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    Badland
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Badland
    Von Andreas Staben

    Amerika steht am Scheideweg: Der noch amtierende Präsident George W. Bush findet immer weniger Zustimmung in der Bevölkerung, während seine Nachfolger in spe sich im Wahlkampf aufreiben. Besonders der schier endlose Militäreinsatz im Irak, der einst unter dem Banner des „Kriegs gegen den Terror“ in relativem gesellschaftlichen Konsens begonnen wurde, erweist sich als schweres Erbe und seine Fortsetzung wird mittlerweile von der Mehrheit der Amerikaner abgelehnt. Zu diesem Meinungsumschwung trugen nicht nur die unerwartet hohen Opferzahlen insbesondere in den eigenen Reihen und die explodierenden Kosten bei, sondern wesentlich auch die anhaltende Erfolglosigkeit der Mission. Durch Enthüllungen wie beim Abu-Ghraib-Folterskandal wurde das amerikanische Selbst- und Sendungsbewusstsein zusätzlich in Frage gestellt. Beim zunehmend kritischen Medienecho spielt auch das Kino allmählich eine größere Rolle. Allein drei der in diesem Jahr für dem Oscar nominierten Dokumentationen befassten sich mit den Konflikten im Irak und in Afghanistan sowie ihren Folgen, bei der Berlinale lief zudem Errol Morris' essayistischer Film über die Vorkommnisse in Abu Ghraib, Standard Operating Procedure. Dem etwas handzahmen Im Tal von Elah, in dem Tommy Lee Jones als Militärpolizist den Mord an seinem gerade vom Irak-Einsatz zurückgekehrten Sohn aufzuklären versucht, folgt nun mit dem ebenso engagierten wie ambitionierten Drama „Badland“ von Autor und Regisseur Francesco Lucente ein zweiter Spielfilm, der die traumatischen Erfahrungen und die schwierige Heimkehr der Soldaten des dritten Golf-Kriegs ins Zentrum rückt. Lucentes Versuch, eine psychologisch glaubwürdige Studie mit einer politisch expliziten Anklage und einem allegorischen Stimmungsbild amerikanischer Befindlichkeiten zu verbinden, ist bei weitem nicht immer gelungen, erweist sich aber gerade in seinen Unzulänglichkeiten als äußerst faszinierend.

    Jerry (Jamie Draven) kehrt traumatisiert von seinen Einsätzen im Irak und in Afghanistan zurück. Geplagt von Stimmungsschwankungen, Albträumen und Nasenbluten schafft der Veteran es kaum noch für seine Familie zu sorgen, mit der er eine ärmliche Existenz in einem Wohnwagen fristet. Es kommt zu Spannungen zwischen Jerry und seiner Frau Nora (Vinessa Shaw, Eyes Wide Shut, 40 Tage und 40 Nächte), die sich in einem Gewaltausbruch des Ex-Soldaten entladen. Er erschießt Nora und seine beiden Söhne, nur seine neunjährige Tochter Celina (Grace Fulton) verschont er. Die Flucht führt die beiden in eine verschlafene Kleinstadt, wo Jerry sogar Arbeit als Aushilfe in einem Diner findet. Dessen ledige Besitzerin Oli (Chandra West, White Noise, Mein verschärftes Wochenende) findet Gefallen an Jerry, und er freundet sich sogar mit dem Polizisten Max (Joe Morton) an, einen ebenfalls mit bösen Erinnerungen kämpfenden Kriegsheimkehrer. Der zarten Hoffnung auf einen Neuanfang für Vater und Tochter steht die ständige Furcht vor Entdeckung genauso entgegen wie die Last des begangenen Verbrechens.

    Francesco Lucente war von Anfang an gegen den Irak-Krieg und diese Haltung zeigt sich in „Badland“ überdeutlich. Gleich zu Beginn wird der Veteran als Opfer dargestellt, dem die Gesellschaft keine Chance mehr lässt. Sein Boss betrügt ihn um verdienten Lohn und auch bei seiner Frau trifft er auf wenig Verständnis, so dass die Eskalation schnell unvermeidlich scheint. Die Exposition steckt von diesem unübersehbaren Kalkül abgesehen voller Kleinigkeiten, die Aufmerksamkeit verdienen. Die Enge des Lebens im Trailer, der ständige Kampf ums Geld und auch die Trauer um vergangene Gemeinsamkeit werden durch geduldige Beobachtung spürbar gemacht. Leider gibt Lucente („Virgin Queen“), der seit über 20 Jahren im Geschäft ist, dessen Filmographie aber bisher spärlich und obskur ausfällt, in der Folge jegliche Zurückhaltung auf, um seine Anti-Kriegs-Botschaft an den Zuschauer zu bringen. Zunächst etabliert er einen aufgesetzt wirkenden Bezug zum Massaker von My Lai und dann offenbart Jerrys grotesk übertriebener Ausbruch, dass dieser im Irak gezwungen war, zu ähnlichen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung beizutragen. Dieser anklagende Furor ist wenig reflektiert und wirkt selbstgerecht. Während es Brian De Palma in seinem grimmigen Irak-Doku-Drama Redacted, das bisher leider noch nicht in Deutschland zu sehen war, über weite Strecken gelingt, Empörung und Analyse gleichermaßen zu ihrem Recht kommen zu lassen, überspannt Lucente den Bogen besonders mit seinem Finale. Der dort eingesetzte Schockeffekt ist inhaltlich durchaus vieldeutig, seine Inszenierung fällt in ihrer Willkür aber nur auf den Regisseur zurück.

