Mein Konto
    Märzmelodie
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,5
    enttäuschend
    Märzmelodie
    Von Andreas Staben

    Wenn Worte nicht mehr ausreichen, dann hilft Musik, den Gefühlen ein Ventil zu geben. Die mysteriöse Macht des Melodischen begegnet uns im Alltag unentwegt – und im Kino war die Musik lange vor dem gesprochenen Wort zu Hause. Später trat der Tonfilm seinen Siegeszug im Takt von Gesang und Tanz an. Auch die Stars der UFA gehörten zu den Pionieren und führten alsbald flotte Schlager auf den Lippen. Das Genre des Filmmusicals hat seither die unterschiedlichsten Varianten erlebt, wobei es im deutschen Kino seit „Die Drei von der Tankstelle“ zumeist eine Randexistenz führte. Regisseur und Co-Autor Martin Walz („Kondom des Grauens“) stößt mit „Märzmelodie“, seiner Romanze mit Musik, also in eine Marktlücke. Die Idee, seinen Berliner Reigen um verlorene Träume und neu entdeckte Liebe immer dann mit einigen Takten deutscher Schlager anzureichern, wenn die Protagonisten nicht mehr wissen, was sie oder wie sie etwas sagen sollen, erweist sich allerdings als nicht sehr tragfähig. Der Kniff, die Originalaufnahmen von Willi Forst und Westernhagen, von Gitte Haenning und Ton Steine Scherben zu verwenden und die Schauspieler nur die Lippen dazu bewegen zu lassen, ist ein nicht sehr origineller Distanzierungseffekt, der hier bestenfalls wenig fruchtbare Irritation hervorruft. Meistens sind nur kurze Schnipsel der Schlager zu hören, die Musik hat kaum eine Chance sich zu entfalten. Diese ist symptomatisch für die Erzählweise des ganzen Films: Ohne Rhythmus und Ausgewogenheit ist „Märzmelodie“ nur die Idee eines Musicals – Worte ohne melodischen Nachhall.

    Thilo (Jan Henrik Stahlberg) ist Mitte 30 und wartet auf seinen Durchbruch, obwohl er als Schauspieler nach einem frühen Hit seit langem erfolglos ist. Das Geldverdienen mit einem Call-Center-Job als Weinverkäufer fällt ihm äußerst schwer und auch in der Liebe läuft es nicht. Seine Freundin Katja (Jana Pallaske, Was nützt die Liebe in Gedanken) hat gerade Schluss gemacht, weil sie sich in Thilos Freund Florian (Gedeon Burkhard, „Abgeschminkt“, Der letzte Zug) verliebt hat. Die Grundschullehrerin Anna (Alexandra Neldel) ist in ihrem Beruf kreuzunglücklich und wird immer mehr zum nervlichen Wrack. Sie steht kurz vor der Aufgabe und überlegt, die Hauptstadt Richtung Heimatort zu verlassen. Thilos Kumpel Moritz (Gode Benedix, Wo ist Fred?) und seine Frau Valerie (Inga Busch, Maria an Callas), die Anna von früher kennt, führen ein Treffen des Möchtegernschauspielers mit der überforderten Lehrerin herbei. Obwohl der Funke durchaus überspringt, kommt es zu Pannen und Patzern, Missverständnissen und Zweifeln ehe am Ende erneut zu einem „zufälligen“ Aufeinandertreffen kommt.

