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    Public Enemies
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Public Enemies
    Von Carsten Baumgardt

    Als Vielfilmer ist Meisterregisseur Michael Mann nicht vornehmlich bekannt. Seit seinem Debüt Thief von 1981 hat der Chicagoer gerade einmal zehn Filme in die Kinos gebracht. Und weil Mann sich neben hervorragenden Thrillern wie Collateral oder Blutmond vor allem mit den beiden Über-Meisterwerken Heat und Insider als einer der besten Filmemacher Hollywoods etabliert hat, ist ein neues Werk des US-Amerikaners immer ein Ereignis. Der coole Style-Over-Substance-Actioner Miami Vice blieb zuletzt zwar hinter den Erwartungen zurückblieb, aber das hat den Druck, der auf Manns stargespicktem „Public Enemies“ lastet, nicht wirklich gemindert. Diese Erwartungshaltung wird der Story um die von Johnny Depp verkörperte Bankräuberlegende John Dillinger nun zum Verhängnis. Denn neben grandiosen Ansätzen bietet das opulente Crime-Drama auch reichlich Angriffspunkte. Aber ein „nur“ guter Film ist im Universum des Michael Mann eben bereits eine Enttäuschung.

    Die Vereinigten Staaten darben Anfang der Dreißigerjahre an der Großen Depression. In diesem Klima der allgemeinen Beklemmung und Not gelangt der charismatische Profi-Bankräuber John Dillinger (Johnny Depp) zu medialem Ruhm. Er beraubt die Banken, die die Bevölkerung vermeintlich in die Armut getrieben haben, was ihm eine gewisse Bewunderung seitens der einfachen Bürger einbringt. Seine Gang um die schweren Jungs John „Red“ Hamilton (Jason Clarke) und Homer Van Meter (Stephen Dorff) lässt sich von nichts und niemanden stoppen, nicht einmal das Gefängnis hält die Verbrecher auf. Immer an Dillingers Seite: seine Geliebte Billie Frechette (Marion Cotillard), die dem draufgängerischen, aber deshalb nicht unklugen Charmeur verfällt. Die Regierung macht die Jagd auf Dillinger fortan zur Chefsache und setzt das Bureau Of Investigation, jene Sondereinheit, aus der später das FBI hervorgehen sollte, auf die Bankräuber an. Der Leiter J. Edgar Hoover (Billy Crudup) erklärt Dillinger zum Staatsfeind Nummer eins und hetzt dem Gangster seinen Chefjäger Melvin Purvis (Christian Bale) auf den Hals. Auch wenn Dillinger sich von der erhöhten Aufmerksamkeit seitens der Gesetzeshüter nicht einschüchtern lässt, erzielt Purvis bei der Unterwanderung der kriminellen Organisation erste Erfolge…

    Der epische Stoff um den amerikanischen Gangster-Helden John Dillinger scheint wie gemalt für einen Regisseur von Michael Manns Kaliber. Die Beteiligung der Superstars Johnny Depp (Fluch der Karibik-Trilogie, Sweeney Todd, Das geheime Fenster) und Christian Bale (The Dark Knight, Prestige, Terminator - Die Erlösung) sorgt zudem für einen garantierten Erfolg an den Kinokassen – zumal das Budget mit 80 Millionen Dollar nicht ausgeufert ist wie zuvor beim 135 Millionen Dollar teuren Miami Vice, bei dem Mann seine finanzielle Zugkraft klar überschätzt hat. Manns Werk beruht lose auf Bryan Burroughs Buch „Public Enemies: America’s Greatest Crime Wave And The Birth Of The FBI, 1933-34“ und schildert die letzten 13 Monate in Dillingers Lebens, bevor dieser im Juli 1934 von dem Texas Ranger Charles Winstead (Stephen Lang) niedergestreckt wurde.

    Hier geht's zum Filmstarts-Special: The Real Public Enemies.

    Mann leistet sich bei „Public Enemies“ einen Kardinalfehler, der dem filmischen Zeitgeist geschuldet ist. Seine moderne, superflexible HD-Digicam, die er schon bei Collateral einsetzte und damit phantastische Ergebnisse erzielte, kommt erneut zum Einsatz. Während das bei den Nachtszenen erneut hervorragend funktioniert, weil die Aufnahmen trotz der Dunkelheit brillant ausgeleuchtet sind, verkehrt sich dieser Effekt in den Tagsequenzen ins Gegenteil. Die Überbelichtung raubt den Bildern ihre epische Kraft und die extreme Grobkörnigkeit versagt als bewusstes Stilmittel ihren Dienst. Ärgerlicherweise wirken manche der wackeligen Handkamera-Takes wie Teile eines Making-Offs, die dem monumentalen Format Manns entgegenstehen. Weil der Filmemacher dieses Konzept auf Gedeih und Verderb konsequent durchzieht, ist „Public Enemies“ zwar stilistisch wie aus einem Guss, aber die Story-Elemente passen diesmal nicht immer so zusammen, wie seine Anhängerschar es gewohnt ist. War das bahnbrechende Crime-Epos Heat noch von der ersten bis zur letzten Einstellung perfekt bis in jeden Blickwinkel und jede Dialogzeile, glänzt „Public Enemies“ durch eine Vielzahl von teils grandios inszenierten Einzelszenen, ohne dass das große Ganze wirklich rund wäre.

