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    Sylvia
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Sylvia
    Von Jürgen Armbruster

    Der Mythos Sylvia Plath ist nur schwerlich zu begreifen oder gar zu erklären. Als sie 1963 mit gerade einmal 30 Jahren den Freitod wählte, hatte sie bereits Werke geschaffen, die sie noch heute zu einer der bedeutendsten Lyrikerinnen der englischsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts macht. Eigentlich muss angezweifelt werden, ob irgendeine Verfilmung einem solch außergewöhnlichen Leben überhaupt gerecht werden kann. Christine Jeffs’ muss zumindest hoch angerechnet werden, dass sie es mit „Sylvia“ zumindest versucht hat. Als Charakterdrama besitzt der Film durchaus seine Vorzüge, doch als die Biographie einer faszinierenden Persönlichkeit scheitert „Sylvia“ leider auf ganzer Linie.

    Wenn es jemals eine leidenschaftliche Autorin gab, dann war dies sicherlich Sylvia Plath (Gwyneth Paltrow). Bereits im Alter von acht Jahren schreibt sie erste Gedichte. Doch gemeinsam mit ihrem Genie wachsen auch Sylvias Depressionen. 1953 versteckt sie sich in einem Zwischenstock des elterlichen Wohnhauses und versucht erstmals, sich das Leben zu nehmen. Sie überlebt nur, weil sie zu viele Schlaftabletten schluckt und diese wieder erbrechen muss. Der eigentliche Film setzt drei Jahre später ein. Sylvia studiert dank eines Stipendiums mittlerweile am Newham College in Cambridge, England. Dort lernt sich auf der Gründungsparty eines Literaturmagazins den ebenfalls überaus talentierten Autor Edward „Ted“ Hughes (Daniel Craig) kennen. Die beiden verlieben sich auf Anhieb ineinander und bereits wenige Monate später wird geheiratet.

    Die folgenden Jahre verbringt das junge Paar in Amerika, wo Sylvia eine Stellung als Englischlehrerin am Smith College annimmt. Doch zuvor geht es in die Flitterwochen nach Cape Cod, wo sich beide voll der Schriftstellerei widmen und sich gegenseitig zu Höchstleistungen anstacheln. Doch bereits dort zeichnen sich erste Probleme ab. Sylvia glaubt nicht an ihre eigenen Fähigkeiten als Autorin und investiert stattdessen all ihre Energie darin, für Ted ein möglichst gutes Umfeld zum Schreiben zu schaffen. Arbeiten, sich um die gemeinsamen Kinder kümmern, Ted eine gute Ehefrau sein… Dabei verfällt sie zusehends mehr ihren immer stärker werdenden Depressionen. Als Ted sie dann auch noch betrügt, droht die Situation zu eskalieren. Erst als sie sich vom ihm trennt, kommt es bei Sylvia zu einer kurzen, aber umso gewaltiger Entladung der in ihr angestauten, kreativen Energie, die jedoch ein tragisches Ende nimmt…

    Was zeichnete die Person Sylvia Plath und ihre Werke, die in so verhältnismäßig jungen Jahren entstanden, aus? Der Film gibt auf diese Frage leider keine Antwort. Dass die Bedeutung lyrischer Texte nur sehr schwerlich über das Medium Film zum Publikum transportiert werden kann, ist nicht weiter verwunderlich. Zwar ist insbesondere in den Gesprächen mit dem Verleger Al Alvarez (Jared Harris) immer wieder von einer bildgewaltigen Sprache und faszinierenden Metaphern die Rede, doch was denn nun an den Werken Sylvia Plaths so besonders sein soll, wird dem weniger belesenen Publikum nach diesem Film nicht wirklich klar sein. Auch der Schaffungsprozess wird nicht greifbar vermittelt. Eigentlich beschränkt sich dieser darauf, dass Sylvia immer wieder mit Tränen in den Augen irgendwas in die Schreibmaschine hämmert und dies von der Erzählstimme aus dem Off vorgetragen wird. Auf Dauer wirkt das recht eintönig. Doch da sich solche innerlichen Prozesse nur äußerst schwer filmisch darstellen lassen, kann dies gerade noch so verziehen werden.

