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    Broken Flowers
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Broken Flowers
    Von Lars Lachmann

    Ich mache keine Formula-Filme, wo der Plot jegliche Fantasie zerstört, sondern lege Fährten, denen der Zuschauer folgen soll. (Jim Jarmusch)

    Der amerikanische Filmemacher Jim Jarmusch hat schon mit Meisterwerken wie „Dead Man“, „Down By Law“ und „Ghost Dog“ bewiesen, dass er es versteht, sein Publikum nicht nur bestens zu unterhalten, sondern auch zu fordern. Sein neuer Film, die Komödie „Broken Flowers“, ist da keine Ausnahme. Auch in diesem findet sich der ganz persönliche, bisweilen zum Minimalismus tendierende Stil Jarmuschs wieder, der schon oft mit dem des finnischen Filmemachers Aki Kaurismäki („Der Mann ohne Vergangenheit“) verglichen wurde. Das gleiche gilt für das – nicht nur in kultureller und sozialer Hinsicht – Grenzen überschreitende Spiel mit Klischees, Zitaten und Variationen aus der Welt des Films und der Literatur, bei welchem diese Elemente oft auf originelle Weise neu miteinander kombiniert werden und somit eine sehr individuelle Umbewertung erfahren. Abgesehen von dieser für Jarmusch typischen Signatur bietet „Broken Flowers“ dennoch etwas völlig Neues, lässt er sich doch hinsichtlich seiner Thematik und Dramaturgie mit keinem seiner bisherigen Werke wirklich vergleichen.

    Ein Brief in einem rosafarbenen Kuvert wird in einen Briefkasten geworfen. Der Vorspann zeigt den Reiseweg des Schreibens bis zu seiner Auslieferung am Bestimmungsort: Die Briefträgerin stapft durch den Vorgarten des sehr bewohnt und lebendig aussehenden Grundstücks einer kinderreichen Familie aus Äthiopien und von dort aus direkt aufs Nachbargrundstück, über den gepflegten Garten zu einer steril wirkenden Villa – der Kontrast könne größer nicht sein. Hier wohnt auch der Adressat des Briefes, Don Johnston (Bill Murray), ein allmählich in die Jahre kommender Geschäftsmann der IT-Branche. Dieser wird soeben von seiner derzeitigen, sehr viel jüngeren Freundin Sherry (Julie Delpy) verlassen. Noch während sie durch die Haustür entschwindet, entdeckt er den mit Maschine geschriebenen anonymen Brief. Bei der Schreiberin handelt es sich offensichtlich um eine von Dons verflossenen Liebschaften, welche ihn auf diesem Wege wissen lässt, er habe einen Sohn, der sich auf die Suche nach seinem Vater begeben habe. Den phlegmatischen Don tangiert all dies nicht sonderlich, sein Weg führt ihn erst einmal wieder direkt ins Wohnzimmersofa, vor den Fernseher. Dann kommt Winston (Jeffrey Wright) hereinspaziert. Er wohnt mit seiner Familie auf besagtem Nachbargrundstück und ist ein guter Freund von Don. Als der Sherlock Holmes-Fan von dem Brief erfährt, packt ihn sogleich der Eifer – er beginnt, Hypothesen zu erstellen, wer als mögliche Absenderin in Frage kommen könnte. In detektivischer Kleinarbeit reduziert Winston nach dem Ausschlussverfahren die Zahl der möglichen Kandidatinnen auf vier...

    Mit der perfekten Ausstattung (Flugplan, Adressen von Autovermietungen, Straßenkarten, Wegbeschreibungen zu den Adressen der vier Frauen aus dem Internet sowie eine selbst gebrannte CD) schickt Winston den zuerst noch unwilligen Don auf die Reise – auf seine ganz persönliche Reise, bei der es gilt, auf kleinste Hinweise – wie z. B. eine Vorliebe für die Farbe Rosa oder eine Schreibmaschine – zu achten, welche Aufschluss über die mysteriöse Verfasserin des Schreibens geben könnten. Über den Verlauf der eigentlichen Odyssee sollen an dieser Stelle gar nicht viel mehr Worte verloren werden. Es ist allein schon ein Hochgenuss, Don Johnston auf seiner Reise ins Ungewisse Schritt für Schritt zu begleiten und dabei immer wieder aufs Neue überrascht zu werden. Es sei nur kurz erwähnt, dass – neben der hervorragenden darstellerischen Leistung von Bill Murray – unter anderem noch vier nicht minder begabte Schauspielerinnen ihre jeweils grandiosen Auftritte haben.

