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    From Dusk till Dawn
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    From Dusk till Dawn
    Von Ulrich Behrens

    Ist Rodriguez „From Dusk Till Dawn“ zwar ein Riesenspaß, aber keine große Kunst, wie James Berardinelli in seiner Besprechung des Films behauptete, zu dem Quentin Tarantino das Drehbuch schrieb? Opfern sie als zynische Handwerker die Geschichte Splatter- und Vampir-Effekten? Wird Tarantino gar völlig überschätzt? Toben sich hier zwei erwachsene Kinder aus, deren zerberstende Vampire letztlich nur platzende Gummibärchen darstellen? Nun, Kunst ist, was der Künstler darunter versteht. Eins jedenfalls ist sicher: Rodriguez und Tarantino beschäftigen sich mit den gängigen Erwartungshaltungen des Publikums in bezug auf Vampir-, Kung Fu-, Splatter- und Crime-Filme, die eher der Kategorie der B-Movies zuzuordnen sind, und zaubern – ohne sich zumeist selbst sehr ernst zu nehmen – ein Road-Movie der besonderen Art, das die Grenzen der Zensur auslotet.

    Zwei Bankräuber, Seth Gecko (George Clooney) und sein wortkarger psychotischer Bruder Richard (Quentin Tarantino), betreten auf der Flucht einen Laden, „Bennys World of Liquor“. Als Richard den Eindruck hat, der Verkäufer gebe dem Texas-Ranger (Michael Parks), der sich ebenfalls dort aufhält, ein Zeichen, kommt es zu einem Blutbad, der Laden fliegt in die Luft. Als Richard dann auch noch ihre Geisel, die Bankangestellte Gloria Hill (Brenda Hillhouse) in Abwesenheit seines Bruders vergewaltigt und brutal ermordet, fehlt den Brüdern auf ihrer Flucht nach Mexiko eine Geisel. Seth ist sauer auf Richard, der sich nicht zügeln kann. Ein professioneller Dieb tue so etwas nicht, Leute umbringen und Frauen vergewaltigen. Das Fernsehen berichtet immer öfter über die beiden Brüder. FBI-Agent Chase (John Saxon) verkündet der Reporterin Kelly Hogue (Kelly Preston), er werde die Geckos innerhalb von 48 Stunden verhaften.

    Da kreuzt der Ex-Priester Jacob Fuller (Harvey Keitel), der kürzlich seine Frau und dadurch seinen Glauben verloren hat, mit seinen beiden Kindern Kate und Scott (Juliette Lewis, Ernest Liu) samt Wohnmobil den Weg der Geckos – die Geiseln, die die Geckos brauchen. Seth hat alle Mühe, seinen Bruder in Schach zu halten, der sich am liebsten über Kate hermachen würde. Fuller verspricht Seth, er werde seinen Anweisungen Folge leisten, Seth verspricht Fuller, ihn und seine Kinder am nächsten Morgen frei zu lassen. Mühsam ist der Weg über die Grenze nach Mexiko, wo sie sich in einer verruchten Spelunke namens Titty Twister von den Strapazen der Flucht erholen wollen.

    Im Titty Twister fließt der Alkohol in Strömen, leicht bekleidete Tänzerinnen bringen die Anwesenden auf Hochtouren, vor allem Santanico Pandemonium (Salma Hayek). Am nächsten Tag soll der Mexikaner Carlos (Cheech Marin) den Geckos Unterschlupf gewähren. Alles scheint in Ordnung, die Geiseln könnten im Morgengrauen frei gelassen werden. Nur, die Bar in der Wüste entpuppt sich als sweet home blutrünstiger Vampire, die sich bald auch als solche zeigen ...

    Wenn man – ohne zu übertreiben – von der konkreten Handlung, die tatsächlich eher einem B-Movie-Plot entspricht, absieht, bleibt von „From Dusk Till Dawn“ eine Art satirische Farce, jenseits aller meuchelnden Moralprediger, die in einem solchen Streifen wieder einmal nur eines zu sehen glauben: Gewaltexzesse, die Jugendliche angeblich dazu animieren, desgleichen zu tun. Eine Farce, weil Rodriguez und Tarantino nicht nur mit eingeschliffenen Erwartungsmustern des Publikums, sondern auch mit Voyeurismus und sadistischem Verlangen ihr Spiel treiben.

