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    Metallica: Some Kind of Monster
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Metallica: Some Kind of Monster
    Von Matthias Reichel

    Der Zeitraum zwischen Januar 2001 und der Veröffentlichung des Albums „St. Anger“ am 5. Juni 2003 gehört zu den spannendsten in der Geschichte der Rockmusik. Die Band Metallica, das Aushängeschild des Heavy Metal, war drauf und dran, an den Egos ihrer Mitglieder kaputt zu gehen. Von dieser turbulenten Zeit handelt der packende, intensive Dokumentarfilm „Metallica: Some Kind Of Monster“, den die beiden Filmemacher Joe Berlinger und Bruce Sinofsky in akribischer Kleinarbeit zusammengestellt haben. Fast drei Jahre verbrachte das Regieduo in unmittelbarer Nähe der Band und bekam so die wohl aufregendste Zeit in der Geschichte von Metallica mit.

    Das emotionale Chaos bei Metallica war groß. Drummer Lars Ulrich trieb den Prozess gegen die Betreiber der Internet-Tauschbörse Napster voran und handelte einen neuen Plattenvertrag aus. Bassist Jason Newsted wollte derweil sein Soloprojekt „Echobrain“ verwirklichen, stieß aber auf das Veto seiner Kollegen, was ihm letztendlich den Job bei Metallica kostete. Sänger und Gitarrist James Hetfield kämpfte gegen seine eigenen Dämonen und lieferte sich freiwillig in eine Drogenentzugsklinik ein. Das alles kostete unendlich Zeit und behinderte die Produktion des neuen Studioalbums nachhaltig.

    Nach Hetfields Rückkehr wurde ein Psychologe für eine Monatsgage von 40.000 Dollar eingestellt, um den Annäherungsprozess der Herren Hetfield, Hammett und Ulrich so reibungslos wie möglich zu gestalten. Ja, und ganz nebenbei musste auch noch ein neuer Bassist gefunden werden. Am 24. Oktober 2003 wurde Ex-Suicidal-Tendencies-Basser Robert Trujillo der Öffentlichkeit als neuer Mann an den vier Saiten präsentiert und mit einer Bonuszahlung in Höhe von einer Million Dollar heiß auf den Job gemacht, der bei den Aufnahmen zu „St. Anger“ noch von Produzent Bob Rock ausgeführt wurde.

    Bei den euphorischen Vorberichten von den Studiosessions konnte keiner ahnen, dass das erste Studioalbum seit „ReLoad“ (1997) zu einer der kontroversesten Platten aller Zeiten werden würde. Denn kaum war die CD auf dem Markt, begannen sich Fans und Medien untereinander (!) zu zoffen. In wochenlangen, wilden Diskussionen über den blechernen Schlagzeugklang, das eigenartige Songwriting und den neuerdings cleanen James Hetfield, entzweiten sich sogar die Redaktionen großer Metal-Magazine bei der Frage, ob „St. Anger“ ein Meisterwerk oder der endgültige Niedergang der größten Heavy-Metal-Band aller Zeiten sei. Am Ende stand fest: „St. Anger“ kann man nur lieben oder hassen. Dazwischen war nur wenig Spielraum. So wanderte das Album bei vielen enttäuschten Fans in die hinterste Regalecke, während sich die glühenden Verehrer noch heute mit einem wohligen Prickeln auf die CD stürzen, um sich vom Orkan des „heiligen Zorns“ umblasen zu lassen.

    Während sich die Rockwelt die Köpfe heiß redete, kümmerten sich Metallica nicht im Geringsten um die stattfindenden Diskussionen. Die Band ging hoch motiviert auf große Welttournee, die zu einem Triumphzug geriet. Die Massen feierten ihre Lieblinge so enthusiastisch wie noch nie ab und der Ärger um „St. Anger“ war rasch verflogen. In einem Bühnenprogramm, bei dem die großen Speed- und Thrash-Klassiker der Band im Vordergrund standen, fügten sich die neuen, extrem aggressiven Songs perfekt ein, sodass auch die „St. Anger“-Kritiker hellhörig wurden. Auf einmal machte das Ganze Sinn und auch der Letzte verstand plötzlich, weshalb dieses Album genau so sein musste. Es rettete der Gruppe Metallica das Leben und trug zur Selbstfindung eines ins Wanken geratenen Metal-Schlachtschiffs bei.

    Die Chronisten Berlinger und Sinofsky

    sammelten mehr als 1.200 Stunden Filmmaterial zusammen, das auf kinotaugliche 140 Minuten eingedampft wurde. Dabei sehen wir die Band in den privatesten Momenten. Kirk beim Surfen, James beim Cruisen auf dem Highway und Lars im Kreis seiner Familie. Und natürlich sind die drei zusammen mit Bob Rock im Studio zu sehen, das Metallica diesmal ohne irgendwelche Songideen oder fertige Riffs aufsuchten. Hier beginnt der schmerzhafte Prozess, nach Jahren der Egotrips und Alleingänge erstmals ZUSAMMEN ein Werk zu erschaffen. Früher kamen Hetfield und Ulrich mit neuen Songs an, die die Band gefälligst zu spielen hatte. Für „St. Anger“ wurde wochenlang geprobt, wieder verworfen und nochmals probiert, bis die Jungs völlig demoralisiert das Handtuch schmeißen wollten. Nichts passte zusammen. Die Musik klang übel und total uninspiriert und der selbst engagierte Psychiater ging der Band inzwischen auf die Nerven. Irgendwann zog Hetfield den Stecker und begab sich in eine Drogenentzugsklinik. Damit lagen die Aufnahmen vorerst auf Eis und Metallica verabschiedeten sich in einem nicht definierbaren Schwebezustand.