    Auch in Sachen Charakterentwicklung weist „Public Enemies“ Schwächen auf. Johnny Depp, der seine übliche, wohl bereits patentierte Show abzieht und dabei lediglich den Freak-Faktor zurückschraubt, spielt gewohnt ausgezeichnet auf. Trotzdem lässt sein Charakter den Betrachter kalt. Warum er sich zu seiner großen Liebe Billie hingezogen fühlt, bleibt noch mehr im Unklaren als die nicht immer nachvollziehbare Hingabe seiner Geliebten zu dem Gangsterboss. Im Kern läuft die gesamte Charakterisierung auf einen Satz hinaus, der auch im Film fällt: „I rob banks.“ Damit hat es sich! Alles andere scheint mehr oder weniger nebensächlich. Zwar schert sich Dillinger sehr wohl um sein öffentliches Image, das zwischen Gentlemanräuber, modernem Robin Hood und eiskaltem Mörder pendelt, aber im Grunde will er einfach nur gegen alle Widerstände sein Ding durchziehen - obwohl er weiß, dass er damit nicht ewig durchkommen wird. Die Konsequenz, mit der er seinem Schicksal begegnet, hat schon etwas Fatalistisches - aber auch diese Nuance wird nie konsequent zu Ende gedacht.

    Auf der Gegenseite hapert es noch mehr: Gerade der als großer Gegenspieler aufgebaute Verbrecherjäger Melvin Purvis schwächelt. Auch hier finden sich die Ursachen im Drehbuch von Mann, Ronan Bennett (Lucky Break) und Ann Biderman (Zwielicht), aber ein Teil der Schuld bleibt auch an Christian Bale (Prestige, Batman Begins, The Dark Knight) hängen, der eine ähnlich blasse Vorstellung abliefert wie zuletzt in Terminator - Die Erlösung. Der Top-Schauspieler lässt sich von Depp gnadenlos an die Wand spielen. So stehen die Duellanten nie auf einer Stufe, was sich kontraproduktiv auf die Spannung auswirkt. Und das, obwohl sich Mann mit dem Al-Pacino-Robert-De-Niro-Diner-Duell in Heat doch bereits als brillanter Chronist der Beziehungen zwischen Cop und Verbrecher hervorgetan hat.

    Von den vielen Nebendarstellern spielt sich nur Stephen Lang (D-Tox) mit einer gehörigen Portion rauem Charisma in den Vordergrund. Als Haudegen der alten Schule könnte sein Charakter auch direkt aus No Country For Old Men von den Coen-Brüdern entsprungen sein. Die Leistung der Oscar-Preisträgerin Marion Cotillard (für La Vie En Rose) geht in Ordnung, als Idealbesetzung erweist sie sich aber nicht, weil die Französin die hemmungslose Hingabe an Dillinger nicht schlüssig genug zu begründen versteht. Ein weiteres Dutzend bekannter Gesichter wie Billy Crudup (Almost Famous), Giovanni Ribisi (Lost In Translation), Stephen Dorff (Blade), Emilie de Ravin (The Hills Have Eyes), David Wenham (Herr der Ringe - Die zwei Türme), Leelee Sobieski (The Wicker Man), Channing Tatum (Fighting), Lily Taylor (Kopfgeld), Shawn Hatosy (Alpha Dog), Stephen Graham (Gangs Of New York), Matt Craven (Anatomie einer Entführung) oder James Russo (Donnie Brasco) sind nur dazu bestimmt, mitunter winzige Puzzlestücke zum Story-Geflecht beizusteuern, was ein wenig an den verschwenderischen Starverschleiß in Der Baader Meinhof Komplex erinnert.

    Wie nicht anders zu erwarten, ist „Public Enemies“ absolut perfekt ausgestattet. Selbst wenn Mann die Große Depression nur als geschichtlichen Hintergrund nutzt und die Auswirkungen auf die Bevölkerung in der Handlung nur wenig ausführt, lässt er visuell eine komplette Ära wiederauferstehen. Wenn sich Gauner und Cops wüste Schießereien liefern, wirkt das wie eine Bleispritzen-Version des legendären Straßen-Shoot-Outs in Heat. Szenen dieser Güteklasse, zu denen auch eine nächtliche Verfolgungsjagd zählt, hat „Public Enemies“ viele. Mann versteht es eben, Geschichten zu Mythen anwachsen zu lassen. Allerdings war sich der Regisseur diesmal offenbar nicht ganz klar darüber, ob er die Ikone Dillinger mit kühler Hand auch wieder entzaubern will oder nicht. In einer traumhaft gut inszenierten Schlüsselszene schleicht sich ein megacooler Dillinger in die nahezu verwaiste Zentrale seiner Widersacher, um die Agenten zu narren. Im krassen Gegensatz dazu steht dann das unspektakulär spektakuläre Finale, das für sich genommen ebenso großartig inszeniert ist. Doch zwischen diesen Elementen, die zwischen Heroisierung und Entmystifizierung pendeln, klafft eine unüberwindbare Lücke.

    Fazit: „Public Enemies“ ist opulentes, aber kaltes Ausstattungskinos, das von der Brillanz seines Regisseurs zehrt. Die Schwächen sind offensichtlich, so dass Michael Mann den gottgegebenen Erwartungen auf ein weiteres Meisterwerk diesmal nicht nachkommen kann. Aber weil selbst nicht ganz so gelungene Filme wie Ali oder eben „Public Enemies“ immer noch eine hohe Qualität haben, geht die Welt davon nicht unter. Dennoch ist es irgendwie schade, dass Mann sein monströses Potenzial nicht voll ausschöpfen konnte...

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