    Unverzeihlich ist allerdings, dass die biographischen Aspekte der Lebensgeschichte von Sylvia Plath Löcher aufweist wie der Deutsche Bundeshaushalt. Dass Sylvia 45 Ablehnungen kassierte, bis ihre erste Geschichte in der Zeitschrift Seventeen veröffentlicht wird, erfährt der Zuschauer nicht. Informationen über ihren sehr prägenden Aufenthalt in New York erhält er nur am Rande. Doch was das Schlimmste ist: Die Fehlgeburt des ersten Kindes von Sylvia und Ted wird vollkommen ignoriert und nicht mit einem einzigen Wort erwähnt! Gerade diese Ereignisse sind doch von immenser Bedeutung, wenn es darum geht, die Person Sylvia Plath zu verstehen. Warum diese daher nicht eingebaut wurden, ist ein absolutes Rätsel und vollkommen unverständlich. An der Spieldauer kann es nicht gelegen haben. Die 110 Minuten hätten durchaus gestrafft und somit Platz für die eine oder andere zusätzliche Episode geschaffen werden können. Dem Film hätte dies sicherlich nicht geschadet.

    Abseits dieser inhaltlichen Unzulänglichkeiten ist „Sylvia“ für sich genommen aber trotzdem ein durchaus überzeugendes Charakter-Drama, was insbesondere ein Verdienst seiner stark aufspielenden Hauptdarstellerin ist. Die Entwicklung, die Gwyneth Paltrow von der lebensbejahenden jungen Schriftstellerin hin zur verbitterten, betrogenen Frau durchläuft, ist allein das Eintrittgeld wert. Höhepunkt des Films ist eindeutig Sylvias Freitod. Die Kühle, die Paltrow in dieser bedrückenden Sequenz an den Tag legt, erinnert an Corinna Harfouch in „Der Untergang“. Nur dass Sylvia eben mehr Herz zeigt und den Kindern vor dem eigenen, tragischen Ende noch sogar je eine Scheibe Brot und ein Glas Milch ans Bett stellt. Was Paltrow hier abliefert, ist mit Abstand die eindringlichste Vorstellung, die bisher von ihr auf der Leinwand zu sehen war. Die Rolle des ebenfalls brillanten Schriftstellers und Plath-Gatten Ted Hughes wurde an Daniel Craig („Road To Perdition“, „Lara Croft: Tomb Raider“) vergeben. Eine äußerst undankbare Rolle. Eigentlich beschränkt sich seine Aufgabe darauf, Sylvia ein ums andere mal in ein neues, tiefes Loch zu reißen. Abverlangt wird ihm nicht viel. Von den Nebendarstellern hinterlassen am ehesten Michael Gambon als Sylvias Nachbar und der bereits erwähnte Jared Harris als Sylvias Verleger einen bleibenden Eindruck. Doch im Prinzip ist „Sylvia“ eine One-Woman-Show, in der kein großer Platz für weitere, sich in den Mittelpunkt spielende Charaktere bleibt.

    „Sylvia“ erinnert durch seine tragische, hoffnungslose Inszenierung an Stephen Daldrys „The Hours“. Wer immer irgendwann der Meinung sein sollte, an chronischer guter Laune zu „leiden“, sollte sich einen dieser Filme anschauen. Das Problem sollte sich damit erledigt haben. Doch Hand auf Herz: Für wen wurde „Sylvia“ eigentlich gedreht? Wer sich bereits mit dem Leben von Sylvia Plath beschäftigt hat, wird enttäuscht sein. Als biographisches Werk scheitert der Film schlicht und einfach. Und wer sonst sollte ein Interesse an diesem Film haben? In den USA entwickelte sich der Film jedenfalls zu einem echten Ladenhüter. Ein Einspiel von nur 1,3 Millionen Dollar sind eine ausgewachsene Katastrophe. Dass der Film überhaupt in den deutschen Kinos veröffentlicht wird, stand lange Zeit in den Sternen. Über ein Jahr nach dem US-Start ist es nun doch noch soweit. Einen Blick ist „Sylvia“ zwar allemal wert, doch ob ihm hierzulande ein anderes Schicksal erwartet, darf zumindest angezweifelt werden.

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