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    Asphalt-Cowboy
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Asphalt-Cowboy
    Von Ulrich Behrens

    „Everybody's talking at me

    I don't hear a word they're saying

    Only the echoes of my mind.

    „People stopping staring

    I can't see their faces

    Only the shadows of their eyes.” (1)

    „In most ways it was a damn good picture.

    But if we remade Midnight Cowboy (1969)

    today, the whole relationship between Buck

    and Ratso would have to be sexualized or

    at least made, you know, like in love ... to

    be sexually or erotically honest."

    (Jon Voight)”

    Immer ein Kaugummi im Mund, immer ein Lächeln oder Grinsen im Gesicht. Immer in der Hoffnung, eine „einzigartige” Karriere zu machen. Immer den american dream im Kopf. Das ist der Texaner Joe Buck (Jon Voight). Ein Texaner, der so aussieht wie ein Texaner eben aussieht. Cowboy-Hut, -Schuhe, -Kleidung. Dabei ist der Traum dieses zuletzt als Tellerwäscher beschäftigten Cowboys gar nicht einmal so abwegig: Frei nach dem Motto rent-a-shagger will er in New York reichen, unbefriedigten Ladys Freuden verschaffen – gegen entsprechende Bezahlung, versteht sich. Genau das aber – eine „Karriere” in diesem Sinn – gaukelt uns der american way of life doch ständig vor. Jon Voight – ja, das ist Joe Buck. Mit John Schlesingers Drama „Asphalt Cowboy“ wurde der Mime bekannt – über die Grenzen Amerikas hinaus – etwa in dem Alter, in dem seine Tochter Angelina Jolie jetzt wohl ist. Voight spielt einen Naiven, einen tumben Tor, einen, der das Triviale dieser Ideologie des american dream and way of life für bare Münze nimmt, der die Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Phrasen glaubt, der dieser Ersatzreligion alles abgewinnt. Mit dem Bus fährt er los in die Stadt aller Städte, streicht durch die Straßen, immer eine vermeintlich geeignete Lady im Auge – und keine noch so barsche Abweisung kann ihn daran hindern, an sich zu glauben und an seinen Traum. Und selbst die reiche Cass (Sylvia Miles), die ihn zwecks sexueller Abwechslung mit auf ihre Suite nimmt, enttäuscht ihn nur kurzzeitig, als nach Vollzug seiner Dienste nicht er Geld von ihr kassiert, sondern sie sich von ihm ein paar Dollar für’s Taxi geben lässt.

    Als Joe auf den heruntergekommenen, ewig hustenden, lungenkranken Rizzo, genannt „Ratso” (Dustin Hofman), trifft, schöpft er neuen Mut. Denn der vermittelt ihm – gegen ein paar Kröten – einen vermeintlichen Manager, der die Sache mit dem männlichen Prostituierten für edle Damen richtig in die Hand nehmen würde. Dieser, ein O’Daniel (John McGiver), allerdings erweist sich als bizarrer religiöser Fanatiker mit leuchtender Madonna in der Badezimmertür – und Joe ist wütend auf Ratso, der ihn hereingelegt hat.

    „I'm going where the sun keeps shining

    Thru' the pouring rain

    Going where the weather suits my clothes

    Backing off of the North East wind

    Sailing on summer breeze

    And skipping over the ocean like a stone.” (1)

    Regisseur Schlesinger schildert nun, wie beide wieder aufeinander treffen, zusammen in einem abrissreifen Haus, in dem Ratso haust, leben und davon träumen, dass der Traum doch kein Traum bleibt. Er zeigt uns, wie beide auf die (jedenfalls damals) modernen Spinnereien und skurrilen Figuren treffen, etwa in eine psychedelische Party geraten, in der ordentlich gekokst wird, oder wie Joe verzweifelt versucht, an Geld zu kommen, indem er sich Männern anbietet: einem Schuljungen, der aber kein Geld hat, und einem ältlichen Homosexuellen, dem er mit Gewalt Geld wegnimmt.

