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    Ich beichte
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Ich beichte
    Von Ulrich Behrens

    Es ist Nacht. Ein Mann in einer Soutane schleicht aus einem Haus, dreht sich kurz um und verschwindet im Dunkeln. Ein Priester wundert sich, was sein Bediensteter noch so spät in der Kirche macht. Otto Keller (O. E. Hasse) scheint nervös, aufgerieben, ängstlich. Er will beichten, jetzt, um diese Zeit. Der junge Priester, Michael William Logan (Montgomery Clift), der seit zwei Jahren in dieser Kirche in Quebec sein Amt ausübt, erfährt, dass Keller einen Mord begangen hat. Keller tötete den Anwalt Villette (Ovila Légaré) und stahl ihm Geld, um mit seiner Frau Alma (Dolly Haas) woanders ein neues Leben zu beginnen. Er sagt Logan, er könne es nicht mehr mit ansehen, wie hart seine Frau arbeiten müsse. Und immer wieder fleht, bettelt und fordert Keller von Logan, er solle sein Beichtgeheimnis nicht brechen. Von Gott habe er nun die Absolution, von den Menschen werde er sie nie bekommen. Deshalb müsse, müsse Logan schweigen.

    Wir befinden uns in einer katholischen Umgebung. Katholischer kann es eigentlich nicht zugehen. Es hat alles seinen Sinn und Zweck, seinen Gang der Dinge, und über das, was daneben, außerhalb dieser geordneten Wege passiert, sozusagen am Wegesrand, verborgen, soll geschwiegen werden; es soll dort bleiben und nicht ans Tageslicht gelangen. Logan ist tief getroffen, entsetzt, aber er beherrscht sich. Er weiß, dass er das Beichtgeheimnis nicht brechen darf. Es bedeutet mehr als die ärztliche oder anwaltliche Schweigepflicht, denn es kommt von Gott. Und er, Logan, ist als Beichtvater nur Mittler zwischen Gott und dem sündigen Menschen. Er stellt diese Beziehung bloß her, um die Vergebung der Sünden zu bewirken, die Schuld abzutragen.

    Aber Logan ist auch Mensch. Und ein Mensch ist ermordet worden. Logan schweigt. Gegenüber der Polizei, gegenüber allen anderen. Man könnte es Schicksal nennen, dass zwei junge Mädchen dem untersuchenden Kriminalbeamten Inspektor Larrue (Karl Malden), der nichts von Glauben und alles von Fakten und deren Verknüpfung zu einem vorzeigbaren Ermittlungsergebnis zu halten scheint, dass diese beiden ihm erzählen, dass sie in der Nacht des Mordes einen Mann aus dem Haus des Opfers gehen sahen, der eine Soutane getragen habe. Und Larrue deutet auch das Schweigen Logans und die Tatsache, dass Logan sich mit einer Frau am Morgen nach der Tat vor dem Haus des Anwalts getroffen hat, als Verdachtsmoment, weil Logan die Identität dieser Frau nicht preisgeben will. Pierre Grandfort (Roger Dann) ist ein angesehener Bürger der Stadt, und es war seine Frau Ruth (Anne Baxter), die Logan liebt und ihren Mann nicht, mit der sich der Priester getroffen hatte. Für Larrue, der Zwei und Zwei zusammenzählt, ist es nur eine Frage der Zeit, hinter die Dinge zu kommen, die man ihm verschweigt, dahinter nämlich, dass Logan und Ruth vor dem Krieg ein Paar waren, dass Villette beide nach dem Krieg erpresst hatte, weil Ruth sich mit Logan getroffen hatte, obwohl sie inzwischen mit einem anderen verheiratet war, und Logan sich entschlossen hatte, Priester zu werden.

    Wie in anderen seiner Filme (Der falsche Mann etwa oder Der Fremde im Zug und Der unsichtbare Dritte) interessierte Hitchcock sich auch in „I Confess” für eine Situation, in der ein Unschuldiger in Verdacht gerät und sich der Strick um seinen Hals immer enger zusammenzieht. Hitchcock interessiert, wie sich „normale” Menschen in solchen Situationen in einer bestimmten sozialen Umgebung verhalten, was sie empfinden, was sie denken. Und so nimmt es nicht Wunder, dass Hitchcock in der ursprünglichen Version des Stücks ein Ende vorsah, bei dem Logan sein Leben lassen muss. Nicht nur das. Aus der Beziehung zu Ruth vor dem Krieg sollte in dieser Fassung ein uneheliches Kind hervorgegangen sein. Beides sollte die Tragik des Geschehens unterstreichen – und beides wurde von der Zensur gestrichen.

