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    "Aladdin": Darum ist Will Smith ein besserer Dschinni als Robin Williams

    Das Gespött der Fans war gnadenlos, als sie Will Smith als Dschinni erblickten. Doch die dürfen sich auf ein blaues Wunder gefasst machen. Für unseren Kollegen Benjamin Hecht übertrifft der Flaschengeist im neuen „Aladdin“ sogar das Original.

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    +++Meinung+++

    Ich habe anfangs nicht viel vom „Aladdin“-Realfilm erwartet. Doch das Disney-Remake im orientalischen Gewand zog mich schon in wenigen Minuten total in seinen Bann und gehört für mich zu den lustigsten und magischsten Kinoerlebnissen des bisherigen Jahres. Großen Anteil daran hat Will Smiths lässig-charmante Interpretation des Dschinnis, eine der ikonischten Disney-Figuren, deren Beliebtheit sich seit jeher vor allem auf Robin Williams stützte.

    Bei der enormen Popularität, den der Williams’sche Flaschengeist genießt, scheint es fast wie Blasphemie, ihn hier in all seiner Heiligkeit anzugreifen. Immerhin wurde die Figur von Anfang an für Robin Williams geschrieben. Sie ist wie eine zweite Haut, maßgezeichnet für die leider viel zu früh verstorbene Comedy-Legende. Doch trotzdem muss ich hier eine vielleicht etwas unpopuläre Meinung äußern.

    Nicht, weil ich die unzähligen Stunden improvisierter Dialoge, die Robin Williams aus seiner mentalen Wunderlampe holte, nicht respektiere. Nein, ich kann und will das komödiantische Genie hinter dem Dschinni nicht infrage stellen. Ich finde nur, dass die dominante Präsenz von Robin Williams der Geschichte um „Aladdin“ schadet – Will Smith schafft hingegen den perfekten Spagat zwischen Zurückhaltung und Exaltiertheit.

    Der Dschinni im Original-"Aladdin" nervt

    Nachdem ich den neuen „Aladdin“ von Guy Ritchie sah, wuchs meine Neugier auf den Klassiker. Ich hatte ihn seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen, konnte mich nur noch grob an die Handlung erinnern und hatte vor allem noch die verrückten Verwandlungen des Dschinnis im Kopf. Doch bei meiner erneuten Sichtung stellte ich fest, dass mir die frechen Einschübe des Flaschengeistes, die mir als Kind solche Freude bereiteten, nun wirklich auf die Nerven gehen.

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    Die erste halbe Stunde lernen wir Aladdin als frechen Dieb mit der Sehnsucht nach Reichtum kennen. Er ist zwar alles andere als ein moralisch einwandfreier, aber doch durchweg sympathischer Kerl und somit ein hervorragender Protagonist. So emotional in dessen Leidensweg investiert, steht einer ähnlich packenden Geschichte wie im Remake nichts im Weg. Doch in dem Moment, als der Dschinni zum ersten Mal aus seiner Wunderlampe platzt und mit lautem Getöse die Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist Aladdin für mich plötzlich nur noch eine Randgestalt. Der emotionale Kern der Geschichte wird dem hyperaktiven Gebaren eines Robin Williams‘ rücksichtslos geopfert.

    Teamplayer statt One-Man-Show

    Auch Will Smith sorgt bei seinem ersten Auftritt als omnipotenter Flaschenclown für großes Spektakel und steht der Vorlage somit in nichts nach. Doch während der Zeichentrick-Genie im restlichen Film weiterhin mit kontextlosen und zufälligen Quatscheinlagen mehr und mehr von der eigentlichen Geschichte ablenkt, fügt sich Will Smith geschmeidig in die Handlung ein und verleiht ihr zusätzliche Tiefe.

    Zwar prahlen beide Dschinnis bereits bei ihren Erstauftritten damit, dass Aladdin noch nie einen solchen Freund hatte, doch im Zeichentrickfilm ist von wahrer Freundschaft kaum etwas zu spüren. Wenn Aladdin seinen finalen Wunsch schließlich nutzt, um seinen Gefährten zu befreien, wirkt das nicht wie „ein kleiner Freundschaftsdienst“, sondern wie ein symbolischer Ausdruck der Wandlung, die der einst egoistische, aber gutherzige Kleinkriminelle im Laufe der Handlung durchgemacht hat. Dem Animationsfilm fehlen einfach die nötigen Szenen, in denen der junge Mann und der gottgleiche Geist eine Verbindung aufbauen. Robin Willams liefert eine One-Man-Show ab, die teilweise überhaupt nichts mit der Handlung zu tun hat und wirkt deshalb wie ein Fremdkörper.

    Immersion statt Meta-Humor

    Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass der Animations-Dschinni eine Reihe von Verwandlungen nutzt, die in der Welt von Agrabah keinen Sinn ergeben, beispielsweise ein U-Boot oder einen Baseballspieler. Der neue „Aladdin“ verzichtet auf solche anachronistischen Ausbrüche und gibt uns somit die Chance, in die Welt von Agrabah einzutauchen. Genau das erwarte ich von einem Disney-Abenteuer. Ich möchte mich in eine fantastische Welt begeben und nicht dauernd mit popkulturellen Anspielungen und Meta-Humor übergossen werden, die mich aus der Immersion reißen.