    „Badland“ ist als politische Anklage zu oberflächlich und als Fallstudie des unter Kriegsteilnehmern zunehmend verbreiteten PTSD (Posttraumatische Belastungsstörung) zu konstruiert und zudem symbolisch überfrachtet, dafür ist der Film als allegorische Zustandsbeschreibung Amerikas hochinteressant. Lucente und seinem Hauptdarsteller Jamie Draven, der bisher vor allem als streikender Bruder von Billy Elliot aufgefallen ist, gelingt es, Jerry trotz seines Verbrechens nie ganz unsympathisch wirken zu lassen. Dies ist nicht unerheblich darauf zurückzuführen, dass sie die Figur ins Unwirkliche entrücken und letztlich mythisch überhöhen. Die leichte Irritation, die die Besetzung dieses in allen Attributen durch und durch amerikanischen Protagonisten mit einem Briten hervorruft, ist durchaus reizvoll, aber Draven stößt bei seinen schlecht geschriebenen Ausbrüchen in der Konfrontation mit Max an seine Grenzen. Das In-Sich-Gekehrte und Sprachlose in der Figur kommt dagegen über weite Strecken durch sparsame Gesten und zurückhaltendes Spiel gut zur Geltung und unterstreicht die Nähe zum archetypischen Outlaw. Jerry steht wie diese Variante des klassischen Westernhelden außerhalb der Gesellschaft, die sich in „Badland“ aber nicht im Aufbau, sondern in Auflösung befindet. Die Grundpfeiler des amerikanischen Wertesystems sind eingestürzt, Familien zerstört und selbst an die Kinder knüpft sich am Ende keine Zukunftshoffnung mehr. Grace Fulton (Fernsehzuschauern als Melinda in „Ghost Whisperer“ ein Begriff) als Celina muss wie ein Phantom aus ihrem Versteck im Motelzimmer schlüpfen und durch die Straßen der fast menschenleeren Stadt huschen, um heimlich und allein zu spielen. Der Polizist als Verkörperung von Gesetz und Ordnung ist seiner Aufgabe bezeichnenderweise auch nicht mehr gewachsen. Wenn Joe Morton (Speed, Paycheck, Stealth) als Max um Selbstkontrolle ringend nicht mehr in der Lage ist, sachgemäß mit seiner Dienstpistole umzugehen, dann wird ein nachhaltigeres Schlaglicht auf die Rolle der Waffen in der US-Kultur geworfen als bei Jerrys Amoklauf. Morton und Fulton hauchen dem Mythos durch große Emotionalität Leben ein, das Mädchen wird geradezu zur Seele des Films.

    Anders als die Western, die am Gründungsmythos des amerikanischen Gemeinwesens mitgeschrieben haben und dessen Wurzeln beschwören, vollzieht „Badland“ symbolisch eine Regression. Das Land ist moralisch zusammengebrochen, die Holzhäuser verlassen. Die Weite wirkt öde und unbelebt. Mit sorgfältig komponierten Bildern der grauen und fahlen Landschaft und einem betont langsamen Erzählrhythmus erzeugen Lucente und sein Kameramann Carlo Varini („Im Rausch der Tiefe“, „Die Kinder des Monsieur Mathieu“) eine elegische Stimmung, die „Badland“ besonders im ersten Drittel prägt. In Verbindung mit einer eigenwilligen, sehr eigenständigen symphonischen Filmmusik von Ludek Drizhal, die wirkungsvoll durch Songs von Bruce Springsteen („Devils and dust“) und Ray LaMontagne ergänzt wird, entfaltet sich in den besten Passagen ein epischer Atem, und die Stärken von Lucentes Film kommen zum Tragen. Fernab von Polemik und Propaganda steckt in und zwischen den Bildern und Tönen von „Badland“ ein trauriger Abgesang auf den amerikanischen Traum.

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