    Im Laufe des Films spürt der Zuseher sehr deutlich: Diese Band hat ein großes Problem, wie auch die berührenden Interviews mit Ex-Gitarrist Dave Mustaine (Megadeth) und Ex-Bassist Jason Newsted zeigen, der Metallica nach 14 Jahren verlassen musste. Ihm ist immer noch anzumerken, dass er es bis heute nicht verstanden hat, dass die Beziehung zu seinen Freunden und Kollegen wegen solch einer Kleinigkeit (ein läppisches Soloprojekt!) scheitern konnte. Nach allem, was die Band gemeinsam durchgemacht hatte, ein unfassbar schlechter Witz.

    Mehr als ein halbes Jahr lagen die Aufnahmen zu „St. Anger“ brach. Die Dreharbeiten für „Some Kind Of Monster“ dauerten bereits 14 Monate an, als Hetfield aus der Reha zurückkehrte. Trotzdem dauerte es weitere acht Wochen, bis die Band die Aufnahmen wieder aufnahm. Und auch danach gestalteten sich die Sessions so unglaublich zäh und schwierig, dass jederzeit mit dem Ende von Metallica zu rechnen war. Denn eine Frage stand ständig im Raum: Wie sollen derart zerstrittene Menschen zukünftig überhaupt noch miteinander klarkommen? Nun ja, am Ende haben sich die drei Kumpel doch irgendwie zusammengerissen und ein paar extrem produktive Wochen für sich genutzt. Die eigentliche Erlösung fand allerdings statt, als in Rob Trujillo der neue Bassist gefunden wurde, der exakt auf der Wellenlänge von Metallica lag. Auf einmal war die alte Magie in die Band zurückgekehrt, mit der Metallica vor mehr als 20 Jahren aufbrauchen, um die Heavy-Metal-Welt zu revolutionieren.

    „Metallica: Some Kind Of Monster“ ist ein schockierender Einblick hinter die Kulissen der erfolgreichsten Heavy-Rockband aller Zeiten. Der Zuseher ist hautnah dabei, wenn ein paar 40-jährige Millionäre über Jahre hinweg von einer Katastrophe in die nächste rutschen, sich völlig zerstreiten und in einen totalen kommunikativen Zusammenbruch schliddern. In dieser Zeit stand die Band mehrmals vor dem Ende. Doch am Ende wird alles gut. Und deshalb ist der schönste Moment des Films, wenn sich Kirk, James und Lars das fertige Ergebnis dieser Dokumentation anschauen und gemeinsam darüber lachen können, wie kindisch sich alle während der letzten Jahre benommen haben. In diesem Moment wird klar, das Monster namens Metallica lebt auch zukünftig weiter. Gott sei es gedankt!

    Aus dem schier endlosen Filmmaterial haben Joe Berlinger und Bruce Sinofsky einen chronologischen Einblick in das Seelenleben der Bay-Area-Thrasher montiert, der schonungslos die Gefühle und die Befindlichkeiten der Bandmitglieder offen legt. Die beiden hatten das große Glück, dass sie die Kamera einfach nur draufhalten mussten und die Band bei ihrem Tanz am Abgrund beobachten konnten. Hier ist nichts gekünstelt oder gestellt. Und wenn Ulrich und Hetfield mal wieder den Tränen nahe sind, spürt auch der Zuseher, vor welcher Katastrophe Metallica standen. Bezeichnend ist das Auftaktgespräch zwischen der Band und den Filmemachern, als Berlinger und Sinofsky erklären, wie sie sich die Dokumentation vorstellen. Dass tagtäglich mehrere Kameras, Tonleute und so weiter um die Band herum sein würden, um jeden Schritt zu beobachten. Offensichtlich wird den Jungs von Metallica erst in diesem Moment klar, auf was sie sich eingelassen haben, denn auf die abschließende Frage „und, wollt ihr das wirklich?“ herrscht betretenes Schweigen im Raum.

    Im Verlauf der zweieinhalb Jahre bekommen die Filmemacher Material vorgesetzt, mit dem sie wohl selbst nicht gerechnet haben. Schon nach kurzer Zeit kristallisiert sich die Struktur innerhalb der Band heraus. Lars Ulrich ist der forsche Leader und Businesstyp, der nicht davor zurückschreckt, seinen Kumpel James Hetfield vor der Kamera zu beleidigen. James ist die tragische Figur eines Rockstars, der eigentlich keiner sein will und mit sich und dem Leben als Frontmann der größten Band der Welt nicht mehr zurecht kommt. Die Fetzten fliegen, Türen knallen und Hetfield gibt die beleidigte Leberwurst. Kirk Hammett betrachtet dies alles nur am Rande, versucht dann und wann vermittelnd einzugreifen, hält sich aber meistens raus. Dazu passend ist Hammetts ironischer Kommentar, als Hetfield mal wieder beklagt, dass die Band hinter seinem Rücken im Studio arbeitet, ihn nicht mit einbezieht und er sich ausgegrenzt fühlt: „Tja, so fühle ich mich seit 20 Jahren...“. Dass die Band über dieses Ausspruch lachen kann, belegt, dass nach quälend langen Monaten wieder Licht am Horizont auftaucht. Nach einer hervorragend eingefangenen Achterbahnfahrt der Emotionen, ist die Band endlich überm Berg. Der Psychiater wird rigoros und gegen seinen Willen gefeuert (kein Wunder, bei der Gage...), das Album wird veröffentlicht und geht in 30 Ländern von 0 auf 1 in die Charts und der neue Bassist passt wunderbar ins Bandgefüge. Metallica entern wieder die Bühnen der Welt, und alles ist wieder in bester Ordnung, als wäre nie etwas gewesen.

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