Mein Konto
    Die Passion Christi
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Die Passion Christi
    Von Jürgen Armbruster

    Viel war zu lesen und zu hören im Vorfeld zu Mel Gibsons „Die Passion Christi“. Zu gewalttätig sagen die einen, antisemitisch die anderen. Von manchen Seiten musste Gibson gar den Vorwurf der Blasphemie über sich ergehen lassen. Fakt ist, dass es sich bei der Verfilmung des Leidensweges Jesu um eines der kühnsten Filmprojekte aller Zeiten handelt. Nach dem grandiosen US-Start des Films (264 Millionen US-Dollar innerhalb von nur 19 Tagen) entschloss sich der deutsche Filmverleih Constantin dazu, den hiesigen Filmstart vom eigentlich geplanten Gründonnerstag auf den 18. März vorzuverlegen, um das allgemeine Medien- und Publikumsinteresse auszunutzen. Ein Umstand, dem „Die Passion Christi“ nicht nötig gehabt hätte, denn was Gibson hier abliefert, ist ein bildgewaltiges, unvergessliches Kunstwerk, dem auch ohne diese öffentlichkeitswirksame Maßnahme der ganz große Erfolg vorherbestimmt wäre.

    Die Geschichte ist wohl eine der bekanntesten der westlichen Hemisphäre, doch trotzdem soll sie an dieser Stelle noch einmal kurz umrissen werden. „Die Passion Christi“ erzählt die letzten zwölf Stunden im Leben von Jesus von Nazareth (Jim Caviezel). Nach dem letzten Abendmahl mit seinen Jüngern wird dieser von Judas (Lucas Lionello) an die pharisäischen Hohepriester verraten und im Garten Gethsemane gefangen genommen. Die Hohepriester – allen voran deren Anführer Kaiphas (Mattia Sbragia) – fürchten durch Jesus ihren gesellschaftlichen Status zu verlieren und beschuldigen ihn daher der Gotteslästerung und verlangen seinen Tod. Doch weder der römische Statthalter Pontius Pilatus (Hristo Naumov Shopov), der erkennt, dass es sich bei den Anschuldigungen um eine politische Intrige handelt, noch König Herodes sind gewillt, das Todesurteil zu besiegeln. Um dem Druck der durch Kaiphas angestachelten Massen nachzukommen, beschließt Pontius Pilatus schließlich, Jesus foltern zu lassen. Doch der Pöbel ist dadurch immer noch nicht besänftigt. Pontius Pilatus stellt den wütenden Mob schließlich vor die Wahl, wem er die Freiheit schenken soll: Jesus oder dem Mörder Barabbas (Pietro Sarubbi). Das Volk wählt Barabbas. Jesus’ Hinrichtung am Kreuz und sein letzter, qualvoller Gang zum Berg Golgatha sind beschlossene Sache.

    Lange Zeit stand es gar nicht gut, um Gibsons Vorhaben, die Leidensgeschichte Jesu zu verfilmen. Schon seit Jahren wuchs in den gläubigen Katholiken die Gewissheit, dieses Projekt unbedingt umsetzen zu wollen, doch es fand sich keine Produktionsfirma, die ihm die finanziellen Mittel zur Verfügung stellte. Das Vorhaben des gebürtigen Australiers, den Film um größtmögliche Glaubwürdigkeit zu gewährleisten in den damaligen Sprachen Aramäisch, Latein und Hebräisch zu drehen, war kommerziell einfach ein zu großes Risiko. An einem gewissen Punkt war es Gibson schließlich leid, wie Don Quichotte gegen die Windmühlen um die nötigen Gelder kämpfen zu müssen. Kurzerhand trug er die Produktionskosten (je nach Quelle schwankend zwischen 30 und 40 Millionen US-Dollar) selbst. Was folgte ist bekannt. Angeheizt durch die öffentlichen Diskussionen entwickelte sich selbst ohne den Einsatz kostspieliger Werbemittel ein derart breites Interesse, dass „Die Passion Christi“ in Amerika in der ersten fünf Tagen über 117 Millionen US Dollar einspielte und damit zum fünfterfolgreichsten Film aller Zeiten avancierte. Damit ist bereits jetzt klar, dass dieser Film der wohl profitabelste Film für eine Einzelperson in der Kinogeschichte ist. Und das alles, obwohl Gibson nur den Film drehte, der ihm am Herzen lag.

    Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) bezeichnete „Die Passion Christi“ in einem in Hannover veröffentlichten Schreiben als „grausiges, Blut triefendes Werk, das sich an den Schmerzen des Erlösers weidet“, womit wir beim Thema „Brutalität“ wären. Ist dieser Film wirklich so brutal, wie allerorts zu vernehmen ist? Oh ja, das ist er. Gibsons Absicht war es von Beginn an, die Leiden Jesu so authentisch wie möglich darzustellen. Dies ist ihm auch gelungen. Spätestens als bei der Folterung Jesu das Flagrum zum Einsatz kommt, werden selbst hart gesottene Gemüter auf eine harte Probe gestellt. Das Flagrum war ein zur damaligen Zeit berüchtigtes, weit verbreitetes, römisches Folterinstrument, eine Peitsche mit vielen Riemen, an deren Spitzen sich Widerhaken befinden, die die Haut vom Körper des Opfers abreißen sollte. Schon allein die Vorstellung dieses Instrumentes mutet grausam an, doch Gibson zeigt die Geißelung Jesu minutenlang. Er schwenkt die Kamera nicht weg und arbeitet lediglich mit dem Einsatz von Ton und schmerzvollen Schreien, wie es viele an seiner Stelle tun würden. Nein, er hält die Kamera voll auf die abscheuliche Szenerie und zeigt dem Zuschauer, was es zur damaligen Zeit für eine Person bedeutete, in die Mühlen der römischen Justiz zu geraten.

