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    Memories of Matsuko
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Memories of Matsuko
    Von Ulf Lepelmeier

    Schon im Jahr 2005 durfte mit „Kamikaze Girls” ein Film von Regisseur Tetsuya Nakashima seine Deutschland-Premiere auf dem Asia Filmfest feiern. Der in einer knallbunten Welt spielende Film um Individualität, Freiheitssehnsucht und die Freundschaft zweier eigenwilliger japanischer Mädchen im Teenageralter wusste mit seinem naiven Charme, viel Witz und Abwechslung zu gefallen. In diesem Jahr war der Regisseur nun mit seinem neuesten Werk, der Musical-Komödie „Memories Of Matsuko“, wieder auf dem Asia Filmfest vertreten. Auch dieses Mal präsentiert er dem Publikum eine kunterbunte Welt, eine große Portion Humor und jede Menge inszenatorische Finessen, darüber hinaus aber auch eine herzzerreißende Lebensgeschichte, die in ihrer Tragik schwer zu ertragen ist. Die brisante, süßsaure Mischung sorgt für ein einzigartiges Kinoerlebnis, welches sowohl in den fidelen Musicaleinlagen als auch in den dramatischen Szenen auf ganzer Linie zu überzeugen weiß.

    „Life is a fairy taile, but a cruel one.”

    Matsuko hat einfach kein Glück in ihrem Leben. Sie verletzt diejenigen, die sie bedingungslos liebt, gerät immer wieder in schwierige Beziehungen und heikle Situationen. Kurz gesagt: Das Schicksal spielt ihr stets übel mit. Letztlich wird sie im Alter von 53 Jahren an einem Fluss ermordet aufgefunden. In den letzten Jahren ihres Lebens war sie verwahrlost, aufgedunsen und allein – ihr Leben unbedeutend. Ihr Neffe Shou wird auch nicht gerade vom Glück verfolgt. Er wurde gerade erst von seiner Freundin verlassen und der Traum vom Rockstardasein, für den er vor zwei Jahren nach Tokio kam, ist auch geplatzt. Nun taucht auch noch sein Vater auf und bittet ihn, das völlig heruntergekommene Appartement seiner verstorbenen Tante wieder herzurichten. Wiederwillig stimmt er zu, die Wohnung der Frau, von dessen Existenz er vorher überhaupt nicht wusste, aufzuräumen. In dem Durcheinander findet er ein Foto seiner Verwandten und beginnt sich zu fragen, wieso seine ehemals wunderschöne Tante so enden konnte und wer überhaupt ein Interesse daran gehabt haben könnte, die arme Frau umzubringen? Mit Hilfe eines Nachbarn und von Bekannten der Verstorbenen setzt es, langsam das tragische Lebenspuzzle von Matsuko zusammen.

    Zu Beginn, wenn die ersten Rückblenden in das turbulente Leben Matsukos einsetzen, mutet der Film wie eine japanische Version von Die fabelhafte Welt der Amelie an, möchte das kleine Mädchen Matsuko doch auch nichts anderes, als ihrem Vater zu gefallen und lebt in ihrer eigenen traumhaft bunten Welt. Doch schon bald sind die Geschehnisse trotz stetiger komödiantischer Einschübe, die erst zum Ende hin abnehmen und somit den Betrachter das eigentlich ungeheuer dramatisch-desaströse Leben von Matsuko wirklich erfassen lassen, einfach zu brutal und traurig, um noch wirklich mit dem französischen Wohlfühlfilm in Verbindung gebracht werden zu können. Möchte man den Film unbedingt mit einem anderen vergleichen wäre wohl noch Moulin Rouge die beste Wahl, denn was Rasanz, farbliche Genialität und musikalische Verspieltheit angeht, sind sich die beiden Filme sicherlich nahe. Doch der Kontrast zwischen dramatischen und schräg-witzigen Momenten ist hier noch weitaus größer. Die phantastischen Einspielungen begleiten den Zuschauer bis zum Schluss und erinnern nicht von ungefähr an japanische Werbeblöcke und Videoclips, hat Regisseur Tetsuya Nakashima („Beautiful Sunday“) doch auch als Werbefilmer angefangen und eine beachtliche Zahl an Werbespots vorzuweisen. Aber auch die Einflüsse seines Vorgängerwerkes, dem überdreht verspielten „Kamikaze Gils“, sind unverkennbar, gibt es doch auch hier wieder surreal anmutende Animationsszenen und kommen auch computeranimierte Effekte zum Zuge.

