Mein Konto
    Geliebte Clara
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    1,0
    schlecht
    Geliebte Clara
    Von Jan Hamm

    Auf zweierlei kann ein Deutscher heutzutage guten Gewissens und politisch korrekt stolz sein: auf eine weltoffene Gastgebermentalität bei der Fußball-WM 2006 und auf die kulturellen Errungenschaften aus dem Land der Dichter und Denker. Und da Goethe, Einstein, Marx und Schumann bereits vor geraumer Zeit das Zeitliche gesegnet haben, wird nach Herzenslust Erinnerungskultur betrieben. Erzählenswert sind die Geschichten der Großen allemal, da sie oft von gesellschaftlichen Umbrüchen berichten. Das Leben der Clara Schumann ist eine solche Geschichte. An der Seite ihres Gatten Robert erkämpfte sie sich als eine der ersten Frauen in der patriarchalischen Musiklandschaft ihrer Zeit breite Anerkennung. Claras Biographie gilt als frühe Emanzipationsparabel und gibt zudem auch aufgrund der Dreiecksbeziehung zwischen ihr, Robert und Johannes Brahms einen perfekten Dramenstoff ab. Mit „Geliebte Clara“ nimmt sich Helma Sanders-Brahms, eine direkte Nachfahrin des genialen Komponisten, ihrer Ahnengeschichte an. Für die Hauptrolle konnte die hochprofilierte Martina Gedeck (Das Leben der Anderen, Der Baader Meinhof Komplex) gewonnen werden. Doch, oh weh! Was auf dem Papier noch spannend klingt, entpuppt sich auf der Leinwand als unfokussierte Historiensoap, deren inhaltliche Tragweite ohne jegliche Würde übergangen wird.

    Im Jahr 1850 reist die Pianistin Clara Schumann (Martina Gedeck), geborene Wieck, mit ihrem Mann Robert (Pascal Greggory, Das Mädchen, das die Seiten umblättert) und ihren Kindern nach Düsseldorf. Nach anstrengenden Jahren auf Tournee übernimmt Robert dort den Posten des städtischen Musikdirektors und ermöglicht seiner Familie damit ein sesshaftes Leben. Doch immer häufiger muss Clara für den kränkelnden Gatten einspringen und sich gegen den grassierenden Chauvinismus der männlichen Musikerkollegen durchsetzen. Dann wird Robert auf die virtuosen Kompositionen des 20-jährigen Johannes Brahms (Malik Zidi, Looking For Cheyenne) aufmerksam und holt ihn voller Begeisterung ins Haus. Erst fügt sich der Jungspund wunderbar ins Familienleben ein, bald aber entflammt er für die Hausherrin und verkompliziert die Umstände damit erheblich. Zunehmend stellen Mutterrolle, Krankenpflege, Arbeit und Gefühlschaos Clara vor eine harte Zerreißprobe...

    Musik, Liebe, Eifersucht, Dramatik – all das hätte in „Geliebte Clara“ Platz gehabt. Geschafft hat es letztendlich nur die Musik. Ist Sanders-Brahms’ Inszenierung noch handwerklich solide, so handelt es sich bei ihrem Drehbuch um eine ausgewachsene Katastrophe. Und das, obwohl Künstler- und Zeitgeistporträt, Liebesdrama und Emanzipationsgeschichte eigentlich bereits in Clara Schumanns Lebenslauf enthalten sind und lediglich herausdestilliert hätten werden müssen. Dass „Geliebte Clara“ auf allen Ebenen scheitert, liegt an einem eklatanten Mangel an aussagekräftigen Sequenzen, die die zahlreichen Problemfelder in irgendeiner Weise erläutern oder erforschen würden. Etwa Claras Mutterrolle, deren Anforderung mit sechs Kindern entsprechend hoch war. Doch die Kleinen turnen als vergnügte Horde durchs Bild, die sich scheinbar selbstständig versorgt und erzieht. Von der eigentlich erheblichen Belastung findet sich keine Spur.

    Ebenso harmlos wirkt ihre Arbeit in der männerdominierten Musik. Zwar lassen die Orchestermitglieder, die Clara anstelle ihres Mannes dirigiert, ordentlich sexistischen Dampf ab. Ein paar Machtwörter später hat die Dame ihre Meute aber so problemlos unter Kontrolle, dass Alice Schwarzer ihre helle Freude daran hätte. Weiter geht das Elend mit der Ménage à trois zwischen den drei Komponisten. Ständig bombardieren sich Gedeck, Greggory und Zidi mit bedeutungsschwangeren Blicken, ohne dass die dazugehörigen Dialoge die komplizierte Situation auf den Punkt bringen können. Das Liebesdrama bleibt hier bloße Suggestion. Und auch auf sich gestellt wird den Schauspielern kein Raum gegeben, ihren Figuren Profil zu verleihen.

    Die Spitze des Eisberges ist dabei die Darstellung Johannes Brahms’ als hipper Jungspund. Der segelt das Treppengeländer rauf und runter, als wäre das Familienhaus ein Abenteuerspielplatz, und kommentiert eine Klavierdarbietung für die Schumann-Kinder mit den Worten: „Das ist ungarisch! Fetzt, was?“ Dass Sanders-Brahms den damaligen Sprachhabitus zugunsten einer modernen Inszenierung vernachlässigt, geht in Ordnung. Derartige Szenen wirken allerdings nicht zeitgemäß, sondern bloß unfreiwillig komisch. Darüber hinaus erfahren die Figuren keinerlei Erdung, da Rückblicke auf die Herkunftsgeschichten der drei Hauptcharaktere höchstens in Nebensätzen anklingen.

    Das Drehbuch schreibt den Schauspielern ein solches Kasperle-Theater vor, dass sie nicht viel ausrichten können. Martina Gedeck, die in Der Baader Meinhof Komplex als Ulrike Meinhof brillierte, kämpft hier trotz sichtbarer Bemühungen auf verlorenem Posten (ironischerweise geht das einzige Privatinterview mit der echten Meinhof auf Sanders-Brahms’ Konto). Zidis Brahms fehlen bei aller Coolness die Zwischentöne, und Greggory chargiert insbesondere in den Szenen, die seinen Krankheitsverlauf illustrieren, munter drauf los. So wird selbst der Selbstmordversuch des siechenden Künstlers seiner Dramatik beraubt.

    Es ist schon seltsam: Eigentlich wäre von einer direkten Nachfahrin des großen Johannes Brahms ein behutsamer und würdevoller Umgang mit diesen drei Großen der deutschen Musikgeschichte zu erwarten gewesen. Warum ihr Beitrag zur deutschen Erinnerungskultur dann zu einer ausdruckslosen Seifenoper verkam, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Gibt es überhaupt sehenswerte Momente in „Geliebte Clara“? Kaum, denn die hübschen Kostüme gelten bei einer solchen Produktion als Selbstverständlichkeit. Zu hören gibt es allerdings etwas; und zwar zahlreiche Exzerpte aus den Schumann- und Brahms-Werken. Die stehen aber auch für den Preis einer Kinokarte in jedem Plattengeschäft.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top