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    Blackout Journey
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Blackout Journey
    Von Nicole Kühn

    Terror, Trauma, Tragik: Siegfried Kamml führt die Protagonisten seines Road Movies „Blackout Journey“ durch die österreichischen Alpen und mitten in das Herz der Finsternis, dorthin, wo das bedrohlichste Unbekannte lauert – das eigene Ich. Lange Verdrängtes bricht gewaltsam an die Oberfläche und bringt gehörig Spannung in das Brüderpaar Mio und Valentin sowie ihre bezaubernde Begleitung Stella. Dabei geht es doch eigentlich nur um die banale Frage: Geld oder Liebe?

    Aber natürlich ist alles dann doch sehr viel komplizierter. Der talentierte junge Rockmusiker Mio (Marek Harloff) steht vor der gigantischen Chance, bei einer Plattenfirma unter Vertrag zu kommen, allerdings mit einem Cover als Einstieg. „Ohne mich!“, schnaubt das verkannte Genie und setzt sich stattdessen zum Ziel, ein eigenes Studio aufzubauen. Das Geld dafür kann er allerdings nur über den Umweg zum Notar in Wien auftreiben. Wie bei so vielen Dingen verweigert er dies ohne Angabe von Gründen in einer ruppigen Art, die selbst seine verständnisvolle Freundin Stella (Mavie Hörbiger) kaum ertragen kann. Trotzig wirft er ihr denn doch einige wichtige Brocken seiner Lebensgeschichte hin: Bei einem Terrorattentat auf dem Flughafen Wien-Schwechat vor 18 Jahren sind seine Eltern ums Leben gekommen – und die seines Bruders, zu dem er seither keinen Kontakt mehr hatte.

    Um nun eine späte Entschädigungszahlung entgegennehmen zu können, müssen er und sein Bruder per Unterschrift ihr Einverständnis erklären. So geht es denn in die Alpen auf einen entlegenen Bauernhof, um dort den ruhigen und bodenständigen Valentin (Arno Frisch) in das schicke goldfarbene Citroën DS-Cabrio zu laden, während dessen Ziehvater unheilschwangere Szenarien ausmalt, was mit dieser Aktion heraufbeschworen werden könnte. Unheil dräut! Denn Valentin hat im Gegensatz zu Mio komplett aus dem Gedächtnis gestrichen, was passiert ist und dass er überhaupt einen Bruder hat. Sein friedvolles Leben hat er sich mühsam erarbeitet. Das erfährt Mio aber erst einige Kilometer und Konflikte später, nachdem er Stella und Valentin ein Techtelmechtel unterstellt, sich mit Stella verkracht, mit Valentin geprügelt, eine Ziege über- und sein Auto in den Morast gefahren hat. Nach einem Eklat kommt es zwar zu einer Versöhnung der Brüder, doch lange scheint ihnen kein Frieden gegönnt. Gemeinsam fahren sie zum Flughafen Wien-Schwechat, um dort Stella zu suchen, die sich inzwischen alleine auf den Weg nach Berlin gemacht hat. Ein Wiedersehen mit der Vergangenheit…

    Regisseur Siegfried Kamml nimmt sich Großes vor und setzt es groß in Szene. Dabei ist er so verliebt in erhabene Bilder und Gefühle, dass er großspurig seinem Thema regelrecht über den Haufen fährt. Dass die erzwungene Zusammenkunft der unbekannten Brüder etwas konstruiert wirkt, mag man gerne verzeihen. Nicht aber, dass keiner der Geschichten, die in der Grundidee angelegt sind, genügend Raum eingeräumt wird, sich zu entwickeln. Dabei hätten es wirklich spannende Geschichten werden können. Stattdessen jagt ein emotionales Highlight unmotiviert das nächste. Weil sich weder die Charaktere noch ihre Beziehungen untereinander durch Handlung äußern, wird jedem Ereignis sogleich eine verbale Erläuterung hinterhergeschickt. Schließlich geht es auch um Psychologie, um Verdrängung und multiple Persönlichkeiten. Diese Vorgänge auf nonverbaler Ebene zu begreifen, wird dem Zuschauer nicht zugetraut und stattdessen mit Hausfrauenpsychologie erklärt.

    Vielleicht liegt die Unfähigkeit aber auch in den Darstellern. Überzeugend in ihrer Rolle zwischen den Protagonisten Mio und Valentin ist allein Mavie Hörbiger, die ihrer Figur als einzige einen Charakter zu geben versteht, der im Gedächtnis bleibt. Arno Frisch hat dämonische Wesen schon sehr viel überzeugender auf die Leinwand gebracht, beklemmend eindringlich und exakt in Michael Hanekes „Funny Games“. Jede wirklich beängstigende Facette böser Ahnungen wird hier jedoch vom Drehbuch durch ein polterndes Ereignis platt gemacht. Völlig fremd bleibt die Figur des Mio. Der jungenhafte Marek Harloff wirkt in seinen übersteigerten Wutausbrüchen mehr wie ein trotziges Kind im Sandkasten denn wie ein Mann mit einer quälenden Vergangenheit, die ihn nicht loslässt. In keiner Einstellung lässt er den Zuschauer teilhaben an seiner inneren Zerrissenheit, die es ihm unmöglich macht, selbst die Menschen, die er liebt, an sich heran zu lassen. Holzschnittartig wie die einzelnen Charaktere entwickeln sich auch die Beziehungen zwischen ihnen. Fragt man sich zunächst nach dem Grund für die absolute Verweigerung Mios gegenüber seinem Bruder, so ist man umso erstaunter über die schnelle und nach einem verstörenden Ereignis völlig reibungslose Versöhnung der beiden. Während Valentins Verhalten, wenn auch recht grobschlächtig, nachvollziehbar wird, bleibt die Geschichte der Ausgangsfigur Mio im Dunkeln.

    Den Mangel an Substanz und Feinsinnigkeit, die der Thematik angemessen wären, versuchen Kamml und Kameramann Hagen Bogdanski durch pompöse Bebilderung wett zu machen. Die imposante Landschaft der Alpen mit all ihren Herausforderungen an den modernen Stadtmenschen wird wunderbar in Szene gesetzt und zeigt mehr als einmal, dass hier der Mensch auf sich und die Natur zurückgeworfen ist, was mit der Story stark korrespondiert. Zu einem eigenen kleinen Star wird der Citroën DS, der gleichzeitig notwendige Bewegung und erzwungene Gemeinschaft symbolisiert – geradezu ein idealer goldener Käfig, in dem die drei da sitzen. Bogdanski weiß, was er tut und Kamml, der bisher vor allem Produzent war und bei einigen Videoclips und Werbung Regie geführt hat, gefällt’s offensichtlich. Nicht immer aber entspricht der scheinbar sorgfältig ausgeklügelten Bildsprache ein Inhalt, so dass die eine oder andere Kamerafahrt zwar schön, aber aussagelos ist. In der Häufung wirkt die Bilderflut fast aufdringlich und macht die Mängel an Drehbuch und Regie umso deutlicher. Bei Laune hält immerhin über einige Strecken die Musik. Vielleicht erfüllt der Film beim anvisierten jungen Publikum nicht nur Kammls Hoffnung, das angeblich ungeliebte „schwere Thema“ Vergangenheitsbewältigung und Verdrängung zu vermitteln, sondern auch noch Marek Harloffs Band „TempEau“ zu promoten. Die ist nämlich extra für den Film gegründet worden, hat eine Plattenfirma begeistert und macht erst mal weiter Musik.

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