    Voight als naiver Joe Buck und Hofman (nach seiner gloriosen Darstellung in Die Reifeprüfung) als zynischer Betrüger glänzen in ihren Rollen als ein Paar, bei dem trivialer Glaube und bittere, mit Zynismus kommentierte Enttäuschung ein Gemisch abgeben, das in New York, um den Time Square herum, die Vulgarität, Skrupellosigkeit, Ignoranz und Gleichgültigkeit der Gesellschaft auf besondere Weise „konterkariert”. Zwei Anti-Helden, zwei Looser, von denen der eine noch träumt, der andere praktisch längst aufgegeben hat, finden sich für ein paar Wochen als Freunde. Joe kümmert sich um den kranken Ratso, mit allem, was ihm zur Verfügung steht – und das ist wenig genug und doch viel. Fast ist diese Männerfreundschaft so etwas wie Liebe. Die homoerotischen Bezüge sind zwar schwach, aber doch zwischen den „Zeilen” zu lesen. Das und die offene Vulgarität in Sprache und Ausdruck verschafften dem Film daher auch das erste X-Rating: keine Freigabe für Jugendliche.

    Ratso, der humpelt, meist Joe hinterher, kennt die Schliche, um an ein bisschen Geld zu kommen, gerade genug, um den nächsten Tag, höchstens die nächsten zwei Tage zu überleben. Tatsächlich hat Ratso schon lange keine Chance mehr, aus dem Müll der Stadt, aus den verrotteten Gegenden, aus dem Sumpf New Yorks heraus zu kommen. Und Joe, dieser Träumer des Traumes, der immer schemenhafter und unwirklicher, ja unwirtlicher, wird, weiß insgeheim längst, dass hier, in der Stadt der Städte, für ihn und Ratso nichts zu holen ist. Nichts, aber auch gar nichts.

    Wenn der verhinderte Mietrammler und der verkorkste und todkranke Ratso im Winter schließlich entscheiden, nach Florida zu gehen (Ratsos Traum), steht der Tod bereits vor der Tür. Für Ratso erweist sich der Tod tatsächlich als eine Art Befreiung, ein Heraus aus dem Elend. Der Tod ist so zynisch wie Ratso selbst war. Die wieder gehegten Hoffnungen Joes, seine Dienste in Florida zu verkaufen, in Tagträumen Ratsos auf der Fahrt im Bus präsent, werden genauso enttäuscht werden wie in New York.

    „Everybody's talking at me

    I don't hear a word they're saying

    Only the echoes of my mind

    I won't let you leave my love behind

    No I won't let you leave

    I won't let you leave my love behind.” (1)

    Joe landet an dem Punkt, an dem er begonnen hatte. Ob in Texas oder Florida – was soll’s? Schlesinger demaskiert in seltener Klarheit und in fulminanten Bildern die Verkehrtheit und Illusion des american dream and way of life – mit einiger Sympathie für seine beiden Hauptfiguren, die er eben nicht als bemitleidenswerte Opfer darstellt, sondern als durchaus kritische, skurrile Anti-Helden, die er aber in keiner Weise verurteilt.

    Durch die Musik des Films erhält die Darstellung zusätzliche Atmosphäre, insbesondere durch Nilssons bekanntes „Everybody's Talkin”, das fast zum Sinnbild der Geschichte und seiner beiden Akteure wird. Beide und die Musik sind ein klarer Kontrapunkt zu einer Gesellschaft, die von den Ratsos und Joes letztlich nichts wissen will.

    Was an dem Film etwas stört, sind die Rückblenden in das Leben Joes als kleiner Junge und junger Mann. Das dargestellte Verhältnis zu seiner Großmutter, bei der er aufwuchs, und zu einer jungen Frau, die immer wieder in der Rückblende – während sie mit Joe schläft – sagt, er sei der einzige, die Festnahme Joes durch die Polizei, als er mit dieser Frau im Auto Sex hat, usw. – all das mögen psychoanalytische Andeutungen sein, nur, wer will sie genau verstehen? Denn es sind eigentlich weniger als „Andeutungen” – eher unausgegorene Bezüge auf nichts. Vielleicht wusste Schlesinger, was er damit meinte. Die Verbindung zwischen diesen Flashbacks und dem späteren Leben Joes ist nicht erkennbar. Kurz: Die Rückblenden sind für das Verständnis der Geschichte völlig überflüssig, verwirren eher, lassen einen rätseln und lenken von der Story eher ab, als dass sie irgend etwas erklären könnten. Erklärungen sind auch ganz überflüssig.

    (1) Text und Musik: Fred Neil, gesungen von Harry Nilsson.

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