    Besonders eindrücklich in dieser Hinsicht ist schon die Szene mit der älteren Bankangestellten Gloria. Sie sitzt – während Seth abwesend ist – auf einem Sofa, die Arme auf ihren Schoß gelegt, natürlich voller Angst, während Richard im Nebenzimmer auf dem Bett die Beine ausstreckt und einen lustigen Comic im Fernsehen anschaut. „Willst Du Dich nicht neben mich setzen und mit mir Fernsehen schauen?“ fragt er mit leiser Stimme. So, wie er dies sagt, klingt dies wie eine freundliche Einladung. Angesichts der Umstände ist es für Gloria ein eindeutiger Befehl. Sie steht langsam auf und geht zum Bett. Richard rückt ihr ein Kissen zurecht. Gloria setzt sich neben ihn, zuerst die Beine noch auf dem Boden und mit dem Rücken zu ihm. Dann legt sie ein Bein aufs Bett. Richard isst einen Hamburger. Schnitt. In der nächsten Szene kehrt Seth zurück. Als er seinen Bruder fragt, wo Gloria sei, zeigt der gelassen ins Nebenzimmer. Gloria ist tot. Die Vergewaltigung und den Mord zeigt Rodriguez nicht. Wozu auch?

    Die fast schon familiäre Situation und der lustige Comic im Fernsehen kontrastieren fast unerträglich mit dem, was dann passiert. Das, was passiert, läuft beim Zuschauer schon vorher durch den Kopf. Man weiß ab dem Zeitpunkt, als Seth den Raum verlässt, dass Gloria sterben wird. Wir nehmen den Mord und die Vergewaltigung gedanklich und emotional vorweg. Gloria, Mutter von vier Kindern, wie uns Kelly Hogue fast genüsslich über den Bildschirm verkündet, wird unser Opfer. Rodriguez präsentiert, als Seth zurückkehrt, nur das Ergebnis dessen, was wir von der Situation erwarten – nichts weiter. Der Weggang Seths – der seinen Bruder, dessen Gefährlichkeit ja kennt (gerade hat er zwei Männer umgebracht) – ist nichts weiter als ein dramaturgischer Kniff: Rodriguez „stiehlt“ in diesem Moment aus dem Film die einzige Person, die Richard daran hindern könnte, sich an der Geisel zu vergreifen. Wäre Seth da geblieben bzw. hätte er Richard und Gloria einfach mitgenommen, um zu telefonieren, wäre Gloria nichts passiert. Irgendwann hätte Seth sie freigelassen. Und Kelly Hogue? Sie dramatisiert den Horror zur moralischen Attitüde. Dieser dramaturgische Kniff ist das fast schon simple Lockmittel, das im Kopf des Zuschauers eine Lawine auslöst, die seinen eigenen Erwartungen vollauf entspricht.

    Die Geckos zerstören Familien. Ihre eigene ist schon zerstört, ein zentraler Aspekt zum Film, auf den Robert Fischer zu Recht hingewiesen hat (1). Auch die Familie Fuller ist eine – jedenfalls teilweise – zerstörte Familie. Fullers Frau ist tot und er fährt mit seinen Kindern ohne konkretes Ziel weg von zu Hause. Fuller glaubt nicht mehr an Gott (und das in Amerika!). Die Zerstörungen, die uns Tarantino und Rodriguez hier präsentieren, sind Teil-Zerstörungen. Die Handelnden sind aber auch Personifizierungen kalkulierter Erwartungen und Vorstellungen des Publikums: Die Geckos mussten keine Verbrecherkarriere beginnen. Seth, ein vernünftig und überlegt handelnder Mensch, hätte seinen psychotischen Bruder in Behandlung geben können. Fuller hätte mit seinen Kindern daheim bleiben können, vielleicht eine neue Frau gefunden, anstatt nach „Nirgendwo“ zu fliehen.

