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    Pathology
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Pathology
    Von Sascha Westphal

    Natürlich gehört Dr. Gregory House nicht mehr zu den strahlenden Halbgöttern in Weiß, die früher einmal amerikanische wie auch deutsche Arztserien bevölkerten. Aber blickt man nur ein wenig genauer hinter diese Fassade aus ostentativer Emotionslosigkeit, die der brillante Diagnostiker in jeder Folge von „Dr. House“ immer wieder von neuem um sich errichtet, erkennt man auch in ihm eine klassische Heldenfigur. Und so geht es einem letztlich mit den Figuren aller Arztserien, ob sie nun „Emergency Room“ oder serie,10, „Private Practise“ oder „Scrubs“ heißen. Deren Charaktere haben ohne Frage ihre Fehler und Schwächen. Aus den einstigen Halbgöttern sind nun einmal Menschen geworden, aber eben Menschen, zu denen man trotz allem aufsehen kann. Dem amerikanischen Kino der vergangenen 30 Jahre ist diese Form von Heldenverehrung dagegen eher fremd. Spätestens seit Michael Crichtons Coma haben mörderische Ärzte ihren festen Platz in Hollywoods Galerie des Schreckens. Seither haben Filmemacher Mediziner immer wieder als Soziopathen dargestellt, die getrieben von ihrem Gott-Komplex vor nichts zurückschrecken. Doch so weit wie der junge deutsche Regisseur Marc Schölermann bei seinem Hollywood-Debüt „Pathology“ hat sich bisher kaum einer von ihnen vorgewagt. Sein zynischer Thriller ist nicht nur eine bitterböse Abrechnung mit allen amerikanischen Arztserien. Er bricht auch mit so ziemlich allen moralischen und ethischen Tabus. Allerdings verliert Schölermann darüber recht bald Story und Figuren aus den Augen.

    Ted Grey (Milo Ventimiglia, serie,11, Rocky Balboa) hat es geschafft. In Harvard war der junge Pathologe der Klassenbeste, und nun wartet eine Assistentenstelle in einem der wichtigsten Lehrkrankenhäuser der Vereinigten Staaten auf ihn. Dafür muss er sich zwar zeitweilig von seiner ebenso schönen wie reichen Verlobten Gwen Williamson (Alyssa Milano, „Charmed“, Das Phantom Kommando) trennen, aber diesen relativ kleinen Preis zahlt er gerne. Schließlich stehen ihm nach seiner Lehrzeit unter der Führung des berühmten Pathologen Dr. Quentin Morris (John de Lancie) alle Türen offen. Und so hat er gleich vom ersten Tag an nur ein Ziel vor Augen: Er will seinem neuen Lehrer um jeden Preis beweisen, dass er der Beste ist. Dass er dafür Morris’ Starschüler, den charismatischen Dr. Jake Gallo (Michael Weston, Der letzte Kuss), vor den Kopf stoßen muss, stört ihn wenig. Greys maßloser Ehrgeiz und seine durch nichts zu erschütternde Selbstsicherheit sind es dann auch, die ihn in Gallos Augen interessant machen. Nach und nach zieht Gallo ihn in seinen Zirkel hinein. Wie die psychotische Juliette Bath (Lauren Lee Smith), der hitzige Griffin Cavenaugh (Johnny Whitworth) und die lesbische Chatherine Ivy (Mei Melancon) wird auch Grey zum Komplizen eines perfiden Spiels, in dem jeder danach trachtet, den perfekten, den nicht nachweisbaren Mord zu begehen.

    Es kann kein Zufall sein, dass die beiden Drehbuchautoren Mark Neveldine und Brian Taylor, die schon für Crank, diesen irrwitzigen filmischen Amoklauf, verantwortlich waren, ihren moralisch durch und durch verkommenen Anti-Helden ausgerechnet Ted Grey genannt haben. Die Anspielung auf die ziemlich neurotische, aber absolut liebenswerte Meredith Grey ist eigentlich viel zu offensichtlich. Aber für Subtilität ist in der post-nietzscheschen Kino-Welt von Neveldine und Taylor sowieso kein Platz. Und vielleicht kann man den verführerischen, aber durch und durch verlogenen Heil(ung)sversprechen amerikanischer Arztserien tatsächlich nur entkommen, wenn man jeder Meredith Grey einen Ted Grey zur Seite stellt. Dazu passt dann auch, dass der gesamte Cast von Schölermanns Hollywood-Erstling bisher vor allem in Fernsehserien für Aufsehen gesorgt hat. Jeder von ihnen spielt hier gegen sein typisches Image an – selbst Alyssa Milano, die man lange nicht so liebreizend und so passiv gesehen hat. Auf der dunklen Unterseite der Fernseh-Phantasien gibt es keinen Platz für Idealisten und auch keinen für moderne Prinzessinnen. Nur wer skrupellos mordet, wer weder Moral noch Gewissen kennt, hat eine Chance zu überleben.

