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    Hoppet
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Hoppet
    Von Christoph Petersen

    Schweden ist ein Einwanderungsland. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte eine extrem hohe Arbeitszuwanderung ein, und auch nach dem Zuwanderungsstopp von 1972 nahm der skandinavische Staat im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung mehr Asylbewerber als jeder andere in Europa auf. Schweden ist eine Hochsprung-Nation. 2004 gewann Stefan Holm in Athen Olympisches Gold, Kajsa Bergqvist konnte 2005 die Weltmeisterschaften in Helsinki für sich entscheiden und stahl 2006 mit einer Höhe von 2,08 Meter Heike Henkel den Hallen-Weltrekord. Diese beiden schwedenspezifischen Themen, Migration und Hochsprung, bringt Regisseur Petter Næss in seinem Jugend-Drama „Hoppet“ zusammen. Als richtig stimmig erweist sich der Film trotz der eigentlich passenden Zutaten dennoch nicht. Næss konzentriert sich einfach zu sehr auf seine trockenen Aussagen und vernachlässigt dabei die filmischen Basics.

    Azads (Ali Ali) großes Vorbild ist die schwedische Hochspringerin Kajsa Bergqist. Doch in seiner männlich dominierten Heimat im Nahen Osten kommt der Zwölfjährige mit seinem Traumsport nicht weit. Da sein Vater systemkritische Bücher schreibt, müssen Azad und sein stummer Bruder Tigris (Ronas Gemici) nach Deutschland fliehen. Weil sie jedoch von den Schleppern übers Ohr gehauen werden, stranden die beiden schließlich in Stockholm. Hier kommen sie gemeinsam mit der Familie eines Bekannten (Mehmet Aras) und dessen egoistischer Ehefrau Naza (Telar Hirani) in einem Asylantenheim unter. Um selbst nicht abgeschoben zu werden, denken Naza und ihr Mann Hussein darüber nach, Tigris in die Psychiatrie einweisen zu lassen. So müssen die Geschwister erneut fliehen. Ihre größte Chance ist Azads sportlicher Ehrgeiz. Wenn er es mit seinem Hochsprung-Talent bis in die Schulmannschaft schaffen könnte, dürfte er das Team zu einem Leichtathletik-Wettkampf nach Berlin begleiten...

    Der kurdischstämmige Schauspiel-Debütant Ali Ali liefert als Azad eine grundsolide Leistung ab. Gerade in jenen Szenen, in denen er gemeinsam mit Tigris-Darsteller Ronas Gemici agiert, kann er überzeugen. Sowieso ist die enge Beziehung von Azad zu seinem gehandikapten Bruder die einzige im Film, die auch emotional einwandfrei funktioniert. Bei allen anderen Figuren hat man stets das Gefühl, dass es bei ihnen nicht um die Zeichnung eines „echten“ Menschen geht, sondern sie vielmehr die Funktion haben, eine bestimmte These zu unterstreichen. Gerade bei der schmarotzenden Pflegemutter Naza ist die Darstellung ziemlich einseitig und klischeehaft geraten. Das Ergebnis sind naiv-platte Dialoge wie der folgende.

    Hussein: „In Schweden muss man nicht arbeiten, wenn man nicht will. Man bekommt Geld vom Staat. Und man bekommt Geld für Kinder.“

    Naza: „Gott sei dank haben wir viele Kinder. In Schweden sind wir dann reich.“

    Vergleichbare Probleme sind auch auf europäischer Seite zu beobachten. Die Dolmetscherin, die zwischen der Einwanderungsbehörde und Husseins Familie vermittelt, ist eine gelangweilte, ältere Dame, die während des Gesprächs auch noch strickt. Sicherlich ist die strenge schwedische Asylpolitik bei weitem nicht über jeden Zweifel erhaben, doch dieser Seitenhieb ist einfach nur dämlich und entbehrt jeder ernstzunehmenden Grundlage. Ähnliches gilt für den unfreundlichen deutschen Zoll-Beamten (Heinrich Schafmeister, TKKG - Das Geheimnis um die rätselhafte Mind-Machine), der sich schließlich durch einen Vergleich mit Bastian Schweinsteiger von seiner impertinenten Art abbringen lässt. Den Höhepunkt in Sachen „Charaktere, die der Film nicht braucht“ setzt aber der schwedische Hollywood-Star Peter Stormare (Die Vorahnung, Constantine, Fargo, Armageddon). Sein exzentrischer Auftritt als hohl-philosophierender Hot-Dog-Verkäufer („Wenn Du die richtigen Antworten willst, musst Du die richtigen Fragen stellen!“) ist nicht mehr als purer Selbstzweck.

    Regisseur Næss fasst in „Hoppet“ zahlreiche Themenfelder an – den Verlust von Eltern und Heimat, Schwedens unmenschliche Asylpolitik, Fremdenhass, Folter, eine angedeutete Liebesgeschichte, die männliche Dominanz in den Nahost-Staaten, Tigris´ psychosomatisch bedingte Sprachlosigkeit und viele mehr. Dies führt zum einen dazu, dass kaum eines der angeschnittenen Probleme stimmig zu Ende geführt wird – taucht hier ein neues Problem auf, wird dort eines unter den Tisch fallen gelassen oder löst sich in Wohlgefallen auf. Zum anderen wirkt die Story so insgesamt arg konstruiert und wenig natürlich. Wenn zum aufgesetzten Happy-End plötzlich Azads Eltern aus dem Nichts erscheinen, nimmt man dem Film diese Wendung beim besten Willen einfach nicht mehr ab. Spannung will bei dem Flüchtlingsabenteuer auch nicht aufkommen – schließlich wird die eigentliche Hochsprung-Handlung im Endeffekt nur im Nebenbei notdürftig mit abgefertigt.

    Fazit: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht. Petter Næss hat viel zum Thema Migration beizusteuern – zu viel für einen einzelnen Film. So wirkt sein Jugend-Drama „Hoppet“ hoffnungslos überfrachtet und ist nur als Diskussionsgrundlage – sprich: für Schulvorstellungen - empfehlenswert.

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