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    Selbstzensur im großen Stil: Dieses verstörende Sci-Fi-Meisterwerk wurde auf Wunsch seines Regisseurs verboten
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“. Schon in der Grundschule las er Kino-Sachbücher und baute sich parallel dazu eine Film-Sammlung auf. Klar, dass er irgendwann hier landen musste.

    Wenn ein Film so kontrovers diskutiert wird, dass sogar über ein Verbot nachgedacht wird, ist es üblich, dass sich Filmschaffende dagegen wehren. Doch ausgerechnet der legendäre Sturkopf Stanley Kubrick ging bei „Uhrwerk Orange“ anders vor.

    Das dystopische Sci-Fi-Meisterwerk „Uhrwerk Orange“ wirft einen schonungslosen Blick auf die Abgründe der Gesellschaft, den undurchdringbar wirkenden Kreislauf der Gewalt und die Macht der Medien. Hinzu kommen eine verstörende Bildsprache und überaus unbequeme Gewaltspitzen.

    Daher ist es durchaus überraschend, dass der mittlerweile auch in unseren Gefilden besser unter seinem Originaltitel „A Clockwork Orange“ bekannte Film nie Probleme mit dem deutschen Jugendschutz hatte. Vom Kinodebüt an winkte ihm stets ungeschnitten eine FSK-Freigabe ab 16 Jahren.

    In einigen anderen Ländern warteten dagegen strengere Altersfreigaben – und teilweise wurde der Film sogar verboten! In einem Markt war dafür kurioserweise ausgerechnet Regisseur Stanley Kubrick selbst verantwortlich...

    "Uhrwerk Orange": Im Vereinigten Königreich fast drei Dekaden lang verboten!

    Zu den Märkten, in denen der Jugendschutz strenger mit „Uhrwerk Orange“ umging als in Deutschland, zählen überraschenderweise die USA: Damit dem finsteren Gesellschafts-Zerrspiegel das erhoffte R-Rating gewiss war, wurden lange Zeit einzelne Szenen durch Alternativmaterial ersetzt. Damit hatte das US-Publikum aber noch Glück.

    In vielen Ländern wurde „Uhrwerk Orange“ kurzerhand verboten, darunter in Brasilien (bis eine Neufassung ohne Nacktheit erstellt wurde), Irland, Südkorea und Spanien. Diese Verbote wurden seither rückgängig gemacht, ebenso wie das Verbot im Vereinigten Königreich, wo Kubricks Tour de Force geschlagene 27 Jahre lang weder aufgeführt noch verkauft werden durfte.

    Dem Ruf des Films war das aber eher sogar zuträglich: In Großbritannien wurde „Uhrwerk Orange“ während dieser Zeit zu einem sagenumwobenen Titel mit einem florierenden Schwarzmarkt für Film- und VHS-Kopien. Das traditionsreiche Londoner Kult-Kino Scala Cinema nahm „Uhrwerk Orange“ sogar illegal ins Programm – was rechtliche Konsequenzen nach sich zog. Angestoßen wurden diese von Kubrick höchstpersönlich!

    Weshalb sich Kubrick gegen seinen eigenen Film stellte

    Dass „Uhrwerk Orange“ als Adaption eines kontrovers diskutierten Romans selbst zu hitzigen Diskussionen führt, war abzusehen: Sowohl die Filmpresse als auch die Politik reagierten gespalten auf den Film rund um den jugendlichen Gewalttäter Alex (Malcolm McDowell) und seine widerlichen Schandtaten.

    Es dauerte nicht lang, bis sich „Uhrwerk Orange“ zum brandheißen Streitpunkt im Politdiskurs entwickelte: Von Jugendlichen ausgeübte Gewalttaten wurden nach Filmstart oftmals als Taten von Nachahmern abgestempelt – insbesondere in den britischen Nachrichten.

    So verwies 1972 die Anklage während der Anhörung eines Falls von Totschlag auf „Uhrwerk Orange“, darüber hinaus wurde ein 16-jähriger Mörder als Alex-Trittbrettfahrer tituliert (auch wenn sich später herausstellte, dass er den Film nie gesehen hatte). Als in Großbritannien zudem ein Vergewaltigungsfall Schlagzeilen machte, bei dem die Täter wie in „Uhrwerk Orange“ das Lied „Singin' In The Rain“ gesungen haben sollen, zog Kubrick die Reißleine.

    Dieser Horror-Schocker ist so extrem, dass ihm die FSK selbst mit 20 (!) Minuten Kürzungen keine Freigabe erteilen wollte!

    Obwohl er in Interviews stets für seine Überzeugung einstand, dass fiktionale Gewalt in Film und Fernsehen nicht zu realer Gewalt führt, beschloss Kubrick 1973, „Uhrwerk Orange“ im Vereinigten Königreich vom Markt zu nehmen. Und zwar für den Rest seines Lebens!

    Er wollte damit auf Nummer sicher gehen – und womöglich auch sich selbst und seine Familie schützen. Denn wie seine Frau Christiane viele Jahre später The Guardian verraten sollte, ereilten Stanley Kubrick im Zuge der Negativpresse rund um „Uhrwerk Orange“ zahlreiche Briefe mit Morddrohungen, die ihn für sämtliche Jugendkriminalität im Land verantwortlich machten.

    Wie der Regisseur, so der Romanautor

    Nicht nur Kubrick nahm Abstand von „Uhrwerk Orange“, sondern auch Schriftsteller Anthony Burgess. Der Verfasser der gleichnamigen Romanvorlage ging zwar nie so weit wie der Meisterregisseur, allerdings blickte er mit zeitlichem Abstand immer strenger auf seinen Sci-Fi-Nervenkitzel zurück.

    So bezeichnete Burgess den Roman im Vorwort zu späteren Neuauflagen als „Peinlichkeit“ und befand, dass der einzige Reiz am Werk für zu große Teile der Leserschaft der bloße Schockeffekt sei. Zugleich kritisierte er seinen Schreibstil als „zu didaktisch, um kunstvoll zu sein“. Er bedauerte sogar, das Buch überhaupt geschrieben zu haben

    Burgess' Meinung steht allerdings zahlreiches Lob für sein Werk gegenüber. So wird „Uhrwerk Orange“ regelmäßig unter die besten Romane des englischsprachigen Raums gewählt, etwa von Time und vom Buchverlag Modern Library.

    Auch Kult-Regisseur Quentin Tarantino kann mit „Uhrwerk Orange“ übrigens nicht allzu viel anfangen – warum das so ist, könnt ihr hier nachlesen:

    "Verpiss dich!": Warum Quentin Tarantino einen der größten Regisseure aller Zeiten für einen verlogenen Heuchler hält

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