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    La Vida Loca - Die Todesgang
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    La Vida Loca - Die Todesgang
    Von Martin Thoma

    In einem Armenviertel von San Salvador, der Hauptstadt von El Salvador, herrscht Krieg. Nicht mehr der Bürgerkrieg, der in den 80er Jahren das Land verheerte und bei dem auch die USA unter Präsident Ronald Reagan eine unrühmliche Rolle spielten, sondern ein Kleinkrieg zwischen kriminellen Banden, denen überwiegend Jugendliche angehören. Der französische Fotograf und Dokumentarfilmer Christian Poveda, der das Land im Bürgerkrieg kennen lernte, hat für seinen Werk „La Vida Loca – Die Todesgang“ eine der größten und berüchtigtsten Jugendbanden, die Mara 18, über mehrere Jahre mit der Kamera begleitet. Das Ergebnis dieser Arbeit ist ein erschütterndes Dokument menschlichen Elends und gleichzeitig das Vermächtnis des Regisseurs, denn kurz nach der Fertigstellung seines Films wurde Poveda in El Salvador erschossen, wahrscheinlich von Mitgliedern einer der Jugendbanden.

    Die Todfeinde der Mara 18 sind die Gangster der Mara Salvatrucha. Wenn man sich trifft, dann ermordet man sich. Es gibt keine religiösen oder ethnischen Gründe für die Feindschaft. Jeder Mord ist die Vergeltung für einen anderen. Die meisten Bandenmitglieder haben keine Idee, wie es eigentlich dazu kam, und erst recht keine Vorstellung, wie der Konflikt jemals enden könnte, außer mit der vollständigen Vernichtung einer der Parteien. Die Repräsentanten der Staatsgewalt denken ähnlich: Erst wenn die Jugendbanden zerschlagen sind, können Ruhe und Ordnung wieder hergestellt werden. Ständige Razzien der Polizei scheinen das Mittel der Wahl und festigen bei den Bandenmitgliedern die Vorstellung von der Unabänderlichkeit ihres Outlaw-Status.

    Der Film zeigt auch Menschen, die versuchen, etwas an der Situation zu ändern. Ein Mann, der dem kriminellen Treiben abgeschworen hat, möchte Bandenmitgliedern die Möglichkeit bieten, einer legalen Beschäftigung nachzugehen. Doch der Initiator kann sich selbst nicht von der Mara lösen, die einen Ausstieg mit dem Tod bestrafen würde, und die staatlichen Autoritäten trauen ihm nicht über den Weg. Am Ende sieht es ganz so aus, als habe ihn ganz schlicht seine eigene Vergangenheit eingeholt. Ein anderer Jugendlicher findet in einer Besserungsanstalt der Evangelikalen zu Gott und lässt sich taufen. Ein guter Vorsatz, „der in den meisten Fällen allerdings zu nichts führt“, wie ihn der Pfarrer warnt.

    „La Vida Loca“ hat ein Leitmotiv: den Tod. Der Film gliedert sich relativ chronologisch in mehrere Kapitel, von denen jedes mit dem Auffinden oder der Beerdigung eines Ermordeten eröffnet. Im Leben der dargestellten jungen Menschen erscheint der Tod als die einzige Konstante, die Gang als der einzige Halt. Auf den Friedhöfen schreien sie sich die Trauer von der Seele, beschwören Zusammenhalt und Rache. Regisseur Poveda filmt das alles so dicht wie nur möglich, aber ohne Voyeurismus oder seine Protagonisten vorzuführen. Eine Handvoll Menschen porträtiert er intensiver, so dass der Zuschauer eine Vorstellung von ihren Biografien bekommt. Doch eine zu starke Konzentration auf einige wenige wäre dem Gegenstand kaum angemessen gewesen. Mit bewundernswerter Sicherheit wahrt Poveda hier die Balance. Man bekommt als Unbeteiligter eine Ahnung, wie sich eine Kindheit angefühlt haben könnte, die jemanden in die Arme einer Gang wie der Mara 18 treibt, und von der Art der Wärme, die diese Gemeinschaft bietet. Das alles überlagernde Gefühl allerdings ist das von der Aussichtslosigkeit und von einem Leben mit dem Tod – oder vielmehr für den Tod.

    Aufgrund seiner direkten Darstellungsweise, die völlig auf Hintergrundinformationen zum Konflikt verzichtet, vermittelt Povedas Film viel von diesen Gefühlen. Der Anblick ganz realer Mordopfer in „La Vida Loca“ lässt sicherlich keinen kalt. Aber echte Tote gibt es auch im Fernsehen. Mitnehmender noch ist der gezeigte Kontrast von äußerster Brutalität und verletzlicher Zartheit: Die Gang kümmert sich wie eine Familie umeinander, aber lässt ihre jüngsten Mitglieder - 10-jährige Jungs - als Initiationsritus brutal aufeinander einschlagen. Mitnehmend sind auch die buchstäblich toten Blicke vieler Porträtierten, die nur ein vereinzelten Szenen überraschend aufleuchten. Dabei ist Poveda nie daran gelegen, die Menschen, die er über Jahre begleitet hat, von Schuld frei zu sprechen oder ihre Gemeinschaft gar in irgendeiner Weise romantisch zu verklären.

    Fazit: „La Vida Loca“ ist kein Film, der Schuldzuweisungen, Erklärungen oder einfache Lösungen anbietet. Stattdessen stammt die Doku von einem, der ganz genau hingesehen hat auf eine menschliche Katastrophe. Das macht ihn so schmerzhaft und wichtig zugleich.

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