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    Rauchzeichen
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Rauchzeichen
    Von Nicole Kühn

    Einer der produktivsten deutschen Regisseure legt sein neuestes Werk vor, dessen Titel archaisch gedeutet werden kann: „Rauchzeichen“, das sind einfachste Mittel der Telekommunikation und wohl mit die ältesten der Gattung. Wenn sich die Bewohner eines wahrhaften Paradieses auf dieses Mittel stützen müssen, dann ist da etwas faul. Der studierte Philosoph Thome führt die Zuschauer mitten in den Himmel auf Erden, dorthin, wo Konflikte mit einem heiteren Lächeln im Gesicht gemeistert werden und sich über alle Schicksale der gleichmütige Schein der Sonne legt. Wie die allesamt nicht perfekten Menschen das Leben in der wunderschönen Landschaft zu nehmen wissen, ist durchaus entspannend. Wer im Kino auf einen Spannungsbogen wartet, wird bei dem Drama nicht ganz auf seine Kosten kommen.

    Accident in Paradise! Auf einem idyllischen Landgut in Sardinien fließt das Leben in ruhigen Bahnen dahin. Eine Handvoll Menschen lebt hier ungestört von Eindringlingen in den Tag hinein. Wer mitmachen will, wie der Geschäftsmann Jonathan (angenehm unaufdringlich in seinem Spiel: Karl Kranzkowski), wird nach einem nicht eben herzlichen Empfang warten gelassen und erst dann – wenn überhaupt – gnädig aufgenommen. Beim der ersten Begegnung mit der Inhaberin des Gästehauses Annabella (Hannelore Elsner) ist für Jonathan augenblicklich alles vergessen und verziehen. Trotz der offenkundigen Antipathie der Schlurfbacke Hans (Cornelius Schwalm) und der verschlossenen Leila (Serpil Turhan) macht der Mittvierziger aus seinen Ambitionen auf die ebenfalls in den besten Jahren befindlichen Annabella keinerlei Hehl. Auch die pikante Situation, dass Annabellas aus dem Urlaub zurück kehrende Mitinhaberin Isabella (Adriana Altara) vor vielen Jahren seine Gattin war, irritiert ihn nicht. Da auch die gemeinsame, inzwischen 14-jährige Tochter Jade (Joy Thome) sich mit den Gegebenheiten wunderbar arrangiert, steht dem späten Glück nichts mehr im Wege – fast nichts, denn Isabella hat durchaus noch mit Eifersucht zu kämpfen, während die in Annabellas Sohn Michael (Nicolai Thome) verliebte Jade Liebeskummer hat. Und plötzlich zerreißt ein Schuss die traute Stille, in der sich all diese Verwicklungen abspielen.

    Nachdem im Jahr 2000 sein „Paradiso - Sieben Tage mit sieben Frauen“ den Silbernen Bären für das Darstellerensemble erhielt, zieht es den von der Filmkritik her kommenden Regisseur Thome wiederum in die Gefilde des nicht zerstörbaren Friedens. Was sich zuerst gefällig als Urlaubsfilm ausgibt, ist in Wirklichkeit eine Reise ans eigene Ziel. Das Gästehaus, in der Annabella unaufgeregt und mit klaren Strukturen das Zepter führt, wird für die Ankommenden zum Ort der Erfüllung. Für den einen oder anderen heißt das auch, die weltlichen Leiden hinter sich zu lassen – als die Prinzessin stirbt, folgt ihr der Gott aus freien Stücken nach. So schockiert die übrigen Bewohner sind, gehen sie dennoch ihrem eigenen Schicksal entgegen. Der Kampf zweier Frauen um einen Mann löst sich langsam, still und leise in Wohlgefallen auf, fremde Menschen gehören unverhofft ein und derselben Familie an, und selbst der Geistliche kann der Versuchung des Weltlichen nicht widerstehen. Der Olymp hat auch nicht mehr zu bieten!

