Mein Konto
    Five Minutes Of Heaven
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Five Minutes Of Heaven
    Von Sascha Westphal

    Mit der Bernd-Eichinger-Großproduktion „Der Untergang" konnte Oliver Hirschbiegel zwar seinen bisher größten internationalen Erfolg feiern, doch letztlich fällt dieses bizarre Führerbunkerszenario aus den letzten Tagen des Dritten Reichs trotz allem aus seinem Werk heraus. Es hat ihn endgültig nach Hollywood gebracht, die Traumfabrik war allerdings schon vorher durch „Das Experiment" auf ihn aufmerksam geworden. Nur erlebte er dort während der Produktion von „The Invasion" seine eigene Götterdämmerung, und die kam zumindest für Kenner seiner Arbeiten gar nicht so überraschend. Natürlich ist in einigen Szenen des „Untergangs" Hirschbiegels Handschrift zu erkennen, aber das ändert nichts daran, dass dies zuallererst ein Eichinger-Film ist. Hirschbiegel selbst ist – und das hat er mit „Mein letzter Film" und „Ein ganz gewöhnlicher Jude" eindrucksvoll unter Beweis gestellt – eigentlich eher ein Regisseur für intensive Kammerspiele und differenzierte Charakterstudien. Mit „Five Minutes Of Heaven", einem britischen Drama aus dem immer noch schwelenden Nordirland-Konflikt, bewegt er sich nun wieder auf vertrautem Terrain. Mit diesem teils extrem klaustrophobischen Thriller um zwei Männer, die ein Mord vor mehr als 30 Jahren aneinander gekettet hat, schlägt Hirschbiegel zugleich noch einen Bogen zurück zu seinen früheren Fernseharbeiten, mit denen er in den 80er und 90er Jahren immer wieder für Furore gesorgt hatte.

    33 Jahre sind seit dem Mord an Joe Griffins älterem Bruder vergangen. Damals, 1975, musste der elfjährige Katholik hilflos mit ansehen, wie der 17-jährige Protestant und UVF-Kämpfer Alistair Little seinen Bruder mit drei Schüssen in den Kopf hingerichtet hat. Ihm krümmte der fanatisierte Jugendliche zwar kein Haar, aber sein Leben war trotzdem zerstört. Nun sollen sich Joe (James Nesbitt) und Alistair (Liam Neeson), der für den Mord zwölf Jahre im Gefängnis gesessen hat und nun als Berater und Dozent in alle Krisengebiete der Welt reist, zum ersten Mal wieder begegnen – vor laufenden Fernsehkameras. Ein Sender hat sie für eine Show unter dem Motto „Truth and Reconciliation" („Wahrheit und Versöhnung") in ein altes Schloss im Belfaster Umland eingeladen. Dort sollen sie über das Vergangene sprechen und möglichst einen Schlusspunkt für sich finden. Allerdings hat Joe noch einen ganz anderen Plan. Wahrheit und Versöhnung gehören dabei nicht zu seinen Prioritäten.

    Der sinnlose Mord, der weit mehr als nur ein Leben fordert, ist tatsächlich geschehen. Guy Hibberts Drehbuch basiert auf einem realen Ereignis, das symptomatisch für die Gewalt ist, die in den 70er Jahren das Leben in Nordirland mehr als alles andere geprägt hat. Selbst die Namen der Beteiligten stimmen. Nur haben sich Joe Griffin und Alastair Little seit dem schicksalhaften Tag nie wieder getroffen. Die gesamte Gegenwartshandlung ist eine Fiktion, in der Guy Hibbert und Oliver Hirschbiegel die Nach- und Wechselwirkungen extremistischer Gewalt ausloten. Liam Neesons Täter- und James Nesbitts Opferfigur werden damit automatisch zu archetypischen Charakteren, die letztlich kaum individuelle Züge haben. Im Prinzip reduziert sich alles auf die paar Sekunden, in denen Alistair drei Mal hintereinander abgedrückt hat. Diese haben zumindest in „Five Minutes Of Heaven" die Persönlichkeiten der beiden Teenager ausgelöscht und zwei Menschen geschaffen, die deutlich die Züge lebender Toter tragen. Irgendwie haben sie zwar immer weitergemacht, haben in den engen Grenzen ihrer Existenz überlebt – der eine, indem er sich an die Illusion eines normalen Familienlebens mit Ehefrau und zwei Kindern geklammert hat, der andere, indem er versucht, Menschen von Gewalt und Hass fernzuhalten –, aber innerlich sind sie an diesem fatalen Abend mit Joes Bruder gestorben.

