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    Projekt Gold - Eine deutsche Handball-WM
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Projekt Gold - Eine deutsche Handball-WM
    Von Carsten Baumgardt

    Sönke Wortmanns Fußball-WM-Dokumentation Deutschland. Ein Sommermärchen ist für Filmemacher Winfried Oelsner Fluch und Segen zugleich. Ganz klar, ohne den riesigen Erfolg mit vier Millionen Besuchern in Deutschland hätte es „Projekt Gold - Eine deutsche Handball-WM“ unter keinen Umständen ins Kino geschafft. Auf der anderen Seite variiert Oelsner den Stil des Vorbilds nur minimal, lässt in seiner Dokumentation die Fehler Wortmanns aus, hat aber damit zu kämpfen, dass Handball nun mal Handball ist... und in Deutschland zwar mit einer gewissen Euphorie der WM-Titel der Mannen von Bundestrainer Heiner Brand gefeiert wurde, jedoch die Ausmaße nicht annährend die der WM-Hysterie erreichten, als im heißen Sommer 2006 eine ganze Nation im kollektiven Taumel der Welt zeigte, was für gute, herzliche Gastgeber die Deutschen sein können. So ist Oelsners Film vielleicht sogar der bessere, doch die Magie von Wortmanns „Sommermärchen“ bleibt unerreicht.

    19. Januar bis 4. Februar 2007: die Handball-WM im eigenen Land. Eine große Sache, keine Frage. Doch so richtig realisiert hat dies vor dem Turnierstart eigentlich nur Bundestrainer Heiner Brand. Die deutsche Mannschaft, immerhin Europameister des Jahres 2004 und Vize-Weltmeister 2003, zählt gewiss nicht zu den Favoriten. Bei der letzten WM 2005 in Tunesien scheiterte das DHB-Team kläglich in der Vorrunde, wurde am Ende Neunter. Die besten Mannschaften kommen aus Frankreich, Kroatien und Spanien, dem Land des Titelverteidigers, angereist. Im tristen Grau des Januars hat die deutsche Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, „dass schon wieder WM is’“. Als dann auch noch der Start mit mittelmäßigen Leistungen bei Siegen gegen schwache Gegner (27:22 gegen Brasilien, 32:20 gegen Argentinien) holprig verläuft, steht das „Projekt Gold“, das Brand als Ziel ausgegeben hat, nach dem 25:27-Debakel gegen starke Polen vor dem Aus. Der Rest ist Geschichte. Dank einer Trotzreaktion fegt Deutschland Slowenien zum Auftakt der Zwischenrunde mit 35:29 weg und marschiert mit weiteren Siegen gegen Tunesien (35:28), Topfavorit Frankreich (29:26) und Island (33:28) ins Viertelfinale. Dort wird der amtierende Weltmeister Spanien mit 27:25 aus dem Weg geräumt, anschließend Frankreich im Halbfinale (32:21 nach zwei Verlängerungen) niedergerungen und im Endspiel Polen (29:24) keine Chance gelassen.

    Besser könnte sich kein Drehbuchautor eine Dramaturgie, so perfekt für einen Sportfilm, ausgedacht haben. Wäre Deutschland vor dem Viertelfinale gescheitert, hätte es garantiert keinen Film gegeben, das ist klar. Aber für Produzent Frank Stephan Limbach und seinen Regisseur Winfried Oelsner („Tsunami“) lief alles nach Plan. Von der Konzeption unterscheidet sich „Projekt Gold - Eine deutsche Handball-WM“ kaum von Wortmanns Box-Office-Smashhit. Beide Filme geben dem Publikum noch einmal eine äußerst emotionale Rückschau auf das jeweilige Großereignis und einen intimen Einblick in das deutsche Team. Die große Bürde des unweigerlichen Vergleichs ist Oelsner sicherlich voll bewusst, doch er macht das Beste daraus und lernt aus Wortmanns formalen Fehlern. Das geht bei Kleinigkeiten wie den jetzt vorhandenen Einblendungen der Namen los (so dass der Zuschauer auch weiß, wen er da vor sich hat) und endet bei der besseren konzeptionellen Einbindung der Jubelszenen. Wortmann war damals so nah an der Mannschaft, dass er den WM-Wahnsinn wohl gar nicht in dem Maße wahrgenommen hat, wie er für die Fans existent war.