    Diese Diskrepanz zwischen dem „Hätte“ und dem „Ist“ und „Wird“ ist ein dramaturgischer Kniff. Wäre Seth nicht gegangen, würde Gloria noch leben usw. Das „Hätte“ steht damit auch für eine Illusion, die Illusion des Betrachters über die Chancen harmonischer Wunschvorstellungen bezüglich des eigenen Lebens. Diese kontrastieren Rodriguez und Tarantino mit dem „Ist“ und vor allem den voyeuristischen Erwartungshaltungen, die natürlich auch für das „Böse“, die dunklen Seiten der Seele stehen, sozusagen die Doppelmoral unserer Seele.

    In Seth und Jacob treffen zwei Männer aufeinander, die – so überlegt und vernünftig sie sich auch geben und zum Teil auch handeln – mit der Situation ihrer Restfamilien nicht zurecht kommen – erst recht dann nicht, als diese Restfamilien aufeinander treffen. Jacobs „verlorener“ Glaube z.B. nützt ihm praktisch: nichts. Im Titty Twister wird diese destruktive Situation immer verwickelter. Fuller sagt, er glaube nicht an Vampire, aber an das, was er sehe. In diesem Satz manifestiert sich – in einer zunehmend bedrohlicher werdenden Situation – der Zusammenbruch der harmonischen Wunschvorstellung (es gibt keine Vampire, sprich: keinen Horror, nichts Dunkles in der eigenen Seele) angesichts dessen, was geschieht. Die Blutsauger sind nur diese personifizierte Seite des Dunklen. Und der Zuschauer? Er wird gezwungen, das zu glauben, was er sieht. Ausgerechnet Seth muss in dieser Lage einen Mann, der dem Glauben abgeschworen hat, vom Gegenteil überzeugen:

    „Wir brauchen dich. Ein ungläubiger Prediger bringt uns überhaupt nichts. Aber ein Diener Gottes kann ein Kreuz nehmen und es diesen Monstern in den Arsch schieben. Ein Diener Gottes kann Leitungswasser segnen und in eine Waffe verwandeln. Jacob, ich weiß, warum du deinen Glauben verloren hast. Wie sollte Heiligkeit existieren, wenn deine Frau dir und deinen Kindern genommen werden kann? Ich habe immer gesagt, Gott kann mich am Arsch lecken, aber ich habe meine Lebensanschauung vor einer halben Stunde geändert, denn ich weiß, was immer dort draußen ist und versucht hereinzukommen, ist das reine Böse, direkt aus der Hölle. Und wenn es eine Hölle gibt und diese Bastarde dorther kommen, dann muss es auch einen Himmel geben, Jacob, es muss ihn geben! Du kannst also wählen: Bist du ein ungläubiger Prediger – oder bist du ein wütender, verfluchter Diener Gottes?“ Jacob: „Ich bin ein wütender, hmm hmm Diener Gottes.“

    Eine grandiose Rede! Konkret die einzige Möglichkeit, den Vampiren zu Leibe zu rücken. So gefällt einem Religion, oder? Seth ist bekehrt. Auch wenn am Schluss nur jeweils einer aus beiden Familien überlebt, ist dieser Sieg über die Vampire doch zugleich die Rückkehr zu einem Realismus, der jeder harmonisierenden Wunschvorstellung einen Strich durch die Rechnung macht. Die Überlebenden sind geläutert, nicht so sehr in einem engen religiösen Sinne, sondern vielmehr in Bezug auf ihre Selbsteinschätzung und ihr Leben. Sie können in gewissem Sinn neu anfangen, wenn auch nicht gemeinsam.

    Zugleich aber ist die Szenerie, die Tarantino und Rodriguez im Titty Twister zaubern, eine Art (selbst)ironische Bezugnahme auf die zahllosen Splatter-Filme – und zwar gerade dadurch, dass Seth und Jacob der Situation mit rationalen Argumenten und philosophischem Diskurs beikommen wollen.

    Das alles macht den Film nicht nur zu einem Vergnügen, sondern auch zu einer der besten filmischen Grotesken. Nicht nur Harvey Keitel, der hier einen völlig anderen Charakter spielt, als man von ihm gewohnt ist, Tarantino, der sehr zurückhaltend einen psychotischen Mann mimt, und George Clooney können in ihren Rollen überzeugen. Mit Juliette Lewis und Ernest Liu sind auch die Rollen der Kinder Fullers gut besetzt worden.

    (1) Vgl. Robert Fischer, Peter Körte, Georg Seeßlen: Quentin Tarantino, Berlin 2000, S.190.

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