    Das, was Don an Begegnungen erlebt, mag zum Teil skurril und zugleich wieder nur zu alltäglich wirken. Trotz Jarmuschs bewusstem Spiel mit Klischees wirkt die jeweilige Situation nie unglaubwürdig, sondern im Gegenteil unglaublich echt und lebensnah. Selbst in seinen Referenzen auf andere Meisterwerke des Films, wie z. B. Stanley Kubricks Verfilmung eines großen Romans der Weltliteratur, bei welcher die betreffende Person (die auch noch genau so heißt, wie die Titelfigur des Romans) sogar exakt die gleichen Ohrringe trägt wie in Kubricks Drama, verliert Jarmusch doch nie den Faden seiner eigenen Geschichte, so dass diesen Verweisen nicht mehr und nicht weniger als die Funktion von prachtvoll schmückendem und in höchstem Maße unterhaltsamem Beiwerk zukommt.

    Die Kommunikation zwischen den einzelnen Figuren verläuft – allerdings nur teilweise – in Jarmuschs gewohnt minimalistischem Stil, wie wir ihn vor allem aus früheren Werken wie z. B. „Stranger Than Paradise“ oder „Down By Law“ kennen und lieben gelernt haben. Szenen, in denen kein Wort gesprochen wird, wirken dennoch auf erstaunliche Weise spannungsvoll und lebendig – dem virtuosen Minenspiel der Hauptdarsteller zum Dank. Gerade diese szenischen Darstellungen sind es, die beim Zuschauer nicht selten ein Gefühl des Wiedererkennens, einen shock of recognition auslösen. Kein Wunder, dass sich auch ein inhaltlicher Schwerpunkt des Films mit der nonverbalen Kommunikation beschäftigt – nicht nur auf zwischenmenschlicher Basis, sondern darüber hinaus sogar von Tier zu Mensch!

    Neben den – ja, es ließe sich fast schon sagen – Episoden, die sich jeweils an einem unterschiedlichen Ort entwickeln und von Begegnung, Dynamik und Veränderung geprägt sind, gibt es ebenso die Szenen, die sich dazwischen abspielen: Diese Überbrückungen von einem Schauplatz zum andern dienen gleichsam als kontemplative Ruhepunkte, in denen Don das bisher Erlebte noch einmal gemeinsam mit dem Zuschauer im Geiste Revue passieren lässt. Diese Momente geben auch dem Publikum den nötigen Raum, diese reflexiven Ruhepunkte zu genießen und mit zu erleben. Paradoxerweise sind diese Stellen zugleich diejenigen, in denen sich unser Protagonist selbst in Bewegung befindet, unterwegs entweder im Auto oder im Flugzeug. Wenn er mit dem Wagen eine Landstraße entlang fährt, links und rechts mit Bäumen und Büschen versehen (das Leben ist bisweilen schon ein Dschungel), welche durch die Scheiben des Fahrzeugs sowie im Seitenspiegel zwar vorüberziehen und somit eine Illusion von Bewegung erzeugen, suggeriert uns das Bild doch andererseits Gleichförmigkeit und Stillstand. Dynamik im Stillstand und innere Ruhe in der äußerlichen Bewegung – Yin und Yang.

    Winston zu Don: „I just set up the strategy, but only you can solve the mystery.“ Genau wie Winston seinem vor der Glotze hängenden Nachbarn Don einen symbolischen Tritt in den Hintern verpasst und überredet, sein persönliches Geheimnis zu lüften, ebenso schickt uns Jim Jarmusch mit seinem Film auf eine künstlerische Entdeckungsreise. Am Ende ist es dann schließlich auch der Zuschauer, der die zahlreichen Hinweise, Andeutungen und Versatzstücke auf mehreren Ebenen zu einem Ganzen zusammenfügen muss. Und gerade dies macht „Broken Flowers“ zu einer genussvollen filmischen Herausforderung, welche Lust auf wiederholtes Anschauen macht.

    Hoffentlich lebt Don in den Köpfen der Zuschauer weiter, wenn der Abspann läuft. Ich wünsche mir, dass dieser Kerl weiterhin da draußen in der Welt ist, in ihren Gedanken. Jede Form des Geschichtenerzählens ist auch eine Form der Ablenkung für die Menschen. Es ist eine Möglichkeit, eine andere Welt als die ihre zu betreten und Menschen zu sehen, die mit dieser Welt und miteinander interagieren. (Jim Jarmusch) „Broken Flowers“ erhielt den großen Preis der Jury bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes.

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