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    Schläfer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Schläfer
    Von Christoph Petersen

    Im Sommer 2004 avancierte die deutsche Independant-Satire Muxmäuschenstill unerwartet zum Arthouse-Hit. Wo dieser mit seinem Thema Denunziantentum aber nur auf politisch unkorrekte Weise kokettierte, statt den Zuschauer wirklich zum Nachdenken anzuregen, kommt mit Benjamin Heisenbergs „Schläfer“ nun ein ernsthafter und ernstzunehmender Beitrag ins Kino. Am Beispiel der Freundschaft der Kollegen Johannes und Farid zeigt er die Gefahren einer in Angst erstarrten Gesellschaft, in der jeder jeden auch aus persönlichen Motiven verraten kann, auf und verpackt seine genauen Beobachtungen dabei in einen spannenden, im Münchner Studentenmilieu angesiedelten Thriller mit psychologischem Tiefgang.

    Johannes Merveldt (Bastian Trost, „Gott ist tot“) hat Glück, gleich nach seinem Studium in Berlin hat er an der Technischen Universität München eine Doktorandenstelle am Lehrstuhl für Virologie bekommen. Am Tag bevor er den Job antritt, wird er in einem Park von Frau Wasser (Gundi Ellert), einer Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes, angesprochen. Johannes soll Informationen über seinen algerischen Kollegen Farid (Mehdi Nebbou, München) sammeln. Zunächst weist Johannes diese Bitte weit von sich, als eher Linker ist er natürlich gegen diese Art der Ermittlungen. Langsam entwickelt sich zwischen Johannes und Farid eine Freundschaft, aber immer wieder glaubt der nun übersensibilisierte Johannes Hinweise auf üble Machenschaften Farids zu entdecken. Zwischen Angst und Sympathie schwankend, weiß Johannes zunächst nicht, was er unternehmen soll.

    Gemeinsam lernen die beiden bei einem Kneipenbesuch die Kellnerin Beate (Loretta Pflaum) kennen. Johannes ist sofort hin und weg, doch Beate entscheidet sich für Farid. Die Arbeit in der Uni geht währenddessen gut voran. Beide arbeiten am gleichen Problem, haben für die Lösung aber unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze gewählt. Durch die gemeinschaftliche Zusammenarbeit ohne den üblichen Konkurrenzkampf kommt es schnell zu bahnbrechenden Fortschritten, die erste große Veröffentlichung steht an. Doch ihr Chef Professor Behringer (Wolfgang Pregler, Napola) übergeht Johannes bei der Nennung der wichtigsten Mitwirkenden, dabei hatte er für Farid das Computerprogramm geschrieben, das die Erfolge erst möglich gemacht hat. Durch diese beiden Niederlagen steigert sich Johannes Eifersucht in ungeahnte Höhen und seine Einschätzung Farids verliert jegliche Objektivität. Vertrauensvoll wendet er sich an Frau Wasser…

    Der stärkste Moment des Films beschreibt Johannes ersten Besuch in Farids Wohnung. Durch das Herantreten des Verfassungsschutzes verunsichert, sieht er in jedem orientalischen Teppich, in jedem kleinsten Zeichen von Religiosität ein Anzeichen für Farids potentiellen terroristischen Hintergrund. Ein Zustand des Zwiespalts und Misstrauens, der nicht nur Johannes im Kleinen, sondern unsere ganze, verängstigte Gesellschaft im makroskopischen betrifft. Weiter gedüngt wird dieser Zweifel beim Zuschauer noch durch den Umstand, dass er nie erfährt, was die Behörden gegen Farid wirklich in der Hand haben. Er sieht immer nur die abgeklärte Frau Wasser, die über alle Beteiligten viel zu wissen scheint, auf Johannes Aussagen aber nur mit dem Schreiben von Notizen reagiert. Ob nun schuldig oder nicht, auf jeden Fall wird das unerträgliche Ausmaß der Herabwürdigung bewusst, das Farid als Betroffener einer Rasterfahndung über sich ergehen lassen muss. Vom Diebstahl seines Computers bis hin zur entführungsgleichen Festnahme bleibt jede Rechtfertigung der staatlichen Maßnahmen im Dunkeln.

    Das wirklich Spannende spielt sich aber bei „Schläfer“ im Privaten ab. Zunächst lehnt Johannes die Arbeit für den Verfassungsschutz wegen seiner politischen Einstellung ab. Erst als er aus der Sache berufliche und beziehungstechnische Vorteile ziehen kann, willigt er ein. Das ist zum einen die große Gefahr dabei, wenn sich staatliche Ermittlungen auf zivile Hilfe verlassen müssen. Und zum anderen ist das genau dieselbe Dynamik, die auch bei Vorurteilen einsetzt. Die übernimmt man auch nur in seine persönliche Weltsicht, wenn sie einem nützlich sind, einem dabei helfen, sich selbst zu belügen. Auch Johannes belügt sich selbst, wenn er Frau Wassers Worte („Der Farid kann sich doch freuen, wenn gerade sie es machen, wo sie doch so integer sind.“) in sich aufsaugt, um so sein Gewissen auf die einfachste Weise zu beruhigen. Indem Regisseur Heisenberg sich als „Verräter“ keinen rechten Pedanten, den man sich typischerweise als Denunzianten vorstellt, sondern einen aufgeklärten Studenten wählt, macht er es sich nicht leicht. Zeigt so aber deutlich, dass wir alle aufpassen müssen, nicht in einen solchen Strudel aus Angst, Verunsicherung und persönlicher Vorteilnahme zu geraten.

    Im Gegensatz zum thematisch ähnlich gelagerten „Fremder Freund“ von Elmar Fischer, der mit digitaler Handkamera ganz nah an die Charaktere ging, beschreitet Heisenberg in seinem Abschlussfilm für die HFF München einen distanzierteren Weg. In teilweise unerträglich langen, aber aufregenden Einstellungen beobachtet er Gefühlszustände und Schicksale, die als Dialog ausgewälzt noch erheblich mehr Zeit in Anspruch nehmen würden. Bestes Beispiel ist das Frisbeespiel im Park. Wie sich Johannes, Farid und Beate die Scheibe zuwerfen und die Blicke, die Johannes und Farid nach Beates Verschwinden in den Wald austauschen, bedeuten eine ganze, kleine Welt. Auch wenn „Schläfer“ ein etwas abseitiges Thema behandelt, ist er doch einer der gelungensten Filme zum Oberbegriff Terrorismus überhaupt.

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