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    Dark Horse
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Dark Horse
    Von Martin Thoma

    Der Richter kann fliegen. Na gut, nicht richtig fliegen, aber einen guten Zentimeter über dem Boden schweben. Auf dem Kindergeburtstag seiner Tochter kommt dieses Zauberkunststück sehr gut an. Möglich allerdings, dass der Trick nur deshalb so toll funktioniert, weil der treusorgende Vater die Kleinen zuvor versehentlich mit einem Kasten süßen, alkoholhaltigen Sodawassers versorgt hat. Seine Ehefrau ist verständlicherweise irritiert: Irgendetwas stimmt nicht mehr mit ihrem Mann.

    In Dagur Káris („Nói Albinói“) neuer, dieses Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes gelaufenen Komödie „Dark Horse“ stimmt mit jeder Figur irgendetwas nicht. Insbesondere natürlich mit der Hauptfigur Daniel (Jacob Cedergren). Diesen jungen Mann hat der Richter gerade routiniert gelangweilt zu ein paar Tagessätzen gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Denn Daniel verdient seinen Lebensunterhalt damit, Liebeserklärungen anderer Leute an Hauswände zu sprühen. Ansonsten ist er immer darauf bedacht, nichts zu besitzen, was ihm seine Schuldner wegnehmen könnten und betankt seinen Fiat 500 tröpfchenweise mit zusammengeschnorrtem Benzin. Mit diesem - man könnte meinen, etwas zu stereotyp nonkonformistischen - Blechkistchen bringt er eines Tages Francesca (Tilly Scott Pedersen) nach Hause, die gerade ihren Job bei einer Bäckerei verloren hat, weil sie ihn unter dem Einfluss psychedelischer Pilze ausübte. Bei dem zufälligen Zusammentreffen verlieben sich die beiden Tunichtgute. Schade für Daniels besten oder auch einzigen Freund (Nicolas Bro), der ebenfalls in Francesca verliebt ist. Er ist ziemlich dick, hat noch nie mit einer Frau geschlafen, wird aber trotzdem von allen Opa genannt (und darf diesem Namen dann zum guten Ende des Films auch alle Ehre machen). Opa mag klare Regeln, hat seine theoretische Schiedsrichterprüfung mit Auszeichnung bestanden und sollte nur für den praktischen Teil noch ein bisschen an seiner Fitness und am selbstsicheren Auftreten arbeiten.

    Das ist genug Personal, das sind genug Lebens-, Sinnkrisen und Liebesverwicklungen für eine Komödie der etwas schrägen Art. Letzteres muss man hervorheben. Dieser Film kommt aus einem ganz anderen Universum, als die üblichen romantischen Komödien, seien sie nun gelungen (In den Schuhen meiner Schwester) oder grauenhaft (The Wedding Date) und mit der dänischen Komödie à la Italienisch für Anfänger hat er genauso wenig gemeinsam. Im „Dark Horse“-Universum muss die Hauptfigur Daniel erleben, wie die kleine Tochter des Vermieters seinen gesamten Haushalt zur Begleichung eines sehr geringen Teils seiner Mietschulden auf einer Decke ausgebreitet auf der Straße zum Verkauf anbietet. Das ist schon komisch genug. Ergänzt durch folgenden Satz, mit dem das kleine Biest, dem wie üblich feilschenden und bettelndem Daniel Bescheid gibt, dass er sich seinen Hausrat abschminken kann, ist es ganz große absurde Komödie: „Unsere Preise sind wie Cocktailtomaten – klein aber fest.“

    Nun mag so einen sehr trockenen, lakonischen Humor nicht jeder. Wer es überhaupt nicht witzig findet, wenn wie aus dem Nichts und ohne weitere Erklärung eine endlose Reihe Elefanten gemächlich durch eine kleinstädtische Fußgängerzone schreitet oder wer nicht die leiseste Vorstellung davon hat, was daran komisch sein könnte, wenn die 80-jährige Großmutter mal eben ihren kleinen Vorgarten mit der Kettensäge in Ordnung bringt, ohne dass das irgendwem besonders auffallen würde, der braucht nicht weiterzulesen; er wird „Dark Horse“ nicht mögen. Alle anderen sollten sich den Film ansehen. Wer zum Beispiel Jim Jarmuschs Broken Flowers gemocht hat, der müsste ihn eigentlich lieben. Allein schon deshalb, weil ein hoher ästhetischer Anspruch und der Willen, sein Publikum auf leichte – nicht belanglose – Weise zu unterhalten, sonst nur selten so glücklich zusammenfinden.

    Was seine Ästhetik anbelangt, ist dieser Film geradezu ein Lehrstück dafür, wie man mit geringen finanziellen Mitteln optimale Ergebnisse erzielt. Zunächst einmal ist er bis auf eine einzige kurze, aber äußerst wirkungsvolle Einstellung in Farbe in sehr kontrastreichem Schwarz-Weiß gedreht. In der abstrakten Schwarz-Weiß-Welt werden Zeichen und Muster sichtbar, die man in Farbaufnahmen eher übersehen würde. „Dark Horse“ macht sich das in bewusst statischen und genauestens komponierten Einstellungen zunutze (Kamera: Manuel Alberto Claro). Sie zeigen das Außergewöhnliche im Alltäglichen: ein winziges einzelnes Häuschen inmitten einer Plattenbausiedlung, überbordende 70er-Jahre-Inneneinrichtungen, die in Schwarz-Weiß einen ganz neuen Reiz bekommen, Verkehrszeichen, die so auch Botschaften von Außerirdischen sein könnten, Hotelzimmer, die in den Schatten, die ihre elegant designten Lampen werfen, zu verschwinden scheinen. Zusammen mit dem unaufgeregtem Soundtrack, den Dagur Kári mit seiner Band „slowblow“ wie auch schon bei „Nói Albinói“ gleich selbst eingespielt hat, ergibt das eine filmische Oberfläche, die allein schon sehenswert ist.

    Dass die Handlung des Films sehr vorhersehbar verläuft, ist da leicht zu verschmerzen, dass die Figur des Opa etwas zu lächerlich gerät und von Nicolas Bro auch nicht so überzeugend verkörpert wird wie Daniel und Francesca von Jacob Cedergren und Tilly Scott Pedersen, nur ein bisschen ärgerlich. Zumal „Dark Horse“ viel mehr ist als bloß stilvolle Oberfläche. Seine Aufnahmen zeigen beeindruckende Einsichten in die Innenwelten seiner Figuren und lassen den Zuschauer ihr Handeln nachvollziehbarer erscheinen, als es umständlich in die Dialoge gepackte Erklärungen könnten. Und mit dem Zeitpunkt, zu dem der Richter seinem bisherigen Leben zu entschweben beginnt, hebt auch dieser Film ab - im allerbesten Sinn. Bis er uns mit einem wunderschönen Schlussbild verzaubert aus dem Kino entlässt und nebenbei demonstriert, dass Daniels Fiat 500 doch kein platter, sondern ein schlicht genialer Einfall war.

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