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    The Road
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    The Road
    Von Jan Hamm

    Wenn Imperien fallen, Ascheregen auf verbrannte Erde rieselt und der Mensch des Menschen Wolf wird - dann ist mal wieder die Welt untergegangen. Das postapokalyptische Kino hat seine Sprache längst gefunden, irgendwo zwischen kritischem Subtext à la George A. Romero (Die Nacht der lebenden Toten) und dem Bewusstsein, dass das alles trotzdem Spaß machen muss (Doomsday). Motivik und Visualisierung eines Planeten nach dem Reboot haben in den 30 Jahren zwischen Mad Max und Book Of Eli höchstens hauchzarte Varianzen erfahren. Eine essentielle Frage wird dabei oft übergangen: Warum sollte man in einer Ära des kannibalischen Irrsinns überhaupt leben wollen? Was bleibt da noch, abseits animalischer Überlebensinstinkte und neuer Heilsmythen? Eine abschließende Antwort kennt auch „The Road“ von Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy (No Country For Old Men) nicht, wohl aber wurde die Frage nach der Rechtfertigung postapokalyptischer Existenz selten derart präzise formuliert. Eine ähnlich kunstfertige Adaption der kargen Poesie McCarthys, wie sie die Coen-Brüder mit ihrem Oscar-Erfolg vorlegten, ist John Hillcoat bei seiner Verfilmung von „The Road“ nicht geglückt. Dafür vertraut er seinem eigenen Medium zu wenig und verfasst den Film mit auserzählendem Off-Text mehr literarisch als cineastisch. Die Essenz der Vorlage jedoch bleibt intakt: Hillcoats episodische Reise durch eine verrottende Welt ist kein Spektakel, sondern ein intimes und beklemmendes Charakterdrama.

    Worin die Katastrophe bestand, ist ein Mysterium - ihre Folgen hingegen grausame Wirklichkeit. Durch klamme Nebelwälder und in kaltem Grau versinkende Geisterstädte reisen ein Mann (Viggo Mortensen, Der Herr der Ringe - Trilogie) und sein kleiner Sohn (Kodi Smit-McPhee, Let Me In, Unter der Sonne Australiens) gen Süden. Irgendwo, jenseits des Ozeans, soll es noch grünes Land geben. In einem klapprigen Einkaufswagen führen die Zwei ihr verbliebenes Hab und Gut mit, darunter einen Revolver mit zwei Patronen. Mit väterlicher Fürsorge lehrt der Mann seinen Schützling die Wege eines möglichst schmerzfreien Suizids, sollte einmal alle Hoffnung verloren sein. Er lehrt ihn, „das Feuer im Herzen“ zu tragen und „einer von den Guten“ zu sein. Doch auf der Flucht vor kannibalischen Horden und den qualvollen Erinnerungen an eine untergegangene Welt werden seine Erzählungen über Würde und Menschlichkeit mehr und mehr von der Realität eingeholt. Langsam korrumpiert der verzweifelte Überlebenskampf seine Werte und zwingt ihn zur Gegengewalt, während sein Sprössling lernt, die Taten des Vaters zu hinterfragen und Rechenschaft einzufordern...

    „In dem Traum wusste ich, er würde voraus reiten und er würde ein Feuer machen irgendwo da draußen in der Dunkelheit und Kälte. Ich wusste, er ist da, wenn ich ankomme. Dann bin ich aufgewacht.“

    - Epilog zu „No Country For Old Men”

    Aus der Traum! In der Welt, über die Sherriff Ed Bell (Tommy Lee Jones) im Ausklang von „No Country For Old Men“ sinniert, haben Hoffnung und Zuversicht ausgedient. Bloß im Schlaf existiert sie noch: die Vaterfigur, die einem Pionier gleich durch eine lebensfeindliche Steppe prescht, in der Ferne ein Feuer entfacht und so die Dunkelheit verjagt. Mit „The Road“ vertieft McCarthy das Motiv und zeigt einen Vater, der seinem Sohn diesen Traum, diesen Anker in der Desolation der Postapokalypse, um jeden Preis erhalten will, während der reifende Spross schrittweise erwacht. Elterliche Selbstlosigkeit ist nicht der einzige Motor des Namenlosen - ebenso ist die sinnstiftende Beschützerrolle seine letztmögliche Antwort auf den omnipräsenten Rechtfertigungsdruck eines Lebens ohne Perspektive. Die Option des Freitodes drängt sich immer wieder auf. Seinem Sohn den Anblick einer gehängten Bauernfamilie zu ersparen, versucht der Vater garnicht erst: „Nichts, das wir nicht schon gesehen hätten.“

    „The Road“ erforscht einen psychologisch ausgefeilten Konflikt, dessen Transfer auf die Leinwand John Hillcoat und Drehbuchbuchautor Joe Penhall (Der letzte König von Schottland) ausgezeichnet gelungen ist und der fest als Kern der Geschichte verankert wird. Hier gibt es keinen Antagonisten, keinen sich im Filmverlauf abzeichnenden Showdown außerhalb der Vater-Sohn-Beziehung. Vom „Road Warrior“, dem Originaltitel von Mad Max, bleibt nur die gleichermaßen physische wie allegorische Straße übrig, auf der die beiden durch den Nebel einer entgleisten Innen- und Außenwelt irren. Leider traut Hillcoat seiner episodischen Struktur, der sprechenden Mimik Viggo Mortensens und den bedrohlich-bleichen Tableaus von Kamera-Ass Javier Aguirresarobe (Vicky Cristina Barcelona, Das Meer in mir) nicht zu, die Erzählung zu tragen.

    Immer wieder lässt er seinen Protagonisten aus dem Off reflektieren und versucht damit, Kontexte zu erläutern, die keiner Erklärung bedürfen. Dass Kannibalen eher unangenehme Zeitgenossen darstellen, muss nicht erst doziert werden - das erledigt der kurz darauf folgende und schockierend nüchterne Zwischenstopp in deren Vorratskammer deutlich eindrucksvoller. Auch die von der Vorlage abweichenden Rückblenden um den Verlust der Ehefrau und Mutter (Charlize Theron) erzählen nichts, was Viggo Mortensen nicht ohnehin bereits vom Antlitz abzulesen wäre. Von seiner ikonischen Aragorn-Rolle hat er sich bereits unter David Cronenbergs Regie freigespielt (A History Of Violence, Tödliche Versprechen), hier stellt er sein Gespür für emotional komplexe und ambivalente Figuren einmal mehr unter Beweis.

    Von einem kongenialen Kinderdarsteller wie Haley Joel Osment (The Sixth Sense) oder Max Records (Wo die wilden Kerle wohnen) hätte „The Road“ zwar profitiert, ein Ausfall ist Newcomer Kodi Smit-McPhee aber keineswegs. In Kurz-Auftritten überzeugen außerdem ein zu Tränen rührender Robert Duvall (Crazy Heart) als einsamer Wanderer und Guy Pearce (The Hurt Locker) als Familienvater und personifizierte Gewissheit, dass Wärme und Menschlichkeit noch nicht völlig aus der Welt gewichen sind. Fast wirkt es, als würde Hillcoat sich mit dieser Figur für all die bleierne Dunkelheit entschuldigen, die er seinem Publikum knappe zwei Stunden lang zugemutet hat. Wer hier auf spaßige Endzeit-Kloppereien vor vertrauter Western-Wasteland-Kulisse spekuliert, wird eine unangenehme Überraschung erleben. Als substanzielle Neuausrichtung geläufiger Postapokalypse-Motivik aber überzeugt „The Road“ weitgehend.

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