    „Projekt Gold“ ist ein echter Handball-Film. Der Sport steht im Blickpunkt, das Drumherum ergänzt die Szenerie nur sehr schön. Je länger die Spielzeit voranschreitet, desto intensiver werden die Jubelbilder, die sich schließlich in eine Ekstase steigern, in der Oelsners Kamera ausgedehnte Bäder nimmt. Das macht seine Dokumentation vom Aufbau vielleicht besser und klarer als die Wortmanns, doch dem fiel einfach das Glück in die Hände, Chronist eines Jahrhundertereignisses zu sein. Er hielt einfach drauf und schnitt sein Material zusammen. Fertig. Das hört sich einfach an, verschweigt aber zunächst Wortmanns größten Verdienst, mit dem sein Handball-Pendant Oelsner nicht mithalten kann. „Deutschland. Ein Sommermärchen“ hat diese Handvoll Momente, bei denen dem Sportfan beim ersten Betrachten die Kinnlade herunterklappt, weil diese tiefen Einblicke noch nie so direkt zu sehen waren. Etwa wenn Coach Jürgen Klinsmann im Adrenalinrausch vor dem Argentinien-Spiel auf seine Spieler einredet und sie bis in die Haarspitzen motiviert, die Spieler nach Siegen in der Kabine toben, nach dem markerweichenden Aus kritisch diskutieren oder alte Ressentiments kernig gepflegt werden („Das lassen wir uns nicht nehmen. Und schon gar nicht von Polen.“). Aber auch das einfache, unaufgeregte Beobachten des Treibens im Mannschaftshotel hatte es vorher noch nicht gegeben. Beim Handball sieht das anders aus. Bei jedem im DSF übertragenen Bundesliga-Spiel ist die Kamera bei den Besprechungen zwischen Trainer und Mannschaft während des Matches dabei. „Projekt Gold“ kann hier nichts Neues bieten – alles läuft so ab, wie sich der Sportkenner dies vorstellt. Und dass Handballer harte Hunde sind, die auch mit Verletzungen zu Höchstleistungen auflaufen, ist ebenso wenig ein Geheimnis.

    Zwei Mal schafft es der Film dann aber doch noch zu überraschen. Zum einen, wenn Heiner Brand sich über die Pizzaaffäre echauffiert (die Spieler bestellten am Abend vor der wegweisenden Partie gegen Slowenien um 23.00 Uhr noch Pizza aufs Zimmer). Und zum anderen bei einer lustigen Szene im ICE, als die Nationalspieler nach einem Spiel Zugreisende höflich von ihren reservierten Sitzen vertreiben müssen, um nicht im Gang zu stehen. Das ist höchst amüsant und menschlich.

    Wären da noch die Protagonisten. Die deutsche Handball-Truppe ist durch die Bank eine Ansammlung von sympathischen Sportlern, die das Wort „Teamgeist“ noch tatsächlich leben, denn ohne diese Einstellung hätten sie niemals den Titel geholt. In einigen Interviews, die nach der WM geführt wurden, wird das Ereignis noch einmal aufgearbeitet, wobei besonders Torwart Henning Fritz im Mittelpunkt steht – eine weise Entscheidung. Seine Geschichte - von der Nummer drei im Tor des THW Kiel zum WM-Held - gibt am meisten her. Oelsners größter Trumpf ist jedoch Bundestrainer Heiner Brand. Nein, nicht dass er jemals so aus sich heraus gehen würde wie Springteufel Klinsmann... Brand ist ein ehrlicher, herzensguter Mensch, der eine gottgegebene Autorität besitzt, die niemand wagen würde, auch nur anzukratzen. Und er hat einen knochentrockenen rheinischen Humor, der „Projekt Gold“ viele amüsante Momente beschert.

    Fazit: „Projekt Gold - Eine Handball-WM in Deutschland“ ist eine durchweg gelungene Dokumentation des deutschen WM-Triumphs und vor allem ein waschechter Handball-Film. Wer bei dem Gedanken daran gleich dankend abwinkt, sollte besser kein Kinoticket lösen. Für Fans der zweitbeliebtesten deutschen Mannschaftssportart ist das Werk jedoch ausnahmslos empfehlenswert. „Projekt Gold“ ist gewiss kein magischer Film, aber ein Zeitgenosse, der seinen Sport angemessen und punktgenau präsentiert. Ganz zu Anfang spricht Torwarttrainer Andreas Thiel ein paar weise Worte: „Sport ist ja nicht das wahre Leben.“ Das zwar nicht, aber Sport macht das Leben für viele interessanter... Und auch dieser Ansicht wird der Film gerecht. Ein Spiel wie das Halbfinale gegen Frankreich ist für engagierte Zuschauer nahezu unerträglich, so sehr zerrte es an den Nerven. Wer sich diesen Emotionen aus der sicheren Entfernung der Erinnerung noch einmal stellen möchte, ist mit „Projekt Gold“ bestens bedient.

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