    Die zumeist mit Gesang unterlegten Phantasiegeschehnisse sind sehr gut choreographiert, witzig und knallbunt. Zudem sind die in drei Dekaden anzusiedelnden Szenen hervorragend in Szene gesetzt, was Kostüme, Farbgebung und Bühnenbilder angeht. Der gelungene, unheimlich abwechslungsreiche und verspielte Soundtrack, der mit J-Pop, J-Rock, R’n’B im Japangewand, Balladen bis hin zu Kinderliedern und Enka (japanische Schlager) nebenbei einen Rundumschlag der japanischen Musikindustrie im Laufe der Zeit bietet, macht die Musicalnummer erst Recht zum Erlebnis. Allerdings besteht durchaus die Gefahr, dass sich Zuschauer vom Tempo und der kreativen Überladung erdrückt fühlen und einige Szenen als zu aufgebläht empfinden.

    Diese Musicaleinlagen stehen im Kontrast zum eigentlichen Leben Matsukos, das durch ein stetiges Auf und Ab gekennzeichnet, aber mit den immer wieder eintretenden negativen Wendungen letztlich als schwer zu ertragende Katastrophe zu bezeichnen ist. Matsuko befindet sich immer auf der Suche nach Liebe und sehnt sich nach einem familiären Zuhause. Sie kann und will nicht alleine sein und so gerät sie von einer glücklosen Beziehung in die nächste. Doch egal, ob sie geschlagen oder verlassen wird, sich prostituieren muss oder wegen Mordes ins Gefängnis gesteckt wird, aufgeben tut sie nicht, denn sie versteht es, sich stets einen Traum aufzubauen, der sie antreibt weiterzumachen und nicht zu verzweifeln. Erst kurz vor ihrem Tod verliert sie die Fähigkeit, in der Dunkelheit ein Licht zu sehen.

    Interessant ist auch die Tatsache, dass das Leben der Verstorbenen von unterschiedlichen Blickwinkeln aus betrachtet wird und somit ein sehr differenziertes Bild von Matsukos Schicksal entsteht. Auch erfährt der Betrachter, dass die Verstorbene für viele Menschen große Bedeutung hatte, auch wenn Matsuko selbst dies nie wirklich begreifen konnte oder wollte.

    Doch dass der gewagte, teils skurrile Spagat zwischen trostlosem Leben und quietschfideler Wunschwelt funktioniert, ist nicht nur den deliziöse Bildkompositionen und dem Timing des Regisseurs, sondern auch der enorm wandlungsfähigen Hauptdarstellerin zu verdanken. Die Rolle der Matsuko ist unheimlich facettenreich und so ist Miki Nakatani („Silk“, Ringu) ihre Leistung auch hoch anzurechnen. Sie versteht es sowohl die traurigen als auch die fröhlichen Momente perfekt rüberzubringen und vermag es dem Film, so rasant und überdreht er auch sein mag, Seele einzuhauchen. Wenn Matsuko in ihre leere Wohnung zurückkommt und ein desillusioniertes „Tadaima“ (Ich bin Zuhause) ausruft, ist dies einfach herzzerreißend. Unterstützt wird ihre großartige Leistung noch von ihren Schauspielkollegen Eita („Azumi“, „Densha Otoko“), Iseya Yusuke („Casshern“), Teruyuki Kagawa („Memories Of Tomorrow“, „Sway“) und Ichikawa Mikako („Cutie Honey“), die es ebenfalls verstehen, in ihren Rollen aufzugehen.

    So ist „Memories Of Matsuko“ ein Film, so abwechslungsreich und vielfältig wie das Leben selbst. Eine niederschmetternde, dramatische Lebensgeschichte und eine optisch überwältigende Musical-Komödie gehen hier eine einzigartige, sonderbar anmutende Symbiose ein, die als Ganzes perfekt funktioniert. Ein visuell überragendes Werk, welches einen nur schwerlich kalt lässt.

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