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    Die Regeln der Gewalt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Regeln der Gewalt
    Von Jürgen Armbruster

    Drehbuchautoren auf dem Regiestuhl – das ist eine lange Geschichte voller Missverständnisse. Prominente Beispiele wie Brian Helgeland (Drehbuch: L.A. Confidential, Mystic River; Regie: Sin Eater) oder David S. Goyer (Drehbuch: Batman Begins; Regie: Unsichtbar) zeigen, dass das alte Sprichwort vom Schuster, der doch besser bei seinen Leisten bleiben sollte, durchaus seine Berechtigung hat. Es gibt allerdings auch Ausnahmen von der Regel. Scott Franks Regiedebüt „Die Regeln der Gewalt“ (übrigens eine schwer missglückte Eindeutschung des Originaltitels „The Lookout“) gehört sicherlich dazu. Das grundsolide Thriller-Drama mit deutlichen Anleihen beim Film Noir ist zwar im Grunde nicht mehr als eine kleine verspielte Fingerübung, weiß aber nicht nur dank seiner exzellenten Besetzung durchaus zu überzeugen.

    Chris Pratt (Joseph Gordon-Levitt) war eine blendende Zukunft vorgezeichnet. Gerade noch war er der beliebteste Junge der Schule, ein hoch veranlagter Eishockeyspieler mit Ambitionen. Bis zu einem verheerendem Verkehrsunfall, bei dem zwei seiner Freunde sterben und den er selbst nur schwer überlebt. Doch Chris ist danach nicht mehr derselbe. Sich zu konzentrieren fällt ihm schwer und ohne seinen Notizblock würde er selbst die einfachsten Dinge immer wieder vergessen. Dazu kommen Schuldgefühle und Depressionen. Selbst sein blinder Mitbewohner Lewis (Jeff Daniels) ist selbstständiger als er und ihm im Alltag eine große Hilfe. Statt eines Sport-Stipendiums an einem Elite-College putzt Chris nun jeden Abend eine Kleinstadt-Bank. Ein tristes Leben. Bis Gary Spargo (Matthew Goode), ein Ex-Schüler der gleichen Highschool, in sein Leben tritt. Gary führt Chris in seine Clique ein und auf einmal klappt es auch wieder mit den Frauen – Luvlee (Isla Fisher) ist seine erste Freundin seit Jahren. Sein Leben wendet sich schlagartig zum Positiven. Nur Lewis ist ob des plötzlichen Glücks in Chris‘ Leben skeptisch. Und dann lässt Gary die Katze aus dem Sack: Er möchte mit Hilfe von Chris die Bank ausrauben…

    Scott Frank hat in seiner Karriere als Drehbuchautor mit den besten Regisseuren zusammen gearbeitet: Sydney Pollack (Die Dolmetscherin), Steven Soderbergh (Out Of Sight), Steven Spielberg (Minority Report). Eine gleichermaßen illustere wie hochklassige Liste. Und Scott Frank scheint die Chance genutzt zu haben und hat die Meister bei ihrer Arbeit sehr genau beobachtet. Er hat von den besten gelernt und dementsprechend sieht „Die Regeln der Gewalt“ auch aus. Handwerklich lässt sich an dem Film nicht das Geringste aussetzen. Geschickt werden Thriller- und Drama-Elemente im Stile eines modernen Film Noir miteinander verwoben. Mal wird das Erzähltempo angezogen, dann werden in genau den richtigen Momenten wieder gemächlichere Töne angeschlagen. Die größtenteils tristen, farblosen Bilder (Ausnahme: Luvlee, die schon alleine mit ihrem Lächeln und den hellen roten Haaren der Lichtblick im Film und somit im Leben von Chris ist) von Kameramann Alar Kivilo (The Ice Harvest, Das Haus am See) passen wunderbar zur Stimmungslage des Films. Handwerklich ist bei „Die Regeln der Gewalt“ also alles im grünen Bereich. Die Schwachpunkte sind eher an anderen Stellen zu suchen.

    Dass Scott Frank Drehbücher schreiben kann, hat er in der Vergangenheit bereits hinlänglich bewiesen. Aber wenn man seinem Regiedebüt undbedingt einen Vorwurf machen möchte, dann der, dass der Regisseur Frank hier tatsächlich eine bessere Arbeit abgeliefert hat, als der Drehbuchautor Frank. Und das ist schon eine leise Überraschung. Das bedeutet nun keineswegs, dass das Drehbuch zu „Die Regeln der Gewalt“ schlecht ist. Ihm gehen nur leider die Überraschungsmomente gänzlich ab. Bereits nach wenigen Minuten ist dem mitdenkenden Zuschauer klar, woher der Wind weht. Dementsprechend wirkt der gesamte Banküberfall-Plot ein wenig kastriert. Die Drama-Elemente funktionieren wesentlich besser als die Thriller-Anteile. Dementsprechend ist das Interesse des Zuschauers an der besonderen Alltagssituation von Chris wesentlich größer, als an dem sich anbahnendem Banküberfall. Dies hat aber auch Frank erkannt und somit wird in den eigentlichen Überfall dann auch überraschend wenig Zeit investiert. Gut so.

    Dass „Die Regeln der Gewalt“ letztlich immer interessant bleibt, liegt auch an den exzellent besetzten Hauptrollen. Joseph Gordon-Levitt kann zwar nicht derartig glänzen wie zuletzt in Brick, untermauert aber dennoch eindrucksvoll seine Ausnahmestellung unter den jungen Darstellern Hollywoods. Mit seiner Rolle steht und fällt der gesamte Film und es ist schon erstaunlich, dass er dieser Verantwortung gerecht wird, ohne auch nur eine einzige echte Schwäche zu zeigen. Für einen gerade mal 25-Jährigen zeigt Grodon-Levitt in seinem Spiel bereits eine beachtliche Reife. Von der noch unbeschwerten Eröffnungssequenz bis zu den bittersten Momenten des Films beherrscht er alle Nuancen seines Charakters. Sollte Gordon-Levitt mit beiden Beinen auf dem Boden der Tatsachen bleiben, wächst hier ein echtes Talent heran. Jeff Daniels (The Hours, Good Night, And Good Luck) wird zwar nicht ansatzweise so gefordert wie sein junges Pendant, allerdings legt er als blinder, mit Weisheiten um sich werfenden Musiker und Call-Center-Mitarbeiter höchst kurzweilige Auftritte hin - irgendwo zwischen Dude, Jim Morrison und Dalai Lama. Ein wirklich origineller Charakter. Während Matthew Goode (Match Point) einen eher austauschbaren Schurken gibt, hat sich Isla Fisher (Die Hochzeits-Crasher) noch eine positive Erwähnung verdient. Die Verlobte von Borat-Darsteller Sasha Baron Cohen deutet zumindest an, dass sie zu mehr als nur zum Eye Candy taugt.

    Fazit: Unter dem Strich ist „Die Regeln der Gewalt“ ein Film geworden, der viel richtig aber nur wenig falsch macht. Für Freunde des Neo-Noir ist dieser Film definitiv einen Blick wert. Wer aufgrund von Chris‘ besonderer Situation allerdings einen Film der Marke Memento erwartet, sei gewarnt. Vordergründig mag dies zwar so erscheinen, aber mit Ausnahme eines Hauptcharakters, der sich nicht an alles erinnern kann, haben diese Filme nicht wirklich viel gemeinsam. Wer jedoch Brick mochte, wird hier sicherlich nicht enttäuscht werden.

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