Mein Konto
    Gegenschuss - Aufbruch der Filmemacher
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Gegenschuss - Aufbruch der Filmemacher
    Von Christoph Petersen

    Auch wenn es mit dem deutschen Kino in den vergangenen Jahren wieder bergauf ging, wir mit Nirgendwo in Afrika und Das Leben der Anderen gleich zwei Mal den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film absahnen konnten und die Werke der „Berliner Schule“ (Falscher Bekenner, Ferien, Pingpong) von der französischen Kritik als „Deutsche Nouvelle Vague“ gefeiert werden, liegen die herausragenden Dekaden heimischen Filmschaffens dennoch weiter zurück. Wenn man genauer hinsieht, bleiben schlussendlich eigentlich nur zwei Jahrzehnte übrig, zwischen denen man wählen muss, um den absoluten Höhepunkt deutscher Leinwandkunst zu bestimmen. Entweder entscheidet man sich für die 20er Jahre, in denen der deutsche Expressionismus die Welt begeisterte. Oder für die 70er, in denen der Autorenfilm von Fassbinder, Wenders, Herzog und Co. seinen Triumphzug rund um den Erdball antrat. Jedem, der die 70er- über die 20er Jahre stellen würde, sei Dominik Wesselys „Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher“ ans Herz gelegt. Die Dokumentation zeichnet Aufstieg und Fall des legendären „Filmverlag der Autoren“ nach. Allerdings ist eine gewisse Vorbildung nicht nur wünschenswert, sondern zwingende Voraussetzung, um nicht schon in den ersten Minuten ins Schwimmen zu geraten.

    Moderator: „Herr Fassbinder, kam für sie der Erfolg ihres provinziellen Films Angst essen Seele auf bei einem so internationalen Publikums wie bei den Filmfestspielen von Cannes nicht auch überraschen?“

    Fassbinder: „Ne, für mich nicht! Ich denke, der Film ist vielleicht nicht ganz so provinziell wie sie es sind.“

    Anfang der 70er Jahre begann das deutsche Kino, sich aus der jahrzehntelangen internationalen Bedeutungslosigkeit zu befreien. Junge Filmemacher brachen mit den angestaubten Konventionen der Altproduzenten, die ihr Handwerk zum großen Teil noch im Dritten Reich erlernt hatten. Begabte Nachwuchsregisseure wie Rainer Werner Fassbinder (Angst essen Seele auf), Wim Wenders („Im Lauf der Zeit“) und Werner Herzog (Jeder für sich und Gott gegen alle) halfen dabei, den Neuen Deutschen Film aus der Traufe zu heben. Um sich aus der Abhängigkeit von kapitalstarken Geldgebern zu befreien und so selbstbestimmte Arbeitsbedingungen zu schaffen, wurde im April 1971 in München der „Filmverlag der Autoren“ von zunächst 13 Filmemachern gegründet. Der „Verlag“ war eine Produktions- und Verleih-Genossenschaft, die die Filme ihrer Mitglieder produzierte und in die Kinos brachte – vom Gewinn sollten 50 Prozent an den Filmemacher und 50 Prozent an die Gemeinschaft fließen. Da sich die meisten Mitglieder zwar mit dem Drehen von Filmen, aber kaum mit wirtschaftlichen Grundsätzen auskannten, geriet der „Verlag“ trotz internationaler Erfolge recht bald in finanzielle Schwierigkeiten. 1977 kam es daher unter der Leitung von Hark Bohm („Nordsee ist Mordsee“) und dem ehemaligen „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein zu einer Art feindlichen Übernahme, von der sich der Verlag nie mehr wirklich erholen sollte.

    „Gegenschuss“ nähert sich der Geschichte des „Filmverlags“ mit der Dramaturgie einer klassischen Rise-and-Fall-Story. Was Anfang der 70er mit Manifesten und sozialistischen Utopien begann, endete wenige Jahre später mit viel bösem Blut. Regisseur Wessely verzichtet dabei auf jeglichen eigenen Kommentar, belässt es bei Interviews mit Beteiligten, Archivaufnahmen und großzügigen Filmausschnitten, die einen echten Einblick in die jeweiligen Werke ermöglichen. Auf der einen Seite führt diese Kommentarlosigkeit dazu, dass die Doku sehr nah an die Protagonisten, die allesamt sehr offen und emotional über die Geschehnisse und Abläufe berichten, herankommt. Auf der anderen bedeutet sie jedoch auch eine gewisse elitäre Stellung des Films – immerhin berichten hier gut 20 verschiedene Menschen, die dem gemeinen Zuschauer nicht allesamt auf den ersten Blick geläufig sein dürften, von ihren weitgestreuten Erfahrungen: Wenn Produzent Michael Fengler an einer Stelle meint, er wisse gar nicht, wer Hark Bohm sei, ist dem Insider natürlich klar, dass diese Aussage keinesfalls wörtlich zu nehmen ist, Fengler seinen Kollegen Bohm nur einfach nicht riechen kann. Von solchen Andeutungen wimmelt es im Film nur so. Dies hat zur Folge, dass ein Kinogänger, der ohne größere Vorbildung in den Film geht, nur einen Teil des Berichteten wirklich zu 100 Prozent richtig einordnen kann.

    Wessely bewirbt seine Dokumentation unter anderem mit dem Argument, dass es zwar jede Menge Filme und Literatur zu den einzelnen Filmemachern, aber nicht zum „Filmverlag der Autoren“ an sich gibt. Recht hat er. Allerdings zieht er sein Konzept, den Filmverlag in den Mittelpunkt zu stellen, nicht konsequent genug durch. So gibt es zum Beispiel Episoden über die Erfolge von Werner Herzog in den USA oder die Verbindungen von Münchner Filmemachern und den Mitgliedern der RAF. Durchaus interessante Geschichten, die das eigentliche Thema allerdings nur am Rand berühren. Man kann ohne weiteres nachfühlen, dass die Macher ihrem Publikum die zahlreichen Fakten und Anekdoten, die bei der sorgfältigen Recherche ans Tageslicht gekommen sind, auch mitteilen wollen. Doch wie so häufig, wäre weniger mal wieder mehr, eine konsequentere Aussiebung die bessere Alternative gewesen. Aufgrund der großen Zahl an Protagonisten und der nicht immer ganz einfach nachzuvollziehenden Verstrickungen ist schon der Kern des Erzählten, nämlich der Aufstieg und Fall des Verlags, komplex genug. Die vielen eröffneten Nebenschauplätze bieten zwar amüsante/erwähnenswerte Randnotizen, lenken im Endeffekt jedoch zu stark vom eigentlichen roten Faden ab.

    Fazit: „Gegenschuss – Aufbruch der Filmemacher“ legt den Fokus auf die wohl aufregendste Epoche deutschen Filmschaffens. Allerdings richtet sich die Dokumentation dabei ganz speziell an jenes Publikum, das bereits zu einem gewissen Grad in der Materie drinsteckt. Das nachträgliche „Entdecken“ einer spannenden Ära ist so leider kaum möglich.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top