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    Kammerflimmern
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Kammerflimmern
    Von Jürgen Armbruster

    Ein junger, kreativer Drehbuchautor hat eine Idee. Man nehme Scorseses „Bringing Out The Dead“, erweitere diesen um das Elemente „Liebe auf den ersten Blick“ und lasse den Hauptdarsteller hier und da surreal anmutende Traumsequenzen durchleben. Hört sich zwar schräg an, könnte aber funktionieren. Das dachte sich auch Hendrik Hölzemann und werkelte während eines Australienaufenthalts schlappe sieben Monate am zugehörigen Skript. So weit, so gut, doch dann beging er leider einen folgenschweren Fehler. Das Drehbuch gefiel ihm so gut, dass er selbst Regie führen wollte, was er eigentlich noch nie getan hatte. Und genau da liegt bei „Kammerflimmern“ der Hase im Pfeffer. Schuster, bleib bei deinen Leisten…

    Paul (Matthias Schweighöfer), von allen nur Crash genannt, ist Rettungssanitäter in Köln. Er arbeitet wie ein Tier und spult Tag täglich das gleiche Pensum ab. Es ist aber nicht so, dass er bei seiner Arbeit glücklich wäre. Anderen Menschen das Leben zu retten, befriedigt ihn nicht wirklich. Emotional ist er schon lange tot. Als Kind musste er mit anschauen, wie seine Eltern bei einem schweren Verkehrsunfall starben. Er selbst überlebte mehr oder weniger unverletzt. Nur eine Narbe im Gesicht erinnert ihn ständig an diesen schicksalhaften Tag. Glücklich ist er nur noch in seinen Träumen, die immer wieder von derselben Frau handeln. Doch leider sind dies nur Träume. Bis eines Tages November (Jessica Schwarz) vor ihm steht. Hochschwanger. Auf dem Boden, ihr Freund. Mit einer Überdosis…

    Mit seinem Drehbuch-Debüt zu „Nichts bereuen“ gelang Hendrik Hölzemann, Absolvent des Diplom-Studiengangs Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg, Anno 2000 ein kleiner Achtungserfolg. Schreiberisches Potenzial ist bei dem 1976 geborenen Jungautor durchaus vorhanden. Da muss nicht großartig drüber diskutiert werden. Auch bei „Kammerflimmern“ ist der Grundidee zunächst ein gewisser Reiz nicht abzusprechen. Um den emotionalen Krüppel Crash und die einsame Seele November hätte eine richtig nette Geschichte gesponnen werden können. Das ist sie eigentlich auch. Doch bei „Kammerflimmern“ liegt der Teufel im Detail. Angefangen bei den Nebenfiguren. Crashs Kollegen Fido (Jan Gregor Kremp, „23“, „Das Sams“) und Richie (Florian Lukas, „Good Bye, Lenin“, „Liegen lernen“) scheinen direkt dem großen Buch der 08/15-Standard-Charaktere entsprungen zu sein. Fido hat es mit der Arbeit nicht sonderlich. Daher hat er auch ein paar Pfunde zuviel auf den Rippen. Voller Energie ist er allerdings, wenn es um die schnelle Nummer zwischendurch geht. Vor allem, wenn die Frau „lecken kann wie Lassie“. Richie ist ebenfalls nicht sonderlich für seine Arbeit zu begeistern. Stattdessen ist er ständig auf der Suche nach dem nächsten Kick. Dafür dürfen auch gerne hier und da diverse bewusstseinserweiternde Stoffe herhalten. Originalität? Fehlanzeige. Auch unter dem Deckmantel der „Milieu-Studie“ darf da einfach mehr drin sein.

    Ganz anders sieht es da schon bei den Hauptcharakteren November und Crash aus. Diese sind um ein vielfaches diffiziler gezeichnet und lange nicht so oberflächlich wie Richie und Fido. Noch dazu sind die Beiden exzellent besetzt. Matthias Schweighöfer („Soloalbum“) spielt den vom Leben gezeichneten Anti-Helden von „Kammerflimmern“ ohne große Schwächen. Vielleicht hier und da einen Tick zu weinerlich, aber das schieben wir erst einmal auf die Regie (zu der wir gleich kommen werden). Jessica Schwarz wiederum ist einfach wundervoll. Die Tragik ihres Charakters November fängt die ehemalige MTV-Moderatorin ausgezeichnet ein. Ob da vielleicht etwas vom Talent ihres Lebensgefährten Daniel Brühl („Good Bye, Lenin!“, „Die fetten Jahre sind vorbei“) auf sie abfärbt?

    Nein, das Problem sind nicht die (Haupt-)Darsteller. Als Genickbruch erweist sich etwas anderes. Hendrik Hölzemann hatte mit Ausnahme dreier Kurzfilme noch nie Regie geführt. Was hat ihn also dazu bewogen, bei „Kammerflimmern“ eben jene selbst zu übernehmen, anstatt sie in kompetente Hände zu übergeben. Sein Talent ist ganz eindeutig das Schreiben. Darin wurde er auch ausgebildet. Ob er das Zeug zu einem brauchbaren Regisseur hat, bleibt abzuwarten. Mit „Kammerflimmern“ konnte er es jedoch sicherlich nicht beweisen. Im Gegenteil. Mit den Darstellern gab es beim Dreh zwar kein Problem, aber generell lief dieser gesicherten Quellen zufolge wohl ziemlich holprig und chaotisch ab. Dies lässt sich dem fertigen Film auch deutlich anmerken. Insbesondere, wenn die Geschehnisse ins Surreale abdriften, ist Hölzemann einfach überfordert. Die Sequenz, als Crash einerseits am Boden liegt und reanimiert wird, sich andererseits aber auch selbst beobachtet und mit dem Skateboard davon fährt, kann sich einer unfreiwilligen Komik beispielsweise nicht erwähren.

    Ein weiteres Problem von „Kammerflimmern“ ist, dass ihm die wirklichen Highlights fast gänzlich abgehen. Denkwürdige Szenen gibt es im ganzen Film eigentlich nur zwei. Das wäre zum Einen eine Sex-Szene, in der die (im Film) hochschwangere Jessica Schwarz soviel zeigt wie nie zuvor, und zum anderen die wirklich herausragende Sequenz auf dem Dach eines Hochhauses, in der Crash versucht, ein junges Mädchen vom Selbstmord abzuhalten. Aber ansonsten plätschert der Film größtenteils vor sich hin und am Publikum vorbei. Wirklich packend wird „Kammerflimmern“ nie. Schade eigentlich. Es wäre mehr möglich gewesen. Aber eine Hand voll guter Szenen machen eben noch lange keinen guten Film.

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