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    Streaming-Tipp: Eine der wildesten Partys der Kinogeschichte – bei der eine Disney-Ikone (!) Geburtstag feiert
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Für Sidney besteht kein Zweifel: Donald Duck ist die beste Schöpfung in der Geschichte der Fiktion. Ob als Comic-, Kurzfilm- oder Langfilm-Held.

    In der Realfilm und Zeichentrick vereinenden Musicalkomödie „Drei Caballeros“ packt Pechvogel Donald Duck Geschenkpakete aus. Klingt vielleicht banal, ist aber die Ausgangslage für eine entfesselte Filmparty, die ihresgleichen sucht.

    Die Aussicht auf einen Film, der durch Zeit-, Geld- und Kräftemangel geformt wurde, mag für manche eher eine Drohung als ein Versprechen darstellen. Erst recht, wenn dessen Entstehung politische Hintergründe hatte. Doch Film ist ein magisches Medium, eine unberechenbare Kunstform.

    Sie hat oftmals bewiesen, dass der vermeintlich sichere Weg mitunter zu Rückschlägen führt. Währenddessen können aus aussichtslosen Vorhaben Geniestreiche entwachsen. Das schillerndste Beispiele dafür ist „Drei Caballeros“: Eine Musicalkomödie über Donald Ducks Geburtstag, die aufgrund interamerikanischer Politbestrebungen verwirklicht wurde – und eine der wildesten, muntersten Partys der Kinogeschichte! „Drei Caballeros“ ist via Disney+ abrufbar:

    "Drei Caballeros": Drei Vögel zelebrieren ihre Freundschaft

    Donald hat ein überdimensionales Geburtstagspaket erhalten, das er stürmisch öffnet. Unter den Gaben befinden sich ein Projektor und Filmrollen, die er sofort einlegt. Nachdem er sich die Geschichte eines die Kälte verabscheuenden Pinguins angeschaut hat, wird Donald über skurrile Urwald-Vögel aufgeklärt, bevor ein betrügerischer Gaucho seine Lebensgeschichte erzählt. In einem weiteren Paket findet Donald seinen brasilianischen Freund José Carioca, der ihn in eine (wortwörtliche!) Bilderbuchversion der Küstenstadt Salvador lockt, um eine singende Gebäckverkäuferin (Aurora Miranda) zu treffen.

    Daraufhin kehren die Freunde zurück, um das nächste Geschenk auszupacken. Es enthält eine Tonspur, die explodiert und den mexikanischen Gockel Panchito offenbart. Dieser schenkt dem Geburtstagserpel eine gigantische Piñata voller Andenken, wie einen fliegenden Teppich und magische Ansichtskarten, die das Trio in Panchitos Heimat verfrachten, wo es gemeinsam singt, tanzt und versucht, Frauen zu bezirzen. Bis Papagei José und Panchito ihren besten Freund an eine verführerische Stimme im Nachthimmel verlieren...

    „Drei Caballeros“ entstand während des Zweiten Weltkriegs, der zwar inhaltlich keine Rolle spielt, hinter den Kulissen aber sehr wohl: US-Präsident Franklin D. Roosevelt zeigte sich aufgrund nationalsozialistischer Propaganda in Mexiko und Südamerika besorgt. Im Glauben an eine „Politik der guten Nachbarschaft“ sollte durch kulturellen Austausch dagegen gesteuert werden. Also kontaktierte Nelson Rockefeller, der Koordinator für interamerikanische Beziehungen, das Disney-Studio.

    Seine Idee war, Walt Disney und von ihm geschätzte Künstler*innen auf diplomatische Tour zu schicken. Disney wiederum regte an, sie zugleich als Recherchereise zu nutzen, um Filme zu verwirklichen, die sich um grenzüberschreitende Anerkennung zwischen den USA und Lateinamerika bemühen. Während der 1942 veröffentlichte, „Saludos Amigos“ betitelte Mix aus Reise-Doku und Zeichentrick-Episoden diese Intention am Revers trägt, tickt der zwei Jahre später fertiggestellte „Drei Caballeros“ gänzlich anders.

    Er ist, weiß man von seinen Hintergründen, als diplomatische Bemühung zu erkennen. Schließlich geht es um die Freundschaft zwischen einem US-Amerikaner, einem Brasilianer und einem Mexikaner. Allerdings wird in „Drei Caballeros“ interkulturelle Begeisterung nicht im Duktus eines neugierig-didaktischen Reiseberichts vermittelt. Sondern frei von der Leber weg und künstlerisch entfesselt.

    Heiße Rhythmen, berauschende Farben und mitreißendes Abrutschen ins Surreale

    Im späteren Verlauf seines Geburtstagsfests bleibt Donald beim Anblick einer Tänzerin im Viehhirtenkostüm (Carmen Molina) der Atem stocken. Verzückt versucht er, näher an sie zu rücken. Doch eine von der Tänzerin heraufbeschworene Armee gezeichneter Kakteen gibt dem quakenden Casanova im Matrosenanzug zum Takt der mexikanischen Revolutionspolka „Jesusita en Chihuahua“ eine Kostprobe seiner Medizin und engt ihn tänzelnd ein.