    Für das Hollywood der 50er Jahre musste es immer eine Art Ausweg, ein für das Publikum gedachtes Glücksmoment geben, einen in diesen Fällen schmählichen, trügerischen, ja betrügerischen Akt der „Befreiung” von Druck, Tragik und Endgültigkeit. Trotz dieser Eingriffe der Zensur ist „Ich beichte” ein an Dramatik kaum zu überbietender Film, in dem Hitchcock nicht nur das Dilemma eines Priesters schildert – beeindruckend dargestellt von Montgomery Clift – zwischen seinem Gelübde als Priester (hier: Beichtgeheimnis) und seinen menschlichen Gefühlen für irdische Gerechtigkeit. Logan befindet sich einer viel verzwickteren personellen Konstellation. Er bewegt sich, ohne dies entschieden zu haben oder zu wollen, in einem Geflecht zwischen

    – Ruth, die ihn immer noch liebt und nicht akzeptieren kann, dass Logan sich einem anderen Leben verschrieben hat, über deren beider Vergangenheit er schweigt, um Ruth als Frau eines angesehenen Mannes nicht zu gefährden, und

    – dem Täter, Keller, dessen Verhalten er verabscheut (eigenes besseres Leben durch Mord an einem anderen), und

    – dem Mordopfer, das ausgerechnet der Mann ist, der ihn und Ruth erpresst hatte,

    und

    – Inspektor Larrue, dem Repräsentanten der irdischen Gerechtigkeit, dem er durch sein Schweigen die Wahrheit vorenthält, und

    – Gott, dem er sich voll und ganz mit seinem „Beruf” und seinem Menschsein verschrieben hat, und

    – nicht zuletzt in einem drastischen Sinn der Öffentlichkeit, die all das, den Mord, die „Verfehlungen” des Priesters und der Frau eines angesehenen Bürgers, wenn es denn herauskommen sollte, nie und nimmer dulden würde (ein Verhalten, was im letzten Teil des Films eine brutale Praxis hervorbringt).

    Logan schweigt, und ihm wird der Prozess gemacht. Er würde, schuldig gesprochen, aufs Schafott steigen und bis zu seinem Tod schweigen, die Wahrheit, die in dieser Umgebung nichts zählt, mit ins Grab nehmen. Und niemand, außer Ruth, die vor Verzweiflung möglicherweise zugrunde gehen würde, hätte angesichts der unglaublichen Gefasstheit Logans, die in seinem Glauben wurzelt, irgendwelche Zweifel, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei.

    Man kann sich, zumindest in dem, was wir „zivilisierte Gesellschaft” nennen, kaum eine tragischere Situation für einen Menschen vorstellen, der zwischen katholisch-kleinbürgerlicher Mentalität, Doppelmoral (Villette, der Erpresser; Keller, der Mörder, der vorgibt, für seine Frau gehandelt zu haben), Glauben, Verbrechen, Vergangenheit usw. eingesperrt ist. Das Verborgene, Versteckte, Zugedeckte beherrscht die Szenerie, in der bestimmte Dinge einfach nicht passieren dürfen, und wenn sie passieren, nicht ans Tageslicht gelangen dürfen, und wenn sie ans Tageslicht gelangen, skrupellos gemaßregelt werden.

    Montgomery Clift war einmal mehr eine exzellente Wahl für die Rolle Pater Logans, und auch die übrige Besetzung lässt nichts zu wünschen übrig. Anne Baxter spielt eine Frau, die gegenüber ihrem Mann kein Geheimnis aus ihrer Liebe zu Logan macht, und die beider Vergangenheit preisgibt, um Logan zu helfen – auch wenn sie damit das Gegenteil bewirkt. Vor allem aber O. E. Hasse in der Rolle des Otto Keller leistet (wie gewohnt) überzeugende Arbeit als Mann, der zwar vorgibt, durch den Mord seiner Frau zu helfen, in Wahrheit sich aber selbst meint. Vor allem in der Schlussszene, in der Keller Logan gegenübersteht, beweist Hasse all das, was einen guten Schauspieler ausmacht, indem er als Keller in einer für ihn ausweglosen Situation nochmals versucht, den anderen und sich selbst etwas vorzumachen.

    Daneben verkörpert Karl Malden einen intelligenten Polizisten – in Hitchcocks Filmen eher eine Seltenheit angesichts seines kritischen und distanzierten Verhältnisses zur Polizei –, der sich allerdings in seinen eigenen Ermittlungen maßlos verstrickt, weil er die Bedeutung der Umgebung, in der er arbeitet, für das Ermittlungsergebnis nicht erkennt. Zu erwähnen ist schließlich Dolly Haas als Frau Keller, für die im Laufe der Ereignisse die Spannung zwischen der Treue zu ihrem Mann und der Wahrheit unerträglich wird.

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