    Milo Ventimiglia ist einer der paradigmatischen amerikanischen Fernsehstars unserer Zeit – ein hübsches Gesicht, dem sofort die Sympathien des Publikums zufliegen, dessen ebenmäßige Züge aber nicht die geringste Persönlichkeit verraten. Einer wie er eignet sich perfekt als Projektionsfläche, die jeder Zuschauer nach seinem Willen und seinen Vorstellungen füllen kann. Diese – höchst ästhetische – Leere macht ihn zugleich zu dem idealen Darsteller für die Rolle des eiskalten Pathologen Ted Grey. Gerade in den ersten Szenen von „Pathology“ spielen Neveldine und Taylor virtuos mit den Erwartungen und Reaktionen eines am Fernsehen geschulten Publikums. Man akzeptiert Grey umgehend als Helden, dafür reicht schon Milo Ventimiglias Gesicht und die Tatsache, dass er mit Alyssa Milano im Bett liegt. Und auch in den nächsten Szenen kommt man gar nicht erst auf die Idee, seinen Ehrgeiz und seine Selbstsicherheit zu hinterfragen. Erst als er Gallos Köder nicht nur schluckt, sondern gleich noch einen draufsetzt – um jemanden zu töten, braucht man kein Motiv, nur die Gewissheit, nicht geschnappt zu werden – ahnt man, was für ein seelenloser Mensch Grey ist. Aber zu diesem Zeitpunkt ist es schon zu spät. Man hat ihn als Helden akzeptiert und kommt nun nicht mehr wirklich von ihm los.

    Von dem Augenblick an, in dem Grey zum Komplizen von Gallo und seiner Clique wird, in dem er sich darauf einlässt, mit den anderen um die Wette zu morden, lassen Neveldine und Taylor sämtliche Hemmungen fahren. Was wie ein typischer Thriller begann, entwickelt sich zu einem dekadenten Bilderbogen in der Kunst des Mordens und Sezierens. Mord als ultimatives Aphrodisiakum. Grey fühlt sich als gottgleicher Herr über Leben und Tod. Mit einmal ist alles Rausch für ihn; und so beginnt er schon bald eine wilde Affäre mit Gallos Gespielin Juliette Bath. Wie Sex und Mord, Eros und Thanatos in „Pathology“ zusammenfließen, wie sie eins werden, ist zumindest für einen amerikanischen Kinofilm geradezu außergewöhnlich. Wie schon bei Crank brechen Neveldine und Taylor auch hier mit größter Selbstverständlichkeit mit althergebrachten Tabus. Nur haben sie in Marc Schölermann einen Partner, der mit ihrem Tempo in keiner Weise mithalten kann. Er setzt ihren Szenenreigen zwar im einzelnen sehr elegant um, kann ihm aber keinen Zusammenhalt verleihen. Schließlich purzeln die Szenen wie die Perlen einer gerissenen Kette wild durcheinander, und man verliert jedes Interesse an den Geschehnissen. Atmosphärisch stimmt weiterhin alles, aber dramaturgisch geht alles drunter und drüber.

    Fazit: Als bitterböser Gegenentwurf zu amerikanischen Arztserien hat „Pathology“ ohne Frage seinen Reiz, und auch als dekadente Studie in der „schönen Kunst des Mordens“ kann er über weite Strecken überzeugen. Nur reicht das alleine letztlich nicht aus, zumal der deutsche Hollywood-Debütant Marc Schölermann offensichtlich dem Reiz der schicken Bilder erlegen ist und darüber sämtliche Regeln des erzählerischen Handwerks vergessen hat.

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