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    Erzähl mir was vom Regen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Erzähl mir was vom Regen
    Von Sascha Westphal

    Das einstmals vor allem auf der Bühne aber auch im Film so überaus populäre Genre der Gesellschaftskomödie fristet mittlerweile selbst in Frankreich, der Heimat Molières, nur noch eine Art Schattendasein. Im Theater wird diese Tradition gerade noch von Yasmina Reza und im Kino von dem Multitalent Agnès Jaoui aufrechterhalten. Mit „Lust auf Anderes“ und Schau mich an, die sie beide zusammen mit ihrem Schauspielerkollegen Jean-Pierre Bacri geschrieben hat, ist es Agnès Jaoui gleich zwei Mal gelungen, der gehobenen französischen Mittelschicht auf äußerst ironische, aber trotz allem sehr liebevolle Weise den Spiegel vorzuhalten. Mit „Erzähl mir was vom Regen“, ihrer dritten gemeinsamen Arbeit, beschreiten die beiden nun allerdings einen etwas anderen Weg. Der Schwerpunkt hat sich verschoben, weg von der Komödie, hin zum Drama. Bacris und Jaouis Dialoge sind immer noch sehr pointiert, aber der Wortwitz steht dabei nicht mehr so im Vordergrund. Selbst in den komödiantischsten Momenten dieses Dramas tun sich noch Abgründe tiefster Verzweiflung auf.

    Mit ihren feministischen Büchern ist Agathe Villanova (Agnès Jaoui) zu einem Star in der Pariser Intellektuellen- und Literatenszene aufgestiegen. Doch nun hat sie größere Ambitionen und will in die Politik. Sie hat auch schon ein Amt in der Provence in Aussicht - die Quotenreglung macht’s möglich. Doch dafür muss sie in ihre Heimatstadt zurückkehren und auf Wahlkampftour gehen. Nur findet sie dafür gar nicht die Zeit. Zum einen liegt sie ständig mit ihrer Schwester Florence (Pascale Arbillot) im Clinch, die zusammen mit ihrer Familie im Haus der verstorbenen Mutter lebt und nie verwinden konnte, dass Agathe deren Liebling war. Zum anderen sind da noch Karim (Jamel Debbouze, Die fabelhafte Welt der Amelie, Babylon A.D.), der Sohn Mimounas (Mimouna Hadji), der algerischen Haushälterin, sowie der Dokumentarfilmer Michel Ronsard (Jean-Pierre Bacri, „Das Leben ist ein Chanson“). Die beiden wollen für eine Fernsehreihe über erfolgreiche Frauen ein Porträt über Agathe drehen. Sie verhalten sich dabei allerdings so unprofessionell, dass die Dreharbeiten sich mehr und mehr zu einem Desaster entwickeln…

    Ohne den Regen wüssten die Menschen die Sonne wahrscheinlich gar nicht zu schätzen. Er gehört wie auch Enttäuschungen und Verzweiflung einfach zum Leben dazu. Schließlich wäre selbst das größte Glück bedeutungslos, wenn die Menschen nicht auch immer wieder Niederlagen einstecken müssten. Das ist zumindest die Philosophie, in die sich Agnès Jaouis und Jean-Pierre Bacris Figuren flüchten. Ohne diesen Glauben könnten sie ihr Leben wohl auch kaum ertragen. Immer wieder landen Agathe und die anderen in den unmöglichsten Situationen. Während sie dem Glück, oder was sie dafür halten, verzweifelt hinterher rennen, stolpern sie von einer Misere in die nächste. Beruflich wie auch privat sind hier alle ständig in der Krise. Das ganze Leben ist ein einziger Ausnahmezustand. Dabei sind Agathe und Michel, Florence und Karim in der Regel selbst ihres Unglücks Schmied. Genau darin liegt die tragische Komik dieser Geschichte eines verregneten Sommers. All die kleinen und großen Katastrophen, die diese vier immer wieder aus der Bahn werfen, ließen sich durchaus vermeiden, doch dafür fehlt ihnen einfach das nötige Geschick.

    Agnès Jaoui und Jean-Pierre Bacri haben nicht nur ein geradezu untrügliches Gespür für Sprache und all ihre feinen Nuancen. Sie verstehen sich auch perfekt darauf, mit nur wenigen Strichen eine ungeheuer präzise Atmosphäre zu evozieren und komplexe Beziehungsgeflechte anzudeuten. Alleine wie Agnès Jaoui die missbilligenden Blicke inszeniert, mit denen Karim die Villanovas und ihr großbürgerliches Leben taxiert, spricht Bände. In ihnen offenbart sich die ganze Last eines schwierigen gesellschaftlichen und historischen Erbes. Natürlich ist sein Zorn angesichts einer Familie, die seine Mutter ohne Frage ausgebeutet hat, verständlich. Doch Agnès Jaoui belässt es nicht bei einer unterschwelligen Anklage. Sie stellt der Verbitterung des Sohnes die Überzeugungen der Mutter entgegen, für die Agathe und Florence beinahe wie Töchter sind. Alles, was sie für die Familie Villanova getan hat, ist ein Teil ihres Lebens, und über das hat sie trotz allem immer selbst bestimmt.

    Jede Szene dieser Chronik des alltäglichen Unglücklichseins erweist sich als wundervolle Miniatur. Selbst in ihrem Scheitern haben Karim, Michel und Agathe, die alle auf ihre ganz spezielle Weise an den Klippen des gesellschaftlichen wie des beruflichen Lebens Schiffbruch erleiden, dabei noch etwas ungeheuer Würdevolles. Nur gelingt es Agnès Jaoui diesmal nicht, einen großen erzählerischen Bogen zu spannen, in dem diese einzelnen Szenen und Momente aufgehen. Am Ende bleibt „Erzähl mir was vom Regen“ etwas zu bruchstückhaft. Das Skizzenhafte mag durchaus beabsichtigt gewesen sein. Schließlich ist auch das Leben meist nur eine Kette von Begegnungen und Ereignissen, die sich eben nicht zu einem geschlossenen Ganzen zusammenfügen. Doch die Lücken und Brüche des Films wirken einfach nicht natürlich, sondern gewollt.

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