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    Der Lebensversicherer
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Der Lebensversicherer
    Von Nicole Kühn

    Seit einiger Zeit nimmt sich der deutsche Film öfter mal wieder die Freiheit, das Scheinwerferlicht auf die weitgehend im Verborgenen liegenden, unspektakulären Schauplätze des Landes zu richten. Dort, wo der Alltag all derer stattfindet, die nicht im hippen Berlin ihr Glück versuchen oder sich gerade komisch-romantisch verlieben. Den Lebensort des Lebensversicherers hat Autor und Regisseur Bülent Akinci in ein großes Zwischen verlegt: ständig unterwegs auf endlosen Autobahnen kreuz und quer durch die Republik, verbunden mit der Familie nur über flüchtige Telefonate und alltäglicher Rituale wie z. B. der morgendlichen Dusch beraubt reißt Burkhard Tag für Tag, Vertrag für Vertrag ab. Bis er in Carolins Pension landet und an diesem Ort, an dem die Zeit seltsam stillsteht bemerkt, wie erschöpft er ist. Akinci ist ein präziser Zustandsbericht gelungen, der ohne Mitleid zu heischen die perspektivlose Gemütslage Vieler trifft.

    Burkhard (Jens Harzer) ist ein Optimist, der jede noch so schlechte Lage schön reden kann – und umgekehrt. Wie sonst sollte er den Menschen, die ohnehin von der Hand in den Mund leben, den Abschluss einer Versicherungspolice schmackhaft machen? Leicht ist das Geschäft nicht, und so ist Burkhard selbst gezwungen, von der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang auf Tour zu sein, um seine Kunden dort zu finden, wo der Mut der Verzweiflung Menschen zu ungewöhnlichen, oft auch halbseidenen Unternehmensgründungen inspiriert. An den Kulminationspunkten von Menschen ohne Eigenheim mit Garten trifft er die, denen er mit seiner Lebensversicherung ein wenig Hoffnung verkaufen zu können hofft. So fristet er selbst sein Leben zwischen Gesprächen in Autobahnraststätten, deren sanitären Anlagen und den kurzen Nächten im Auto.

    Wie das Produkt, das er verkauft, verspricht er selbst seiner Frau das Bessere für die Zukunft. Ein Abschluss noch, dann ist Schluss damit, dann kommt er nach Hause. Einlösen wird er dieses Versprechen nie, er ist gefangen in seiner Sucht, den Menschen, die nichts mehr zu verlieren haben, als starker Mann gegenüber treten zu können, der er in Wirklichkeit keineswegs ist. Aus dem Karussell steigt er aus, als Carolin (Marina Galic) ihn in ihre Pension lockt. Einen anderen als diesen pragmatischen Namen sich auszudenken hat sich die Wirtin nicht die Mühe gemacht. Wie Burkhard hat sie eigentlich nichts zu bieten und versucht dennoch, aus diesem Nichts ein Angebot zu entwickeln – für die, die keine attraktivere Alternative haben. Unbeholfen und fast widerwillig gehen die beiden verschlossenen Menschen aufeinander zu. Bei den von beiden geliebten französischen Chansons kommt man sich näher, doch so einfach ist es nicht, das Gefühl von Heimeligkeit und Verbundenheit zuzulassen.

    Der erste Langspielfilm des 1968 in Ankara geborenen Akinci, der selbst als Versicherungsvertreter Erfahrungen in seinem Sujet sammeln konnte, richtet seinen Blick auf zwei Menschen, deren Leben an ihnen vorbeizurauschen droht. Beide haben nichts Großartiges mehr zu erwarten, haben sich eingerichtet in einer Situation, von der kaum zu sagen wäre, dass sie Glück verheißend ist. Spröde stehen sie sich gegenüber, der vermeintliche Hansdampf in allen Gassen und die wortkarge Frau, deren Verkümmerung sich an den Resten von Sinnlichkeit ablesen lässt, die sie in ihre kleine Hütte zaubert. Gerade genug, um Burkhard einen Moment innehalten zu lassen auf seiner rastlosen Tour.

    Ohne viele Worte versetzen uns die Räume, die Akinci erschafft, in eine Atmosphäre des abgeklärten Weitermachens. Wenige Farbtupfer bringen Abwechslung in diese latent fahle Welt. Es ereignet sich kaum etwas, Beziehungen existieren nur in der Vergangenheit und verbleiben in einer vagen Bedeutungslosigkeit. Umso erstaunlicher, dass sich beide gegenseitig doch etwas zu geben haben.

    Es sind keine großen Gesten, keine Klischées aus der Boy-meets-Girl-Kiste, keine der Tollpatschigkeiten aus der romantischen Komödie. Vielmehr nimmt sich der seit seinem zweiten Lebensjahr in Berlin wohnende Regisseur die Muße, der unprätentiösen Annäherung der beiden still beizuwohnen. Über die sanften Schwingungen des französischen nehmen die Einzelgänger behutsam Tuchfühlung miteinander auf und knüpfen ausgehend von diesem Punkt aus die Beziehungsfäden vorsichtig weiter.

    Der ungekünstelte Blick der Kamera verkneift sich technische Spielereien, findet dabei jedoch immer eine aussagekräftige Perspektive. Die Konzentration auf die beiden Schauspieler zeigt dabei volle Wirkung. Jens Harzer und Marina Galic gelingt es, ihren Figuren glaubwürdige Authentizität zu verleihen und die Balance zwischen fragiler Verwundbarkeit und trotziger Stärke zu halten. Zwischen den beiden Akteuren entsteht eine feine Spannung, die trotz der reduzierten Handlung über den gesamten Film trägt. Die Ziellosigkeit der Protagonisten schreibt sich dabei allerdings so tief in das Filmgeschehen ein, dass dessen eigene Dramaturgie in einigen wenigen Passagen ins Unentschlossene zu driften scheint. Die Auflösung ist nicht gleichzeitig eine Erlösung für die Figuren und kommt nicht geradlinig gefällig daher, dafür erzeugt sie einen anregenden Nachhall. Von Akinci, der sich weniger am schnellen Publikumserfolg orientiert als eine formale Stringenz in den Vordergrund rückt, kann man sicher weitere Filme mit Tiefgang erwarten.

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