welche Art Mann Christoffer vor seiner Verwandlung eigentlich wirklich gewesen ist. Sein vorheriges Leben wird nur durch Maria verkörpert und die einzigen Bilder, die an ihr gemeinsames Glück erinnern, sind hemmungslose Leidenschaft und Sex.

    Was „Das Erbe“ allerdings spannend und packend macht, ist die Inszenierung, die im Grunde an alle dänischen Filme der letzten zehn Jahre anknüpft. Dogma ist vorbei, doch die Kamera erinnert weiter an die Gesetze von Lars von Trier und Co., bleibt sie doch dicht bei den Figuren und fängt sie meistens Reaktionen ein. Die Schauspieler sind dabei so real, wie nur möglich. Zwar ist „Das Erbe“ stilistisch demnach ein Gewinner und die kühlen Bildern sind im übrigen ein treffendes Sinnbild der korrupten Gesellschaft, in der sich Christoffer bewegt, doch es bedarf einem Faible für düstere Geschichten und ein bisschen Geduld und Unvoreingenommenheit, um Per Flys zweiten Teil seiner Trilogie der dänischen Gesellschaft (erster Teil „Die Bank“ ), nicht vorhersehbar zu finden. Der stetige Verlust der Seele des Protagonisten und die Veränderung zu einem gefühlskalten Arschloch, ist zwar absolut faszinierend, allerdings wird zuviel Zeit in der Geschäftswelt verbracht, wo doch die privaten Nöte und Zusammenhänge am interessantesten sind und auch am ehesten dem Talent dänischer Filmemacher entsprechen. Der nötige Abstand zum Reflektieren wird im Film selbst geschaffen und somit hilft es wenig, sich einfach zurückzulehnen und den Film an sich vorbeirauschen zu lassen. Eigeninitiative ist gefragt und deshalb wird schlussendlich der Zuschauer entscheiden, ob „Das Erbe“ in der Essenz, mehr als „Dallas“ und „Der Denver-Clan“ hergibt. Doch die Tatsache, dass sich nach langem Hin und Her endlich ein Verleih in Deutschland gefunden hat (der Film wurde nämlich bereits bei uns im NDR ausgestrahlt), spricht auf alle Fälle für ein potentielles Arthausinteresse.

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