    Wer in der antiken Götterwelt nicht so ganz trittfest ist, dem bleiben zwangsläufig viele Bezüge verborgen. Was an sich kein Manko ist, schließlich ist die komplette Mythologie auf Gleichnissen und Symbolen aufgebaut, die ihren tieferen Sinn nicht auf den ersten Blick enthüllen. Wem der zweite Blick zu anstrengend ist, der kann die „Rauchzeichen“ auch an der Oberfläche genießen. Amüsant ist die Selbstverständlichkeit, mit der die Personen inmitten des Alltags über ihr Wesen als Abgesandte aus einer anderen Welt sprechen. Gott frönt dem Alkohol, während er über das Kino die Geschicke der Welt beobachtet, gegen die er allerdings machtlos ist. Verschlossen gibt sich die Märchenprinzessin, die ein Nummernkonto in der Schweiz ihr Eigen nennt. Die wild-romantische Kulisse des abgelegenen Stückes Land auf Sardinien lädt zum Schwelgen ein, der sanfte Rhythmus des Films tut ein Übriges dazu. Dazu geben die Figuren häufig genug Anlass zum Schmunzeln. In der Offenheit des Spiels der nach wie vor geheimnisvoll erotischen Hannelore Elsner macht sich die jahrelange Vertrautheit zum Regisseur bemerkbar, mit dem sie hier bereits zum vierten Mal zusammen arbeitet. Ihr zur Seite steht eine herrlich spröde Adriana Altara, die auch als Theaterautorin tätig ist und hier einen äußerlich ähnlichen Typ Frau verkörpert. Allerdings weitaus handfester als Elsner, die wie so oft der Welt etwas entrückt scheint, auch wenn sie schlammverschmierte Hosen und Gummistiefel trägt.

    Wie sich trotz vielerlei menschlicher Katastrophen und Beziehungsdramen in diesem Stück, das vollkommen aus Zeit und Raum heraus gefallen zu sein scheint, alles zum Guten wendet, erzeugt zwar ein angenehmes Gefühl, es verweigert aber gleichzeitig Momente der emotionalen Aufgeladenheit und deren Entspannung. Wenn die Tochter nach 14 Jahren den Mann, der sich als ihr Vater outet, bedingungslos von einem Augenblick auf den anderen liebt und sich mit einer einfältigen Erklärung über sein Verschwinden zufrieden gibt, dann ist das zunächst einfach unglaubwürdig. In diesem Garten Eden schwirren die Personen zeitweise wie Atome durch die Gegend, verbunden höchstens durch poröse Beziehungen, die selten deutlich zutage treten, sondern häufig sehr unbestimmt bleiben. So bleiben einem die Charaktere ziemlich fremd, man tut sich schwer, mit ihnen zu fühlen. Durch die Verortung der Handlung in einem realen Raum kann sich Thome Bezüge auf die Gegenwart erlauben, sie irritiert jedoch auch ein wenig, weil der tatsächlich ja vorhandene Konfliktstoff auch nicht ansatzweise zu Auseinandersetzungen führt. Spätestens das Brautpaar auf dem Grab macht deutlich, dass die Welt hier aus ihren reellen Koordinaten gehoben wird und ein tieferer Sinn hinter diesem eitel Sonnenschein liegt. Versöhnung ist sicherlich ein zentrales Thema dabei, doch die vollzieht hier meist zu leise, um ihre Mechanismen nachvollziehbar zu machen. Auch wenn der Film atmosphärisch stimmig und durch seine skurrilen Gestalten unterhaltsam ist, könnte man sagen, dass Marius Müller-Westernhagen die Message weitaus kompakter in einer Textzeile aus seinem Song „Freiheit“ verpackt hat: „Wir sollen tanzen auch auf Gräbern“. Im Gegensatz dazu würzt Thome sein poetisches Werk mit intellektuellen Versatzstücken und tut damit wohl manchem, aber gewiss nicht jedem einen Gefallen.

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