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    "Lilo & Stitch": Wie aus einem anarchischen Experiment ein zuckersüßer Disney-Film wie (fast) jeder andere wurde

    Der widerspenstige „Lilo & Stich“ von 2002 hat nie so recht in den Kanon der Disney-Animationsfilme gepasst, aber wie ein Blick auf die Produktionsgeschichte und frühere Schnittfassungen zeigt, sollte er ursprünglich noch viel gewagter ausfallen.

    Es ist im Filmgeschäft ein ganz normaler Vorgang, dass im Laufe des Herstellungsprozesses substanzielle Änderungen gegenüber der ursprünglichen Version vorgenommen werden. Das gilt insbesondere für die millionenschweren Produktionen eines Konzerns wie Disney, der nicht nur ein möglichst großes Publikum zufriedenstellen will, sondern natürlich auch Investoren und Aktionäre. Das ist beim „Star Wars“-Franchise nicht anders als bei den traditionellen Animationsfilmen. Doch selten sind die Eingriffe so extrem ausgefallen und so spät in der Produktion erfolgt wie bei „Lilo & Stitch“.

    Das klassisch animierte Abenteuer um den aus einem missglückten Experiment hervorgegangenen zerstörungslustigen außerirdischen Mutanten Stitch, den es auf seiner intergalaktischen Flucht auf die Erdeninsel Hawaii verschlägt, ist sowieso schon eher ein Außenseiter in der stolzen Reihe der Disney-Trickfilme und landete bei FILMSTARTS nur auf Platz 41 im Ranking. Wenn allerdings die unter der Leitung des späteren „Drachenzähmen leicht gemacht“-Regieduos Dean DeBlois und Chris Sanders fast schon fertiggestellte Urversion 2002 in die Kinos gekommen wäre, dann hätten wir es wohl mit einem echten Bastard zu tun gehabt.

    Ursprünglich haben sich die Macher die zerstörerische Ader des Protagonisten ziemlich unverblümt zu eigen gemacht und viele der radikalsten Szenen wurden sogar fertig animiert. Dass die Disney-Verantwortlichen dann lieber darauf verzichtet haben, zu zeigen, wie Stitchs neue Freundin, das kleine Mädchen Lilo, von einer außer Kontrolle geratenen Kettensäge gejagt wird, lässt sich sogar noch nachvollziehen. Dass sie aber eine Szene, in der sich die Sechsjährige an hochnäsigen Touristen mit einer gefälschten Tsunami-Warnung rächt, gar nicht erst fertig produzieren ließen, zeigt, dass der Chefetage die anarchische Seite der Geschichte offenbar doch etwas unheimlich war.

    Die Abmilderungen ziehen sich durch den ganzen Film: Bei der Jagd des Aliens Jumba auf den flüchtigen Stitch kommt in einer Szene nicht mehr die Laserkanone zum Einsatz – stattdessen wirft er mit Geschirr. Und wenn Lilos Haus schließlich explodiert, dann wird das in der finalen Fassung in Cartoon-Manier dadurch verursacht, dass eine Karotte Jumbas Waffe verstopft. Die originale Variante – Stitch hat die Gasleitung angezapft – war deutlich realistischer und bösartiger. In der ersten Fassung wurde fröhlich mit Sägen, Äxten und anderem gefährlichem Gerät hantiert, spätestens nach den ersten Testvorführungen kamen stattdessen harmlosere Dinge wie eine Zahnbürste zum Einsatz:

    Eine weitere wesentliche Änderung betrifft das Finale des Films - und die leuchtet mit Blick auf den Entstehungszeitraum sofort ein: Es war zunächst vorgesehen, dass Stitch eine Boeing 747 kidnappt, um Lilo zu befreien, dabei mit dem Flugzeug in Gebäude in Honolulu kracht und die Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzt. Doch dann kam der 11. September 2001 und dieses Szenario wurde natürlich fallengelassen: Aus dem Jumbojet wurde ein Raumschiff und die Stadt wurde außen vor gelassen.

    Das alles heißt natürlich nicht, dass „Lilo & Stitch“ in der ungezogenen Version automatisch ein besserer Film geworden wäre, eine „weitere zuckersüße Zeichentrick-Geschichte um Freundschaft“, wie es in der FILMSTARTS-Kritik heißt, wäre aber vermutlich nicht entstanden.

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