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    Coco Chanel & Igor Stravinsky
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Coco Chanel & Igor Stravinsky
    Von Jan Hamm

    Sie war das Enfant terrible der Modewelt, er ließ die klassische Musik erbeben. Im frühen 20. Jahrhundert elektrisierten und polarisierten sie, bis der Zeitgeist ihre Werke umarmte. Mehr hatten Coco Chanel und Igor Stravinsky nicht gemein. Oder etwa doch? In einer knappen Anekdote haben sich die Biographien der beiden tatsächlich gekreuzt, und zwar hauptsächlich zwischen den Laken. Die ist angesichts der so zahlreichen wie namhaften Affären, die Gabrielle Chanel nachgesagt werden, aber eigentlich nicht der Rede wert. Oder etwa doch? Mit „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ bläst Jan Kounen (39,90 (Neununddreißigneunzig)) das Intermezzo nach einer Romanvorlage von Chris Greenhalgh auf Spielfilmlänge auf und kann dank prunkvoller Ausstattung und dem dänischen Superstar Mads Mikkelsen durchaus punkten. Dessen hochdisziplinierte Auslegung Stravinskys ist zwar faszinierend. Wie es die Historie aber diktiert, implodiert die französisch-russische Amour fou irgendwann einfach – damit hat „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ ein dramaturgisches Problem, dem Kounen nicht entgegen wirken kann.

    Paris, 1913: Nervös streift Igor Stravinsky (Mads Mikkelsen, Die Tür, Casino Royale) hinter den schweren Vorhängen des Théâtre des Champs-Élysées umher, wenige Minuten vor der Premiere des Le sacre du printemps. Dann kommt der Supergau. Die französische Elite ist von der rohen Urgewalt seiner Komposition überfordert, noch während der Aufführung explodiert der Saal im Tumult. Amüsiert verfolgt Modeschöpferin Coco Chanel (Anna Mouglalis) das wilde Treiben. Sie interessiert sich ohnehin mehr für den Mann hinter der Komposition. Sieben Jahre später: Chanel ist reich geworden, Stravinsky lebt nach der russischen Revolution im französischen Exil. Dankbar nimmt der verarmte Künstler das Angebot der Grande Dame an, samt Familie auf ihren Landsitz zu ziehen. Chanels Verständnis von Nächstenliebe bleibt der ans Krankenbett gefesselten Stravinsky-Gemahlin Catherine (Elena Morozova) nicht lange verborgen...

    Kounens furiose Inszenierung der geschichtsträchtigen Premiere des später gefeierten Le sacre du printemps erweist der bedrohlichen Opulenz der Stravinsky-Komposition alle Ehre. David Ungaros Kamera ist omnipräsent, wirbelt über das hysterische Publikum, drängt sich zwischen die hilflosen Balletttänzer, mischt sich unter die aufgebrachte Entourage Stravinskys. Mit dem klugen Schnitt Anny Danchés gelingt der Balanceakt, Hektik und Überforderung vor und hinter dem Vorhang zu illustrieren, ohne darin verloren zu gehen. Damit wird ein Niveau etabliert, das der restliche Film leider nicht ansatzweise halten kann. Denn einen Zeitsprung später setzt Kounen sich in Chanels Landhaus fest und verfolgt fortan eine Dreieckskonstellation, die frei von Höhepunkten ist. Hier hat Anne Fontaines kurios zeitnah produzierter Coco Chanel mit einem klaren Ziel, dem Aufstieg Chanels, und der daraus resultierenden dramaturgischen Stringenz eindeutig die Nase vorn.

    Sobald die erotische Anspannung zwischen Stravinsky und Chanel in offener Körperlichkeit mündet, verebbt der Film in einer Spirale aus profanen Sexszenen, ehelicher Eiertänze und pflichtbewusst eingeschobenen Verweisen auf das weitere Schaffen der erhitzten Künstlerseelen. Wirklich interessant ist dabei bloß die Innenansicht der Stravinsky-Familie, über die immerhin Catherine eine nennenswerte Fallhöhe erhält. Igor braucht Catherine - die siechende Frau hält die Familie zusammen und ist als Assistenz bei der Komposition unersetzlich. Catherine braucht Igor - ihrer Untauglichkeit als Objekt männlicher Begierde ist sie sich bewusst, ein Neuanfang wird ihr nicht mehr vergönnt sein. Catherine dabei zu beobachten, wie sie die tragische Sackgasse ihres Lebens realisiert, ist so knallhart, dass das kraftlose Crescendo der titelgebenden Affäre zur Nebensache verkommt.

    Der Hoffnungslosigkeit ihrer Figur entsprechend porträtiert die erschreckend blasse Elena Morozova Catherine subtil als still verzweifelndes Anhängsel. Mads Mikkelsen gelingt das Kunststück, hinter völlig versteinertem Antlitz eine tiefe Emotionalität anzudeuten und Stravinsky damit Profil zu verleihen. Chanel-Model Anna Mouglalis fällt die undankbare Aufgabe zu, das Ehedrama zu katalysieren. Zwischen arrogantem Kommandoton im Pariser Atelier und daheim zur Schau getragener Großherzigkeit gibt es kaum eine Möglichkeit, Zugang zur grob skizzierten Figur zu finden. Diese Fehlkonzeption fällt umso schwerer ins Gewicht, als dass Kounen ohnehin Mühe hat, die Relevanz seines Stoffes zu plausibilisieren. Denn das angedeutete Sittengemälde hätte auch ohne „Coco Chanel & Igor Stravinsky“ funktioniert – während die Affäre letzten Endes bleibt, was sie auch zuvor war: eine biographische Fußnote.

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