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    Heute Abend streamen: Die völlig unterschätzte Fortsetzung zu einem der besten Horror-Filme aller Zeiten
    Sidney Schering
    Sidney Schering
    -Freier Autor und Kritiker
    Sein erster Kinofilm war Disneys „Aladdin“. Schon in der Grundschule las er Kino-Sachbücher und baute sich parallel dazu eine Film-Sammlung auf. Klar, dass er irgendwann hier landen musste.

    Mit dem bahnbrechenden Horror-Film „Psycho“ erschuf Alfred Hitchcock einen Klassiker für die Ewigkeit. Derart berühmt ist „Psycho II“ zwar längst nicht, allerdings ist das oft übersehene Sequel eine starke Fortführung. Jetzt nachholen!

    Wenn ein Horror-Klassiker viele Jahre nach seiner Weltpremiere eine Fortsetzung erhält, kann man stutzig werden. Zu oft wurden Filmfans mit späten Sequels vergrätzt – doch es gibt auch positive Überraschungen. Ein Paradebeispiel dafür ist „Psycho II“:

    23 Jahre nach dem wegweisenden Schocker „Psycho“ kehrte der psychisch labile Norman Bates zurück. Da der Film drei Jahre nach Alfred Hitchcocks Tod erschien, wirkte er nach außen zwar eiskalt kalkuliert. Allerdings ist er ein aufreibend-komplexes Psychogramm, das unbequeme Fragen stellt. Falls ihr nun neugierig seid: „Psycho II“ ist als Kauf- und Leih-VOD via Amazon Prime Video verfügbar!

    "Psycho II": Die Rückkehr eines Serienkillers

    22 Jahre, nachdem Serienmörder Norman Bates (Anthony Perkins) gefasst und in eine Nervenheilanstalt überwiesen wurde, wird ihm seelische Heilung attestiert. Unter großem Protest von Lila Loomis (Vera Miles), deren Schwester von Norman getötet wurde, darf der frühere Motel-Betreiber zurück in die Freiheit. Da er nicht weiß, wohin sonst, zieht er in sein altes Familienhaus und heuert in einem Diner an. Dort knüpft er Bande mit seiner Kollegin Mary (Meg Tilly):

    Mary ist frisch getrennt und steht daher ohne Unterschlupf dar. Also bietet Norman ihr an, bei ihm einzuziehen. Mary wiederum verteidigt Norman, wenn Leute ihn durch die Mangel nehmen. Geborgenheit und Seelenfrieden scheinen zum Greifen nahe. Doch Norman erhält bedrohliche Botschaften – oder verliert er wieder den Verstand?

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    Ein Jahr, bevor Hollywood „Psycho“ fortsetzen konnte, schlug bereits Robert Bloch zu: Der Autor, der die Romanvorlage zum Horror-Klassiker verfasste, brachte 1982 mit „Psycho 2“* einen bissigen Roman auf den Markt, der sich das Slasher-Genre sowie die Hollywood-Maschinerie vorknöpft.

    Bei Universal Pictures stieß das auf Gegenwehr: Man wollte zügig einen Gegenentwurf nachreichen und Blochs Sequel überschatten. Die Ambitionen des Studios waren allerdings nicht allzu groß: Es plante lediglich einen exklusiv im Kabelfernsehen ausgewerteten Film. Erst, als ein vom Drehbuch begeisterter Perkins zusagte, wurde „Psycho II“ zum Kinofilm befördert.

    In den Fußstapfen des Suspense-Meisters

    Die Filmkreativen verfolgten dagegen von Beginn an größere Ambitionen: Regisseur Richard Franklin war Hitchcock-Lehrling und wollte seinem einstigen Mentor gerecht werden. Und Drehbuchautor Tom Holland wollte unbedingt den eingangs zweifelnden Perkins überzeugen. Also erschufen sie einen Film fernab des Slasher-Sequel-Standards: „Psycho II“ stellt keine kaum motivierte, plötzliche Mordserie in den Mittelpunkt.

    Stattdessen ist diese Fortsetzung ein unterschwellige Anspannung erzeugendes, thematisch schmerzliches Horror-Drama, das sein Publikum auffordert, sich in Bates' Schuhe zu versetzen! Denn es beginnt mit einem seine Läuterung beteuernden, von seiner Vergangenheit eingeschüchterten und seinen Taten angewiderten Norman.

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    Ihm wird versichert, dass er die Psychose, die ihn zum Morden getrieben hat, überwinden konnte. Der Beginn eines glücklichen, sicheren neuen Daseins gestaltet sich jedoch als schwierig, da ihm der Staat aufgrund von Etatkürzungen wenige Sicherheitsnetze zur Verfügung stellen kann. Und der arme Tropf ist zu unkreativ (respektive alternativlos), als dass ihm andere Ideen kämen, als es sich wieder am Tatort heimisch zu machen.

