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    Borat - Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Borat - Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen
    Von Christoph Petersen

    Spätestens seit seinem Auftritt in Madonnas Videoclip zu „Music” ist der antisemitische, menschenfeindliche und nymphomanische Möchtegern-Jamaikaner „Ali G“ auch hierzulande einem breiteren Publikum bekannt. Und mittlerweile gab es auch die britische (2000) und amerikanische (2003-04) Variante seiner TV-Comedy „Da Ali G Show“ im deutschen Musikfernsehen und den dazugehörigen Film „Ali G. Indahouse“ sogar auf der großen Leinwand zu sehen. Weit weniger bekannt ist hingegen der Mann hinter dieser Kunstfigur: Sacha Baron Cohen, der zuletzt als schwuler Franzose Jean Gerard in "Ricky Bobby – König der Rennfahrer" für unvergessliche Comedy-Momente gesorgt hat. Neben „Ali G“ hat Cohen auch noch eine zweite Figur entworfen, die sich nun gerade in Kriegszeiten immer stärker ins popkulturelle Bewusstsein drängt: den kasachischen Journalisten Borat – sexistisch und rückständig bis zum Gehtnichtmehr, fühlt er der so genannten amerikanischen „Zivilisation“ ohne jeden Anflug von political corectness mal so richtig auf den Zahn. Und auch in seinem ersten Leinwandabenteuer, einer bitterbösen Impro-Fake-Doku-Comedy mit dem vollständigen Titel „Borat – Kulturelle Lernung von Amerika um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“, trifft er genau die richtige Mischung aus bissiger Gesellschaftssatire und purem Schwachsinn.

    Der kasachische TV-Journalist Borat (Sacha Baron Cohen) hat den Auftrag bekommen, in Amerika eine Dokumentation über die kulturellen Vorzüge der US und A zu drehen, mit deren Hilfe endlich die wirtschaftlichen, sozialen und Juden-Probleme des eigenen Landes gelöst werden sollen. Doch kaum in New York gelandet, muss das Projekt auch schon die ersten Rückschläge einstecken. Nicht nur ist das Hotelzimmer (Aufzug) merkwürdig klein, auch gehen langsam die Zigeunertränen (gegen Aids!) zur Neige und sowieso scheint niemand auf die Offenherzigkeit von Borats Besuch (Küsschen hier, Küsschen da) wirklich vorbereitet zu sein. Da entdeckt Borat im Fernsehen eine Serie namens „Baywatch“: Sie hat Haare aus Gold, Zähne weiß wie Perlen und das Arschloch einer 7-Jährigen. Zum ersten Mal in seinem Leben hat sich Borat so richtig verliebt – und zwar in die „ganz bestimmt jungfräuliche“ Superblondine Pamela Anderson. Aber weil seine Frau angedroht hat, ihm den Schwanz abzuschneiden, falls er ihn in eine andere Frau steckt, sind Borat zunächst die Hände gebunden. Erst als seine Frau in Kasachstan von einem Bären vergewaltigt und anschließend getötet wird, ist sein Weg ins Paradies endgültig frei und ein aberwitziger Road-Trip (Fliegen ist nicht, die Juden könnten ja jederzeit ihre Anschläge vom 11. September wiederholen) quer durch die US und A bis ganz nach Kalifornien nimmt seinen Lauf…

    Leicht schäbig wirkende Bilder mit Eseln, dreckigen Schweinen und alten Männern mit Vollbart und historisch anmutenden Mützen – die ersten Einstellungen von „Borat“ scheinen noch einem typischen Arthouse-Drama entliehen. Doch wenn dann unter den ganzen Einsiedlern des Dorfes auch der berüchtigte Town-Rapist vorgestellt wird und die Kleinen im Kindergarten alle mit ihrer eigenen Kalaschnikow herumhantieren, wird die absurde Zielsetzung des Films schnell deutlich. Dabei lassen sich die Gags in zwei Gruppen aufteilen – einmal die mit und einmal die ohne tieferen Sinn und gesellschaftliche Bedeutung. Wenn Borat einen peinlich berührten Politiker mit der Frage Meinen sie wirklich, dass der Mann, der mir eine Gummifaust in meinen Anus stecken wollte, ein Homosexueller ist? verblüfft, oder einen Autokäufer mit der Nachfrage Wenn ich mit dem Auto in eine Gruppe Zigeuner fahren würde, würde dem Auto dann was passieren? verbal überfährt, ist das zwar wunderbar funktionierender dunkelschwarzer Humor, viel mehr als gekonnte und eiskalt durchgezogene Improvisations-Comedy steckt aber noch nicht dahinter.

    Für das „Mehr“ gibt es aber genügend andere Szenen, in denen Borat politische und gesellschaftliche Missstände mit einer solch bitterbösen Konsequenz aufdeckt, dass einem das Lachen mehr als nur einmal im Halse stecken bleibt. Bestes Beispiel dafür ist seine Ansprache vor einem Südstaaten-Rodeo: “Ich möchte euch sagen, dass wir im Kampf gegen den Terrorismus voll hinter euch stehen!“ Tosender Applaus! “George Bush sollte jeden einzelnen Terroristen auf dieser Welt töten! Tosender Applaus! “Und er sollte nicht ruhen, ehe er vom Blut jedes einzelnen Irakers und auch dem ihrer Frauen und Kinder getrunken hat! Der folgende Applaus ist nur minimal schwächer als der vorherige. Auch ein christliches Osterfest, bei dem republikanische Senatsmitglieder und Richter des Supreme Courts anwesend sind, lässt tief in die Seele der amerikanischen Rechten blicken – bei all den göttlichen Erfahrungen, die hier gemacht werden, scheint der ultrasexistische Kasache Borat noch der normalste Gast zu sein. Hier dürften wirklich nur noch republikanische Sklaventreiber um unaufhörlich fließende Lachtränen herumkommen.

    Gerade bei den absurdesten Szenen, zum Beispiel wenn Borat Pamela Anderson bei einer Autogrammstunde gegen alle Widerstände (jede Menge Bodyguards) in seinen Hochzeitssack zu stecken versucht, fragt man sich natürlich immer wieder, ist dies nun gerade echt, oder ist es vielleicht doch nur gespielt. Zumindest was die Abschnitte mit republikanischen Politikern, texanischen Rodeoreitern und Feministinnen angeht, muss man aber wohl leider ganz stark davon ausgehen, dass die Reaktionen der Anwesenden komplett ernst gemeint sind. „Borat“ erreicht ein neues Level der Unterhaltung – er bedient von plattestem Fäkalhumor bis hin zu hochintelligenter Politsatire jedes denkbare Humor-Niveau, macht dabei keine Gefangenen und ist sich für wirklich nichts (einen sehr nackten, sehr haarigen und sehr schwitzigen Hotelzimmerkampf eingeschlossen) zu schade. Man nehme die politische Schlagfertigkeit eines Michael Moore und würze sie mit einer gehörigen Portion „Jackass“ – wenn man diese explosive Mischung dann noch einmal mit 1000 malnimmt, dürfte man so langsam eine Vorstellung davon bekommen, in welche Regionen sich Cohen mit seiner – trotz allen bitteren Wahrheiten – urkomischen Comedy vorwagt. Vorsicht: absolute Kultfilmgefahr!

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