    Dass „Drei Caballeros“ gegen Ende seiner rund 70 Minuten Spielzeit an einen Punkt gelangt, der niedergeschrieben anmutet, als hätte jemand zu viel Margarita geschlürft, lässt sich anfangs nicht vorhersagen. Und doch stellt das zehnköpfige Storyteam hinter diesem zunehmend absurderen Lebensfreude-Destillat früh die Weichen, um den Partyzug auf Reise zu schicken.

    Bereits die Episode über den frierenden Pinguin Pablo bereitet subtil den Wahnwitz vor: Seine Odyssee wird von einer Erzählstimme begleitet, die im fiebrigen Timbre knochentrockene Knallerpointen abliefert. Etwa, indem sie schnippisch Verwunderung äußert, dass sich Pablos Kursberechnungen als korrekt erweisen.

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    Spätestens von da an wird „Drei Caballeros“ kontinuierlich wundersamer und streift sukzessive jegliches Interesse an narrativen Normen ab, bis ein listiger Gaucho über Handlungsebenen hinweg sich selbst nervt und ad hoc den Schauplatz seiner Anekdote ändert. Oder ein kreischend-plappernder Vogel aus dem Film heraus hüpft. Nicht aus einer von Donalds Filmrollen – aus „Drei Caballeros“!

    Wenn bald darauf derselbe Vogel einen Cartoon-Zug auf eine Irrfahrt durch eine Malkreide-Landschaft schickt oder sich die Silhouetten aggressiv tanzender Männer in kämpfende Hähne verwandeln (und zurück), ist das vollkommen verrückt, kongenial konsequent: Chef-Regisseur Norman Ferguson und die bei einzelnen Abschnitten federführenden Clyde Geronimi, Jack Kinney, Bill Roberts und Harold Young übertrafen sich darin, einen fidel-phantasmagorischen Rausch zu erschaffen.

    Und dies nicht trotz, sondern aufgrund seiner Produktionsgeschichte: Das Studio war unterbesetzt. Teile der Belegschaft haben ihm infolge interner Unstimmigkeiten den Rücken gekehrt. Andere wurden vom Militär eingezogen, wieder andere meldeten sich freiwillig. Jene, die weiter im finanziell gebeutelten Studio agierten, mussten Arbeit in geradlinige US-Propaganda, militärische Ausbildungsfilmchen und sonstige Cartoons zu Schulungszwecken stecken, um es über Wasser zu halten.

    „Drei Caballeros“ wurde zum Ablassventil für alle hauptberuflichen Klassenclowns im Disney-Studio. Zum Hafen der Zuflucht für jene, die sich bei Schulungsfilmen bis zur Besinnungslosigkeit langweilten. Eine Fiesta der Kreativität, die man entgegen sämtlicher Widerstände abfackelte. Mehrmals musste die Produktion unterbrochen werden, da Farbmaterial knapp wurde – aus Trotz wurde „Drei Caballeros“ zum schillerndsten Farbfeuerwerk Disneys.

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    Dass in vielen Szenen auf normale Hintergründe verzichtet wurde, sondern sich Donald und Co. vor bunt verlaufenden Farbkarten tummeln, war zeitsparend und ein Kniff, um Arbeitsressourcen zu schonen. Zugleich hat er künstlerischen Wert: Er steigert das fiebrige Gefühl, in anderen Sphären zu schweben. Und man kann sich auf die rasante, formidable, abgefahrene Charakteranimation konzentrieren, mit der sich insbesondere die unangepassten Scherzkekse Ward Kimball und Fred Moore austobten.

    Ebenso kann es kein Zufall sein, dass die traditionellen Musikstücke und folkloristischen Chartstürmer, die im Laufe der Donald-Duck-Geburtstagsfestivitäten erklingen, vitaler, dynamischer, fetziger und schneller arrangiert wurden. Stutzte dies doch die Laufzeit, wodurch Farbfilm gespart wurde – im selben Zuge macht es die Lieder intensiver, mitreißender, feuriger. Kein Wunder, dass „Drei Caballeros“ in ein Feuerwerk mündet:

    Der gesamte Film ist ein gigantischer Knalleffekt, eine psychedelische Explosion der Sinneseindrücke, Ausdruck heißer Lebensfreude. Lautstark und überzeugend führt er vor, wie belanglos konventionelle narrative Logik und Plot-Dramaturgie sein können, indem er uns eine passionierte Parade exzessiver Einfälle unterbreitet, mit denen ein verwegener Haufen kreativer Köpfe Jahre des Frusts hinfort gejagt hat. So lautstark und vehement sogar, dass diese hemmungslose Energie selbst über sieben Jahrzehnte später spürbar nachhallt.

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