    Die Handlung von „Märzmelodie“ ist betont unspektakulär. Walz' Protagonisten sitzen bevorzugt in Kneipen und rätseln beim Bier über die Unwägbarkeiten des Lebens. Sie sind nicht mehr ganz jung und müssen sich von ihren Illusionen, von der Sorglosigkeit und vom In-den-Tag-Hinein-Leben verabschieden. Aber Walz will mehr als ein Loser-Lustspiel mit Lokalkolorit und wirft seinen Film aus der Balance. Plötzlich ist von lebensbedrohlicher Krankheit die Rede und trotz der Bemühungen der Schauspieler wirkt diese ernste Note doch arg aufgesetzt. Am anderen Ende des Spektrums fehlt den reinen Komödienszenen wie etwa Thilos unerwartetem Verkaufserfolg bei Annas Vater (Günter Maria Halmer), der ihm unerkannt kistenweise Wein abkauft, die Leichtigkeit. Hier zeigt sich exemplarisch, wie die Inszenierung meist in den Ansätzen stecken bleibt: Absicht und Richtung sind erkennbar, aber die sehr schematische Umsetzung hinterlässt einen Eindruck von Beliebigkeit. Dies ist besonders im Hinblick auf die Darsteller bedauerlich, hat Walz doch gerade für seine beiden Hauptfiguren eine vielversprechende Besetzung gefunden. Jan Henrik Stahlberg (Muxmäuschenstill, Bye Bye Berlusconi) und Alexandra Neldel („Verliebt in Berlin“, Meine schöne Bescherung) geben eine interessante Paarung ab und in manchen Momenten blitzt etwas auf, das einen hoffen lässt, die beiden mögen einmal in besser ausgearbeiteten Rollen zusammen auftreten.

    Die Idee im Playback-Verfahren durch die Protagonisten dargebotene populäre Lieder in eine Spielhandlung einzubauen, ist nicht neu. Dennis Potter leistetet mit seinen extravaganten BBC-Miniserien „Pennies From Heaven“ und „The Singing Detective“, die jeweils auch zu Kinofilmen verarbeitet wurden, Pionierarbeit auf diesem Gebiet und der französische Altmeister Alain Resnais („Hiroshima , Mon Amour“, Herzen) zeigte vor etwa zehn Jahren mit „Das Leben ist ein Chanson“ wie man alltägliche Situationen durch geschickten Musikeinsatz sowohl kommentieren als auch überhöhen kann. Resnais war deshalb erfolgreich, weil er seine Chansons als Werke der populären Kunst ernst nimmt und so nicht nur ihre Bedeutung reflektiert, sondern auch ihre Emotionalität einfängt. Walz hat zwar viel Recherchearbeit geleistet und Raritäten ausgegraben, die vom Text her meist punktgenau den Dialog fortführen, aber er weiß inszenatorisch herzlich wenig mit den Liedern anzufangen. Zumeist erzielt er beim Wechsel zu den Schlagern einen Überraschungseffekt, wenn etwa plötzlich Zarah Leander oder Klaus Lage erklingen, aber über diese Art Verfremdung hinaus wird keine spezifische Stimmung erzeugt. Das Verlassen der Handlungsbahn geht mit einem Rückfall auf die Unzulänglichkeiten einher.

    Die besten Musicals erzielen gerade durch ihre Künstlichkeit einen ästhetischen Mehrwert: Wenn Hollywoods Traumfabrik in Singin´ In The Rain den Blick hinter die eigenen Kulissen freigibt oder Jacques Demy und Michel Legrand mit „Die Regenschirme von Cherbourg“ eine Symphonie von unwahrscheinlichen Farben und unerhörten Dekors zu den Schwingungen einer unendlichen Melodie erschaffen. Und wo Werke wie Moulin Rouge und Across The Universe alleine durch die Bekanntheit ihrer Songs eine besondere emotionale Aufladung besitzen, krankt „Märzmelodie“ daran, dass der Wiedererkennungswert der Titel zum Teil doch sehr gering ist. Umso bedauerlicher ist es, dass Martin Walz im Gegensatz zu Baz Luhrman und Julie Taymor auf eine Interpretation der Musik verzichtet. Er erstickt sie meist im Keim und macht aus „Märzmelodie“ ein Beinahe-Musical.

    Einmal lässt Thilo Anna unvermittelt in der Kneipe sitzen und fährt mit seinen Freunden zu einem Konzert. Verantwortlich dafür ist ein vorübergehender Gedächtnisverlust. Diese letztlich unerklärten Aussetzer sind die schlagendsten Beispiele für die phantasielose Willkür, die Martin Walz walten lässt. „Märzmelodie“ ist ein wahres Potpourri schlecht eingesetzter Kunstgriffe, ein Film, der ständig auf seine Möglichkeiten verweist und genau diese dabei verschenkt. Magie im Konjunktiv.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top