    Vielleicht lässt sich die nordirische Wirklichkeit tatsächlich nur mittels eines fast schon rigiden Formalismus filmisch darstellen. Trotzdem überrascht die extrem klassische Drei-Akt-Struktur, die Hippert und Hirschbiegel für ihren Film gewählt haben, doch ein wenig. In Zeiten, in denen im Genre des politischen Kinos meist ein (Pseudo-)Realismus gepflegt wird, haben die bewussten dramatischen Zuspitzungen etwas fast Exotisches.

    Zunächst scheint „Five Minutes Of Heaven" regelrecht in den Ereignissen des Jahres 1975 zu versinken. Ein erstaunlich lässiger Detailreichtum prägt diesen ersten Akt, der den Nachmittag und Abend des Mordes ganz kühl und sachlich rekonstruiert. Ein harter Schnitt überbrückt dann 33 Jahre. Nachdem der elfjährige Joe gerade noch auf der Hinterbank eines Autos gesessen hat, das vor dem Krankenhaus steht, in das sein Bruder gebracht wurde, sitzt jetzt ein grauer Mann mittleren Alters im Fond einer Limousine und kämpft mit den Erinnerungen, die ihn nicht loslassen. Ein Chauffeur bringt ihn zu dem Schloss, in dem er den Mörder seines Bruders treffen soll. Eben der sitzt im Fond einer zweiten Limousine und ist mit seinen eigenen Dämonen beschäftigt.

    Alles in diesem zweiten Akt steuert auf den Dreh der Fernsehsendung und das Treffen der beiden Männer hin. Doch der Höhepunkt bleibt aus. Die äußeren Bedingungen stimmen einfach nicht. Das Fernsehen mag glauben, dass seine Kameras eine Katharsis befördern, doch das ist ein Irrtum. Die ist nur unter ganz anderen Voraussetzungen möglich, und so begegnen sich Joe und Alistair schließlich doch noch Auge in Auge. Das one-on-one, das sich die Fernsehmacher ausgemalt hatten, ist unvermeidlich, aber eben nicht im Saal eines feudalen Herrenhauses, sondern am Schauplatz des Mordes, einem mittlerweile leeren, nahezu verfallenen Haus in einem heruntergekommenen Arbeiterviertel in der nordirischen Kleinstadt Lurgan.

    In den ersten beiden Akten sind Oliver Hirschbiegel und der Film ganz bei sich selbst. In ihnen stimmt jedes noch so kleine Detail und auch jede Nuance im Spiel von Liam Neeson und James Nesbitt. Neeson wahrt perfekt die dünne, ganz leicht zu durchbrechende Fassade eines Mannes, den seine Schuld auffrisst, der sein Verbrechen Tag um Tag, Stunde um Stunde, Minute um Minute sühnt und sich doch nicht von dessen Last befreien kann. James Nesbitt setzt dagegen ganz auf ein nahezu hysterisches Overacting, das aber den Kern seines Charakters perfekt trifft. Dieser Joe Griffin ist wirklich nichts anderes als die Summe seiner Ticks und Ängste, seiner Schuldgefühle und Rachefantasien. Hirschbiegel spielt geradezu virtuos mit dem Kontrast im Auftreten seiner beiden Stars. Wie er aus ihm eine sich immer weiter steigernde Spannung zieht, wie die Situation durch eine geschickte Parallel-Dramaturgie in wahrhaft explosive Regionen treibt, ist vorbildlich.

    Doch schließlich muss Hirschbiegel den Raum genauso wie die Dramaturgie des Geschehens öffnen. Der Höhepunkt, auf den alles zuläuft, ist zwar konsequent, aber trotz allem eine Enttäuschung. An die Stelle des genauen psychologischen Porträts zweier Männer, die in ihrer Entwicklung stehenbleiben mussten, die immer elf beziehungsweise siebzehn Jahre alt geblieben sind, tritt eine Action-orientierte Western-Logik, ein großer Showdown, den Hirschbiegel zudem noch mit ziemlich brachialen äußeren Effekten in Szene setzt. Auch das ist formal und dramaturgisch durchaus schlüssig, nur eben extrem oberflächlich.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top