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    Chanson der Liebe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Chanson der Liebe
    Von Andreas Staben

    Vor der Kölner Projektion von Christophe Honorés Kino-Musical „Chanson der Liebe“ als Abschlussfilm des „Verzaubert“-Festivals 2008 ermunterten die Organisatoren das Publikum zum Mitsingen. In der Tat haben die Kompositionen, die Alex Beaupain für den Film geschrieben hat, Ohrwurm-Charakter. Das Pariser Musical um Liebe, Familie und Abschied ist eines jener Kino-Kunststücke, die eine ganz eigene Magie entfalten und verleiht dem Motto des jährlich in mehreren Städten gastierenden Filmfestes zum Kehraus ein kräftiges Ausrufezeichen. „Chanson der Liebe“ ist eine liebevolle Verbeugung vor den Filmen der Nouvelle Vague und vor allem vor dem wunderbaren Jacques Demy („Die Regenschirme von Cherbourg“, „Ein Zimmer in der Stadt“), der das Musicalgenre bereichert hat wie niemand sonst außerhalb Hollywoods. Autor und Regisseur Honoré ergeht sich in seinem fünften Spielfilm aber nicht nur in Anspielungen und Referenzen, sondern schreibt sich in die bewunderte Tradition auf seine eigene Weise ein und setzt immer wieder überraschende Akzente. Auch wenn es um Abschied und Tod geht, verliert „Chanson der Liebe“ dabei nie die Leichtigkeit. Im ganzen Film verbindet sich wie in einem gelungenen Liebeslied gestalterische Klarheit mit tiefem emotionalen Nachhall.

    Ismaël (Louis Garrel, „Die Träumer“, Actrices) und Julie (Ludivine Sagnier, Swimming Pool, Die zweigeteilte Frau) lieben sich, dennoch bleiben Zweifel nicht aus. Das Paar erweitert seine Beziehung zur „Ménage à trois“ und holt sich Alice (Clotilde Hesme, Der fliegende Händler) ins Bett. Als das Trio ein Konzert des Sängers Alex Beaupain besucht, flirtet Alice mit Gwendal (Yannick Renier). Julie fühlt sich nicht gut, geht vor die Tür und kehrt nicht zurück. Nach dem überraschenden Verlust sucht ihre Schwester Jeanne (Chiara Mastroianni, „Die wiedergefundene Zeit“, Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr...) Halt bei Ismaël und nistet sich in seiner Wohnung ein. Alice lässt sich auf eine kurze Beziehung mit Gwendal ein, während dessen Bruder Erwann (Grégoire Leprince-Ringuet), der noch zur Schule geht, sich in Ismaël verliebt. Nach anfänglicher Zurückweisung ist dieser für die Avancen des Jüngeren durchaus empfänglich.

    Für Christophe Honoré ist das Kino ein Medium der Wahlverwandtschaften. Seine Filme sind immer auch Familiengeschichten im engeren oder im weiteren Sinne, die Figuren sind unentwegt auf der Suche nach der für sie idealen Form des Zusammenlebens, der Gemeinsamkeit. Honorés Regiearbeit folgt einem ähnlichen Antrieb. Jedes seiner Projekte hat andere Fluchtpunkte in der Filmgeschichte, bei seiner Bataille-Adaption „Meine Mutter“ etwa ist das Vorbild Pasolini deutlich zu spüren. Mit „Dans Paris“ wendet sich Honoré dann dem französischen Erbe der Nouvelle Vague zu, was er mit „Chanson der Liebe“ weiterführt. Über diese Bezüge hinaus kommt jedoch Honorés Lust an dem, was er unreines und unvollendetes Erzählen nennt, zum Tragen. Scheinbar disparate Elemente werden zusammengeführt, die Maxime heißt Offenheit. In „Chanson der Liebe“ wird der Wendepunkt der Handlung daher nicht im Sinne eines konventionellen Spannungsaufbaus vorbereitet, sondern der Schicksalsschlag wird von unerhörten Stilbrüchen begleitet. Das Fließende des Musicals wird schockartig durch den Stillstand farbloser Reportagefotos abgelöst. Und auch Honorés Zitate und Verweise sind keine leere Rhetorik, sondern wesentlicher Teil seiner ständigen Auseinandersetzung mit dem Medium als einer persönlichen Ausdrucksform.

    Der 1970 geborene Honoré, der ebenso wie viele seiner Vorbilder in den 50er Jahren vor seiner eigenen Filmkarriere der Redaktion der „Cahiers du cinéma“ angehörte, erweist Truffaut und Godard, aber auch Louis Malle und natürlich Jacques Demy explizite Referenzen. Der cinephile Zuschauer kennt die Teilung in drei Kapitel aus „Die Regenschirme aus Cherbourg“ und den Namen Pommeraye aus „Ein Zimmer in der Stadt“. Anklänge an „Jules und Jim“ sind ebenso aufzuspüren wie Echos von „Tisch und Bett“, überhaupt mag sich mancher beim Anblick Louis Garrels, der bereits zum dritten Mal in einem Honoré-Film zu sehen ist, an den jungen Jean-Pierre Léaud erinnern, der als Antoine Doinel über mehr als 20 Jahre hinweg das Alter Ego François Truffauts verkörperte. Garrels Partnerin Clotilde Hesme war bereits in „Unruhestifter“ mit ihm zu sehen, den sein Vater Philippe inszenierte, während Chiara Mastroianni in einer Szene eine Pappkrone trägt, genau wie es ihre Mutter Catherine Deneuve in „Die Regenschirme von Cherbourg“ getan hat. Solche Momente verstärken noch das Gefühl der Vertrautheit, das Honorés Figuren ausstrahlen. Alles geschieht mit größtmöglicher Selbstverständlichkeit, auch die Musik folgt dem Prinzip der Einfachheit. So sind längst nicht alle Darsteller aus der geschlossen überzeugenden Riege mit überragendem Sangestalent begabt, Honoré und Beaupain verstehen es aber, jedem der 13 für den Film komponierten Stücke einen passenden Ausdruck zu geben und auch den Reiz des Unperfekten zu nutzen. Die schönste Choreographie hat das Liebestrio in den nächtlichen Straßen der Stadt mit Alices Versuch der Brückenbildung zwischen Ismaël und Julie, während das Duett Garrels mit dem imponierenden Nachwuchsdarsteller Grégoire Leprince-Ringuet über das Wesen flüchtiger und dauerhafter Liebe in seiner Emotionalität hervorsticht.

    „Chanson der Liebe“ ist Jean-Claude Guiguet gewidmet, einem in Deutschland nahezu unbekannten Filmemacher, dessen meisterhaftes Werk es unbedingt zu entdecken gilt. Wie Honoré, der mit „Chanson der Liebe“ hoffentlich erstmals ein größeres Publikum erreichen kann, ist Guiguet ein Regisseur der Intimität. In ihren Filmen ist immer zu spüren, dass ihnen ein persönliches Bedürfnis zugrunde liegt. Bei ihnen ist das Kino ganz bei sich, wahrhaftig wie das Leben selbst.

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