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    Das Haus der schlafenden Schönen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Das Haus der schlafenden Schönen
    Von Martin Thoma

    Vadim Glowna, 65, großer alter Herr der deutschen Schauspielkunst, Regisseur und Drehbuchautor, hat eine Altherren-Phantasie mit sich selbst in der Hauptrolle verfilmt. Den Roman „Die schlafenden Schönen“, 1961 geschrieben vom damals 62-jährigen japanischen Literaturnobelpreisträger Yasunari Kawabata, hat er frei adaptiert und ins heutige Berlin verlegt. Er spielt einen einsamen älteren Mann, der seine Nächte in einem speziellen Bordell neben in Tiefschlaf versetzten, nackten, jungen, schönen Frauen verbringt. Die Vorlage eines Nobelpreisträgers, ein zumindest heikles Thema und dann auch noch mit sich selbst als Drehbuchautor, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion – sich daran zu wagen, dazu gehört schon etwas Mut. Doch Mut allein reicht nicht. In diesem Fall wirkt das Ergebnis überambitioniert, aber wenig durchdacht. Nach spannender erster Viertelstunde wird der Film der schlafenden Schönheiten zunehmend selbst zu einem Narkotikum. Die Mixtur aus Surrealismus und Softerotik ist allenfalls das Richtige für Männer, denen die senile Bettflucht zu schaffen macht.

    Edmond (Vadim Glowna) fühlt sich schuldig am Tod seiner Frau und seiner Tochter. Die beiden starben bei einem Autounfall, von dem er annimmt, es sei kein Unfall, sondern Selbstmord gewesen. Warum er Anlass hat das anzunehmen, bleibt undurchsichtig. Sein Freund Kogi (unsympathisch und undurchsichtig: Maximilian Schell) empfiehlt ihm das Etablissement mit den schlafenden Schönen und einen Besuch dort als Maßnahme zur Steigerung des seelischen Wohlbefindens. Der illegale Privatclub wird von „Madame“ (streng und undurchsichtig: Angela Winkler) geführt. „Madame“ hat ein Regelwerk aufgestellt. Im Groben scheint es aus drei Punkten zu bestehen: keine Vergewaltigungen, kein Kontakt mit wachen Frauen und vor allem keine Fragen. Die Nächte neben den narkotisierten Frauen sind für Edmond, was nicht überrascht, erregend, aber unbefriedigend. Dennoch (oder deswegen?) sucht er das Haus in kürzer werdenden Abständen auf, obwohl ihm außerdem die Atmosphäre dort stetig unheimlicher wird und sich die Anzeichen mehren, dass es hin und wieder Todesfälle gibt, nach denen die Leichen schnell im Fluss entsorgt werden. Immer neue Schlafende bekommt er von „Madame“ ins Bett gelegt. Er betrachtet, befingert, beleckt sie und erzählt ihnen, die weder zu- noch weghören können, seine Überlegungen über den Tod und über die Frauen (insbesondere über seine Mutter). Seine Sucht nach dem Ort, sein Verlangen, die Regeln zu brechen und seine Todessehnsucht wachsen.

    „Das Haus der schlafenden Schönen“ ist ein düsterer und rätselhafter Film. Doch vermag die Atmosphäre nicht, das Mindestmaß an Gefühlen zu transportieren, das nötig wäre, damit man sich mit den Themen und Fragen, die der Film aufwirft, wirklich auseinandersetzen würde. Edmond arbeitet in einem der prominentesten und unsympathischsten Neubauten Berlins. Wie ein Panzerkreuzer aus Backstein ragt er am Potsdamer Platz in den immer grauen Himmel, durch den Krähenschwärme ziehen. Die Kamera beobachtet Edmond durch ein Teleobjektiv. Holt ihn nah heran und bleibt ihm doch fern. Ebenso fern bleibt Edmond den Zuschauern, auch wenn er nackt ist und seine Seele entblößt, Glownas sonore Stimme aus dem Off seine Gedanken den Zuschauern direkt ins Ohr flüstert.

    Die Orte, die Kogi und „Madame“ zugeordnet sind, sind spannend surrealistisch in Szene gesetzt. Bei Kogi aus raffinierter Perspektive gefilmt, ganz abstrakt, schon fast nur noch als symbolischer Übergangsraum von der irdischen in die himmlische Sphäre interpretierbar. Bei „Madame“ stofflich konkret, plüschig rot, Einrichtung zwischen Barock und Fin de Siecle, ebenfalls mit eingebautem Blick auf bekannte Himmelfahrtssymbolik. Es ist in beiden Fällen eine ein etwas abendländlicher Touch. Glowna macht seinen Anspruch ganz deutlich: Diese Geschichte ist nicht gebunden an einen fernöstlichen Kontext; ich kann sie im Kontext unserer Kultur erzählen. Dennoch unterlaufen ihm Dialogzeilen, die sich nur schwer ins heutige Berlin fügen. Wenn Edmond „Madame“ vorwirft, ein bestimmtes Verhalten ihm gegenüber sei eine „Demütigung“ gewesen, klingt es nach den Worten seines Vorbilds Eguchi aus dem japanischen Roman. Es bleibt das schale Gefühl von Beliebigkeit. Ein bisschen Ost, ein bisschen West, eine Prise Katholizismus in Barock- und Romantik-, Fin-de-Siecle- und Neu-Berlin-Atmosphäre und über allem: Ratlosigkeit.

    Und Langeweile. Offensichtlich versucht Glowna schleichend Suspense aufzubauen. Aber das kann er nicht. Er kann es erstens filmisch nicht inszenieren, und selbst wenn er es könnte, wäre zweitens seine Hauptfigur, die einfach nicht als Identifikationsfigur taugt, dem Vorhaben sehr hinderlich. Edmond kehrt wieder und wieder ins Haus der schlafenden Schönen zurück. „Madame“ ist jedes mal rätselhaft, die Kamera schafft es auch nicht mehr, dem Ort überraschende neue Aspekte abzugewinnen und aus dem, was Edmond im Laufe der Zeit von sich preisgibt, will einfach kein interessantes Bild entstehen. Nur die nackten Frauen sind immer andere; zum Schluss sind sie sogar zu zweit. Das geht dann prompt nicht mehr gut. Die Filmmusik plätschert durchgängig.

    Machen wir es kurz: Vadim Glowna hat sich mit seiner Adaption eines umstrittenen Romans des japanischen Literaturnobelpreisträgers Kawabata schwer verhoben. Die Geschichte ist trostlos, ohne mitzunehmen; ihre Protagonisten bleiben fremd.

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