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    Manch einer mag den damaligen Stilbruch im Disney-Universum gutheißen. Wer sich nicht so gerne auf gefühlvolle Zeichentrick-Musicals einlässt (wie ich als kleiner Junge), hat sicher große Freunde an den anarchistischen Eskapaden, die im Zeichentrickkosmos der damaligen Zeit sonst eher bei den Looney Tunes zu finden waren. Doch lieber sehe ich einen Film, der selbstbewusst seinen eigenen Kitsch abfeiert - wie es das „Aladdin“-Remake tut - als ständig mit einer viel zu penetranten Nebenattraktion davon abzulenken.

    Ein wahrer Freund

    Will Smith hat den großen Vorteil, dass sein „Aladdin“ rund 40 Minuten länger ist und die Autoren John August und Guy Ritchie die Zeit nutzen, um den Dschinni öfter mit dem eigentlichen Helden interagieren zu lassen. Besonders die Momente, in denen Will Smith quasi eine übernatürliche Variante von Date-Doktor Hitch zum besten gibt und seinem Schützling bei dessen unbeholfenen Flirtversuchen hilft, sind nicht nur humorvoll, sondern lassen die beiden Figuren auf eine Art und Weise zusammenfinden, wie es sie es im Original nie konnten. In diesen Momenten spielt Will Smith seine Persönlichkeit voll aus und nutzt sein unvergleichliches Charisma, das der Superstar trotz zahlreicher filmischer Gurken in seiner Vita, auch heute noch besitzt.

    Allgemein tut das entschleunigte Tempo des Films der Beziehung zwischen Aladdin und dem Dschinni sehr gut. Das ist unter anderem in einem der dramatischen Höhepunkte zu spüren: Aladdin ist kurz davor zu ertrinken und kann im letzten Moment an der Wunderlampe reiben, um seinen Wunscherfüller zu beschwören. Doch er wird bewusstlos und kann seinen Wunsch nicht mehr äußern. Der Dschinni entscheidet sich dazu, diesen Schritt für ihn zu übernehmen und ihn selbständig zu retten, was eigentlich den Regeln widerspricht.

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    Der Konflikt des Dschinnis wirkt im Original (wie vieles andere auch) sehr gehetzt und nur wie eine beliebige Station des rastlosen Verwandlungsfeuerwerks, das Robin Williams‘ Figur selbst im Angesicht des Todes seines Freundes noch abfeuert. Im Realfilm sehen wir einen Will Smith, der glaubhaft mit seinem Gewissen kämpft und verzweifelt nach einer Grauzone in den Regeln sucht, um seinen Kumpel irgendwie zu retten. Das gelingt ihm vor allem auch deswegen, weil die menschliche, realitätsnahe Darstellung der Figur eine viel besser Identifikation schafft, als der grotesk-geformte Zeichentrick-Geist von 1992.

    Das Multitalent Will Smith

    Ich gebe zu: Viele der Aspekte, die mich am neuen Dschinni begeistert haben, sind zu großen Teilen aufs Drehbuch zurückzuführen. Doch nicht viele Schauspieler hätten der Figur so ihren Stempel aufdrücken können wie Will Smith. Es war eine weise Entscheidung von den Verantwortlichen, keinen zweiten Robin Williams finden zu wollen. Dieses Vorhaben wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt gewesen. Doch auch wenn Will Smith ein sehr unterschiedlicher Darsteller ist, füllt er die Rolle perfekt aus - nur eben anders.

    Seit dem Intro von „Prinz von Bel-Air“ wissen wir, dass Will Smith wie kaum ein zweiter auf der schmalen Grenze zwischen humorvoll-charmant und befremdlich-peinlich balancieren kann. Nur wenige in Hollywood haben eine so einnehmende Aura und wirken dennoch auf eine gewisse Art bodenständig. Dass er singen, tanzen und den Date-Doktor spielen kann, ist eine Sache, doch die Kombination aus seiner beinahe magischen „Larger-than-life“-Persönlichkeit und seiner Fähigkeit, trotzdem wie ein guter Kumpel von nebenan zu wirken, machen Will Smith zu einer hervorragenden Besetzung für das allmächtige Wesen, das aber eigentlich nur ein normales Leben führen möchte.

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    Alles in Allem ist Will Smiths Interpretation des Dschinnis deutlich nahbarer, ohne dabei jedoch an magischem Flair einzubüßen. Mit seiner vergleichsweise zurückgenommenen Performance (mit Betonung auf vergleichsweise), ordnet er sich der Geschichte unter, anstatt diese mit einem hyperaktiven Gag-Dauerfeuer zu torpedieren. Auch wenn ein Vergleich zwischen einer Zeichentrickfigur und einem Realfilm-CGI-Hybriden nicht in jeder Hinsicht zielführend ist, hat mir Will Smiths Figur gezeigt, wie viel emotionales Potential in der Figur des Dschinnis steckt. Einen besseren blauen Flaschengeist für das orientalische Disney-Abenteuer hätte ich mir nicht vorstellen können.

    „Aladdin“ läuft seit dem 23. Mai 2019 in den deutschen Kinos.

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