    Der Killer als mögliches Opfer seines Umfelds...

    Franklin und Holland werfen die Frage auf, wie viel Vertrauensvorschuss wir einem sich resozialisierenden Täter geben würden. Ebenso etablieren sie die gegen Bates' Freilassung protestierende Lila als ambivalente Figur: Ist ihre Aufregung angebracht? Riskiert sie, überhaupt erst durch ihren Wirbel einen schlafenden Hund zu wecken?

    Dass diese Story dramatisch dazwischen schwankt, Furcht um Norman zu wecken und Furcht vor ihm zu schüren, ist nicht zuletzt Verdienst von Franklins Regieführung sowie Dean Cundeys Kameraarbeit. Zugegeben: Die Lichtsetzung ist, vor allem in Szenen bei Tageslicht unter freiem Himmel, beliebig und nichtssagend.

    In Nachtszenen, insbesondere in denen, die im Bates-Haus spielen, kreieren Franklin und „Das Ding aus einer anderen Welt“-Kameramann Cundey hingegen atmosphärische Schattenspiele, bei denen heimelige Anmutung und gespenstische Bedrohung gleitend ineinander übergehen. Und das Bild einer Mary, die den viel größeren, zittrigen Norman tröstend-verängstigt in die Arme nimmt, kitzelt widersprüchliche Gefühle wach.

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    Obendrein zeigen Franklin und Cundey, dass sie Hitchcocks Stil verinnerlicht haben, und fähig sind, ihn behutsam an neue technische Möglichkeiten anzupassen: Dass die Tricks in den Gewaltspitzen hinter vielen 80er-Horror-Filmen zurückfallen, ist angesichts der geisterhaft-ausgeklügelten Plansequenzen und schwummrigen Fokusverschiebungen schnell verziehen.

    Letztlich sind es aber die Geschichte sowie die Leistungen von Perkins und Tilly, dank denen „Psycho II“ dermaßen mitreißt: Perkins lässt uns mit wehmütigem Blick und schmerzverzerrtem Gesicht mitleiderregend an Normans Bemühungen teilhaben, sich als ungefährlich zu beweisen. Doch die Intensität, mit der Perkins als Bates zuweilen vor sich selbst zurückschreckt, und die Sehnsucht, mit der er sich an jedem Strohhalm klammert, der ihn vor Einsamkeit bewahrt, lassen zugleich Alarmglocken schrillen.

    Dieses verletzliche, trotzdem potentielle Gefährlichkeit signalisierende Spiel wird gekonnt durch Tilly ergänzt: Der spätere „Body Snatchers“-Star macht spürbar, wie emotional zerrissen ihre Figur ist – zwischen Mitgefühl, Angst, schlechtem Gewissen und einer sich dem Moment hingebenden Leichtsinnigkeit. Mary ist sich mit ihrem Handeln mitunter ein noch größeres Rätsel, als dem Publikum – und Tilly sorgt dafür, dass diese Unklarheit richtig schmerzt.

    ...und der Publikumserwartung!

    Gestützt werden die Darbietungen durch die Filmmusik: „Das Omen“-Komponist Jerry Goldsmith geht in einigen Passagen zwar zu behutsam-wirkungslos mit Bernard Herrmanns „Psycho“-Originalmusik um. Doch in den Passagen, in denen es drauf ankommt, glänzt Goldsmith mit Motiven, die sich im Laufe des Films von hoffnungsvoll und heilsam zu angespannt, konfus und letztlich niederschmetternd-finster wandeln. Damit unterstreicht er die bittere Dornigkeit von „Psycho II“.

    Die Aussicht, dass Bates rückfällig wird, schwebt nicht als das Versprechen mörderischen Vergnügens über „Psycho II“, sondern ist die Androhung einer Tragödie. Anspannung entsteht in dieser Fortsetzung, weil wir hoffen, dass keine Morde geschehen. Denn sollte Bates wieder zum Messer greifen, wäre der an sich arbeitende Protagonist, den Perkins so kummervoll beseelt, gescheitert. Durch dieses komplizierte emotionale, thematische Dickicht widersetzt sich „Psycho II“ den Erwartungen an Genre-Fortsetzungen, hält aber das Versprechen von „Psycho“ ein:

    Erneut bekommen wir nicht die Geschichte, die wir uns zunächst ausmalen – sondern eine raffinierte Genreübung mit ausdifferenzierten Figuren. Daher altern diese Filme nicht: Ihre Schockmomente mögen angesichts heutiger Sehgewohnheiten harmloser wirken als einst. Aber ihre Geschichten lassen nicht mehr los.

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