    Doch diese Folter ist erst der Anfang. Den tragischen Höhepunkt finden die Leiden Jesu schlussendlich mit der Kreuzigung am Berg Golgatha. Auch hier zeigt Gibson alles, aber auch wirklich alles. Dem Zuschauer wird Schlag um Schlag (oft zusätzlich in Zeitlupe) gezeigt, wie Jesu durch die Nägel an Händen und Beinen am Kreuz befestigt wird. Und mit jedem Schlag sinkt der Zuschauer zwangsläufig tiefer in seinen Kinosessel. Er möchte wegschauen, kann es aber nicht. „Die Passion Christi“ ist bei weitem der brutalste Film den ich, der Autor dieser Zeiten, jemals zu Gesicht bekommen habe.

    Muss dem EKD also mit ihrer Einschätzung von „Die Passion Christi“ Recht gegeben werden? Ist der Film ein „grausiges, Blut triefendes Werk, das sich an den Schmerzen des Erlösers weidet“? Kann man dieses Zitat so unterschreiben? Nein, denn was der EKD hier von sich gegeben hat, grenzt schon fast an Heuchelei. „[…]gelitten unter Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben[…]“. Diese zwei Zeilen aus dem Apostolischen Glaubensbekenntnis werden Woche für Woche in den Kirchen allerorts gepredigt. Mel Gibson macht nichts anderes, als diesen abstrakten Zeilen Leben zu verleihen. Was denkt der EKD eigentlich, wie eine Kreuzigung aussah? Friede, Freude, Eierkuchen? Gibson zeigt schonungslos auf, dass der Christliche Glaube auf den unmenschlichen Leiden eines einzelnen Mannes zurückzuführen ist (akzeptieren wir an dieser Stelle der Einfachheit halber vorbehaltlos die Existenz der realen Person Jesus von Nazareth). Ein Umstand, mit dem wohl nicht jedes Kirchenoberhaupt zu Recht kommt…

    Ist „Die Passion Christi“ antisemitisch? Die Antwort kann nur wie folgt ausfallen: Der Film ist genau so antisemitisch wie die Bibel. Gibson macht das einzig Richtige, indem er jede im Film handelnde Fraktion einen Teil der Schuld am Tode Jesu gibt. Die Hohepriester der Juden, da sie das Volk gegen Jesu aufstachelten. Das Volk, da sie sich von den Hohepriester hat beeinflussen lassen. Pontius Pilatus, da er das Unrecht sah und nichts dagegen unternahm. Die Römer, da sie Jesu diese unmenschlichen Qualen haben erleiden lassen und sich dabei noch prächtig amüsierten. Gibson maßt es sich nicht an, eine dieser Gruppen als Hauptverantwortliche für den Tod Jesu zu zeichnen. Bei „Die Passion Christi“ ist die mit der Bibel konforme kollektive Menschenschuld ohne Einschränkungen umgesetzt.

    In Anbetracht des Gesehenen fällt es äußerst schwer, zu objektiven Beurteilungen einzelner Punkte überzugehen und insbesondere die Leistungen der einzelnen Schauspieler einzuordnen. Daher soll an dieser Stelle auch nur auf den Hauptdarsteller Jim Caviezel eingegangen werden. Und auch dies kann schnell abgehandelt werden. Seine Leistung steht eigentlich über allem, das in den letzten Jahren in bewegten Bildern zu sehen war. Der Darsteller aus der zweiten Reihe Hollywoods beweist eindrucksvoll, dass er zu ganz Großem im Stande ist. Ihm gelingt es in einem Gesichtsausdruck, gleichermaßen unsäglichen Schmerz und grenzenlose Hoffnung zu vereinen. Es konnte zwar durchaus angezweifelt werden, dass Caviezel für die Rolle des Jesus Christus die Idealbesetzung ist, doch nachdem man ihn gesehen hat, fällt es schwer sich vorzustellen, dass ein Darsteller diese schwierige Aufgabe hätte besser meistern können. Mit einem Wort: grandios! Dabei kommt Caviezel wohl auch zugute, dass er ähnlich wie Gibson tief gläubig ist.

    Es wird überliefert, dass der Papst höchstselbst nach Begutachtung von „Die Passion Christi“ nicht mehr und nicht weniger als „Es ist, wie es war!“ gesagt haben soll. Zwar wurde dies von Seiten des Vatikans öffentlich dementiert, doch treffender lässt sich nicht beschreiben, was Mel Gibson gemeinsam mit Drehbuchautor Benedict Fitzgerald und Kameramann Caleb Deschanel (dem die grandiosen Bilder vor dem Hintergrund der süditalienischen Stadt Matera zu verdanken sind) schuf, ist einer der eindringlichsten Filme aller Zeiten. „Die Passion Christi“ wird sich wie kein zweiter Film seit „Schindlers Liste“ ins Bewusstsein der Zuschauer hämmern. Jeder, der auch nur am Rande mit dem Christlichen Glauben zu tun hat, sollte sich dieses Meisterwerk nicht entgehen lassen.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top